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Bußfertig tun reicht nicht mehr, es werden Konsequenzen erwartet (Das Foto zeigt Kardinal Rainer Maria Woelki Anfang Februar).
© Marcel Kusch/dpa

Schleppende Aufklärung von Missbrauch: Katholische Kirche in der Krise – es geht längst um viel mehr als Woelki

Der Kölner Erzbischof ist das Gesicht des Skandals geworden, aber andere Bischöfe vertuschen ebenfalls. Bleibt das so, fordert das die Politik heraus. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Zufall oder nicht – dass sich am Tag, an dem die katholischen deutschen Bischöfe zusammen sind, die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zu Wort meldet, taucht die Kirche in ein gleißendes Licht. Es ist, wie Kommissionschefin Sabine Andresen sagt: „Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs stößt oft auf Vorbehalte und Hürden. Darum müssen alle gestärkt werden, die an Aufarbeitung interessiert sind. Die in den letzten beiden Jahren von der Öffentlichkeit breit wahrgenommenen aktuellen Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder haben gezeigt, dass Netzwerkstrukturen in diesem Zusammenhang eine Tatsache sind.“

Aber was folgt daraus? Eine Botschaft der Liebe zu verbreiten, rät Kardinal Rainer Maria Woelki auf der Bischofskonferenz. Wie die aussehen soll, sagt er nicht. Dabei könnte Woelki vorangehen, der Erzbischof von Köln, der wegen eines Missbrauchsskandals und seines Umgangs damit im Moment wie kein Zweiter unter Beobachtung steht. Seine Amtsbrüder hätten es aber auch verdient.

Bald allesamt, wenn sie nicht alles daransetzen, in ihren Bistümern aufzuklären, transparent, und sich der Opfer anzunehmen. Woelki ist ja nur der eine, an dem gerade alles abgemacht wird, weil er Aufklärung in Aussicht stellt, noch dazu eine ohne Tabus, und die dann nicht liefert.

Das fordert, wenn es so weitergeht, sogar die Politik heraus. Der Bundesinnenminister, der Christsoziale Horst Seehofer, ist von Amts wegen für die Religionsgemeinschaften zuständig. Er muss ihnen wohl ins Gewissen reden. Denn es wird Zeit, dass die Kirche – nicht allein die katholische –, lernt: Die Zeiten ändern sich. Mag sein, dass ihre Geschichte gefühlt schon ewig währt, doch wenn die Zeichen der Zeit (Matthäus) nicht erkannt werden, ist eine unbegrenzte Fortdauer weiß Gott nicht gewiss.

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Das klingt dramatisch – und ist es auch. Denn nicht nur Woelki muss sich Fragen gefallen lassen. Die Blicke richten sich auf die Bischöfe von Berlin, Essen, Hamburg, Osnabrück, Trier. Nach Trier, wo der vormalige Vorsitzende der Bischofskonferenz, der heutige Münchner Kardinal Reinhard Marx, früher gewirkt hat, und der gegenwärtige Vorsitzende, Georg Bätzing aus Limburg, Leiter des Priesterseminars war.

Aber nehmen wir nur einmal Berlin, weil es vor der Haustür liegt: 400 von 600 Seiten des Gutachtens zu sexuellem Missbrauch im hiesigen Erzbistum seit 1946 sind von der Veröffentlichung ausgenommen worden. Von Erzbischof Heiner Koch, und zwar „aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, der Gefahr der Retraumatisierung der Betroffenen und um eine voyeuristische Darstellung zu vermeiden“. Zunächst soll eine sechsköpfige Kommission innerkirchlich prüfen. Das klingt … wie bei Woelki.

Das Bischofsamt hat mit Verantwortung zu tun - nicht nur mit Privilegien

Da kann auch noch etwas kommen – da muss auch noch etwas kommen. Aufklärung geht nur durch Aufklärung. Erzbischof Koch sagt, was nicht nur für Woelki gilt: Die Nichtveröffentlichung sei „zutiefst ärgerlich und zutiefst verletzend für die Opfer und für alle, die darauf warten“. Richtig, darauf warten alle: auf Konsequenzen.

Bischofsämter sind mit Verantwortung, Verantwortungsübernahme, verbunden, nicht vor allem mit Privilegien. Bei Fällen von Missbrauch besonders. Wenn nun Woelki, der das das nach Rom wichtigste Erzbistum der Welt führt, wirklich zurücktritt – dann stehen alle anderen in gleißendem Licht da.

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