Mutmaßliche Rechtsterroristen "Gruppe Freital": Ermittlungen werden nach Festnahmen ausgeweitet
Im sächsischen Freital sind fünf mutmaßliche Rechtsterroristen festgenommen worden. Sie sollen mehrere Anschläge verübt haben.
Nach dem GSG-9-Einsatz gegen unter Terrorverdacht stehende Rechtsextremisten im sächsischen Freital gehen die Ermittlungen weiter. "Der Ermittlungskomplex ist durchaus größer, und weitere Aktivitäten laufen derzeit", sagte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU). Details nannte er nicht.
Die Haftbefehle sollten den fünf am Dienstag festgenommenen Verdächtigen bis Mittwoch eröffnet werden. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft war ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs dafür am Dienstag aus Karlsruhe nach Dresden gereist. Er habe auch über den Vollzug der Untersuchungshaft zu entscheiden. Inwieweit das bereits geschehen ist, war zunächst nicht bekannt.
Die Festnahmen haben nach Einschätzung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) weitere mögliche Attacken verhindert. „Mit den heutigen Maßnahmen ist den Sicherheitsbehörden ein entscheidender Schlag gegen eine regionale rechtsterroristische Struktur gelungen“, sagte de Maizière am Dienstag in Berlin. Durch den Zugriff seien weitere mögliche Anschläge der Gruppe gegen Asylunterkünfte und politische Gegner verhindert worden. "Dies zeigt, dass der Staat konsequent und frühzeitig gegen rechtsterroristische Strukturen und Straftäter vorgeht."
Am Dienstagmorgen sind mit einem Großaufgebot Wohnungen und Häuser in Freital durchsucht worden. 200 Beamte des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei sowie der sächsischen Polizei nahmen fünf Verdächtige - vier Männer und eine Frau - fest. Den Beteiligten werden neben der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung unter anderem auch Sprengstoffanschläge, schwere Körperverletzung und versuchter Mord vorgeworfen, teilte der Generalbundesanwalt mit. Die Gruppe soll im vergangenen Herbst unter anderem Asylbewerberheime in Freital und ein alternatives Wohnprojekt in Dresden angegriffen haben.
Über WhatsApp organisiert
Die Bundesanwaltschaft bezeichnet die Vereinigung als "Gruppe Freital", sie hat sich sich nach Tagesspiegel-Informationen über den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp organisiert. Es gibt offenbar mindestens personelle Überschneidungen zur rechtsextremen Bürgerwehr FTL/360, die sich im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Unterbringung von Flüchtlingen im ehemaligen Leonardo-Hotel in Freital gebildet hat.
Die Bundesanwaltschaft berichtet konkret über die Festnahme von Justin S. (18), Rico K. (39), Maria K. (27), Sebastian W. (25) und Mike S. (26). Zur Gruppe gehören zudem Timo S. (27), Patrick F. (24) und Philipp W. (29), die letzteren sitzen bereits seit November vergangenen Jahres in Untersuchungshaft. Rädelsführer sind den Ermittlungen zufolge Timo S. und Patrick F.
Die rechtsterroristische Vereinigung "Gruppe Freital" sei spätestens im Juli vergangenen Jahres gegründet worden, heißt es in der Mitteilung der Bundesanwaltschaft. Ziel der Vereinigung sei es, Sprengstoffanschläge auf Asylbewerberunterkünfte sowie Wohnprojekte von politisch Andersdenkenden zu begehen.
Der Gruppe werden drei Sprengstoffanschläge zugerechnet
Konkret werden den Rechtsterroristen bisher drei Sprengstoffanschläge zugerechnet: In der Nacht vom 19. auf 20. September beging Patrick F. demnach für die "Gruppe Freital" einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Freital. Er soll außen am Küchenfenster der Unterkunft einen pyrotechnischen Sprengkörper angebracht und gezündet haben. Bei der Explosion des Sprengkörpers wurde unter anderem die Fensterscheibe vollständig zerstört. Die Bewohner der Unterkunft blieben von den umherfliegenden Glassplittern der zerborstenen Fensterscheibe nur deshalb unterletzt, weil sich zu diesem Zeitpunkt niemand von ihnen in der Küche aufhielt.
In der Nacht vom 18. auf 19. Oktober griffen laut bisherigen Ermittlungen dann Mike S., Patrick F., Timo S., Justiz S., Rico K. und Maria K. gemeinsam mit weiteren Gleichgesinnten das Gebäude des Wohnprojekts "Mangelwirtschaft" in Dresden an. Sie sollen Steine und Sprengsätze auf das Haus und zumindest teilweise auch auf erleuchtete Fenster geworfen haben. Einer der Sprengkörper explodierte in der Küche des Hauses. Dort schlug zudem ein Pflasterstein ein.
In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November verübten dann laut gegenwärtigem Ermittlungsstand Timo S., Justiz S., Maria K., Philipp W., Patrick F., Sebastian W. und Rico K. einen Anschlag auf eine weitere Asylbewerberunterkunft in Freital. Sie sollen pyrotechnische Sprengkörper an drei Fensterscheiben des Gebäudes platziert und entzündet haben. Durch die umherfliegenden Splitter der bei der Explosion der Sprengmittel zu Bruch gegangenen Fensterscheiben erlitt einer der Bewohner mehrere Schnittwunden im Gesicht. Zu schwereren oder gar tödlichen Verletzungen sei es nur deshalb nicht gekommen, weil sich die übrigen Bewohner noch rechtzeitig im Flur der Unterkunft hätten in Sicherheit bringen können, so der Generalbundesanwalt.
Mehr als 200 Beamte am Einsatz beteiligt
An den Durchsuchungen beteiligt waren mehr als 200 Beamte. Die Gruppe soll sich eine dreistellige Anzahl von pyrotechnischen Sprengkörpern aus Tschechien beschafft und bei verschiedenen Beschuldigten verwahrt haben. Laut Angaben von "Spiegel Online" soll die Terrorgruppe in ihrer internen Kommunikation von "Obst" gesprochen haben, wenn sie Pyrotechnik meinte.
Anwältin: Mitnichten nur "besorgte Bürger"
Die Proteste gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer hatten sich von Sommer vergangenen Jahres an immer weiter radikalisiert - Schlagzeilen machte unter anderem eine Baseballschläger-Attacke gegen ein Auto von Flüchtlingsunterstützern, die sich auf dem Heimweg von einer Willkommensdemo in Freital befanden. Im Auto saß damals unter anderem der Sohn des sächsischen SPD-Chefs Martin Dulig.
Die Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk, die einen der damals Geschädigten vertritt, sagte am Dienstag dem Tagesspiegel: "Die Hetzjagd und der anschließende Angriff auf das Auto meines Mandanten im Juni 2015 war nur der Beginn einer massiven Gewaltspirale in Freital gegen Geflüchtete, deren Unterstützer und Andersdenkende." Einhergehend habe sich ein Rechtsruck in der Gesellschaft vollzogen, der von Parteien wie der AfD oder Vereinigungen wie Pegida befördert worden sei. "Dass die Bundesanwaltschaft nunmehr wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, zeigt in aller Deutlichkeit, dass es sich bei Asylgegnern mitnichten nur um ,besorgte Bürger' handelt. Spätestens jetzt muss man doch feststellen, dass es zu einer Radikalisierung der Mitte der Gesellschaft bis hin zum Rechtsterrorismus kommt."
Linke: Bürgerwehr Freital offenbar größer als gedacht
Die "Bürgerwehr Freital" sei offenbar größer als gedacht gewesen, erklärte die sächsische Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz. Mit den am Dienstag festgenommenen Verdächtigen wachse die Gruppe auf mindestens acht Personen an. "Besonders beunruhigend ist die Annahme, dass die Bürgerwehr" womöglich nur Teil eines noch größeren Netzwerkes war", sagte sie. "Wenn das zutrifft, könnte es noch immer aktiv sein."
Nach der "Oldschool Society" sei Sachsen damit zum zweiten Mal in kurzer Zeit Ausgangspunkt einer mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppe geworden. "Offenbar waren die Konsequenzen, die von der Staatsregierung aus dem eigenen Behördenversagen beim NSU gezogen wurden, völlig unzureichend." Dabei sei die Freitaler Bürgerwehr bereits seit Anfang Mai vergangenen Jahres offen in sozialen Netzwerken in Erscheinung getreten, "die mutmaßlichen Mitglieder gaben sich teils unter Klarnamen zu erkennen und kommentierten mitunter solche Taten, die der Gruppe zur Last gelegt wurden". Ihre Radikalisierung habe sich also ,live' verfolgen lassen. "Hier hätte viel eher eingeschritten werden müssen, noch bevor es zu Anschlägen kommt."
Auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner nannte die Entwicklung äußert beunruhigend. Die Behörden würden nicht erfolgreich unterbinden, dass sich Neonazis immer weiter aufrüsten, sagte sie dem Tagesspiegel.
SPD: Auch NSU hat mit Böllern begonnen
Die sächsische SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe mahnte: "Auch die Mitglieder des NSU haben mit Böllern und Übergriffen auf politische Gegner begonnen. Was daraus wurde, mahnt uns alle. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich so etwas wiederholt." Bezeichnend sei, dass erneut Sachsen Schauplatz einer solchen mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppe ist. "Neben einem wachsamen Rechtsstaat brauchen wir deshalb auch eine starke und wachsame sächsische Zivilgesellschaft, hier bleibt noch viel zu tun."
Erst in der vergangenen Woche hatte der Generalbundesanwalt in Karlsruhe die Ermittlungen in Sachen Freital übernommen - damit war klar, dass die Täter des Rechtsterrorismus verdächtigt werden. Die Verfahren richten sich, wie es damals hieß, gegen fünf Männer und eine Frau im Alter von 18 bis 40 Jahren. Bis dahin hatte die sächsische Justiz gegen die Verdächtigen ermittelt. Im März hatte die Stadtverwaltung von Freital behauptet, dass es in Freital "eine nennenswerte (Neo)Nazi-Szene" gäbe, sei ein "leider überregional bei manchen eingebürgertes Klischee". (mit dpa)