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KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen im brandenburgischen Oranienburg.
© Wolfgang Kumm/dpa
Update

Eklat in Gedenkstätte Sachsenhausen: Ermittler sind mutmaßlichen Holocaust-Leugnern in AfD auf der Spur

Eine AfD-Gruppe in der Gedenkstätte Sachsenhausen soll KZ-Verbrechen relativiert haben. Nun haben die Ermittler fast alle Teilnehmer identifiziert.

Nach dem durch eine AfD-Besuchergruppe ausgelösten Eklat am 10. Juli in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen sind die Ermittler einen wichtigen Schritt vorangekommen. Obwohl die Teilnehmerlisten vernichtet worden waren, konnte die Staatsanwaltschaft Neuruppin inzwischen die Mitglieder der AfD-Besuchergruppe identifizieren, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Wilfried Lehmann bestätigte.

Der Vorgang in der Gedenkstätte im brandenburgischen Oranienburg war Ende August durch Tagesspiegel-Recherchen bekannt geworden, er hatte national und auch international heftige Empörung ausgelöst. Nach Darstellung der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten hatten mehrere Teilnehmer der von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel eingeladenen Gruppe aus ihrem Wahlkreis am Bodensee die Existenz von Gaskammern in Zweifel gezogen. Mehrere AfD-Besucher hätten die KZ-Verbrechen verharmlost und relativiert und dem Referenten der Gedenkstätte mangelnde Kompetenz und Manipulation unterstellt. Dieser brach den Besuch daraufhin ab. Die Berlin-Fahrt, in deren Rahmen der Besuch der Gedenkstätte stattfand, war - wie prinzipiell für alle Bundestagsabgeordneten möglich - vom Bundespresseamt finanziert worden.

Staatsanwaltschafts-Chef Lehmann sagte, das im Spätsommer eingeleitete Ermittlungsverfahren laufe weiter und sei noch nicht abgeschlossen. Nach Tagesspiegel-Informationen bereitet der Staatsschutz der Polizei in Neuruppin die Vernehmung der Teilnehmer der Reisegruppe vor. Lehmann sagte, es werde weiterhin geprüft, ob die Äußerungen von Teilnehmern der AfD-Reisegruppe strafrechtlich relevant und wem sie genau zuzuordnen sind. Mindestens bei einer Äußerung, nämlich der, in der die Existenz von Gaskammern infrage gestellt wurde, sieht die Ermittlungsbehörde bereits jetzt eine strafrechtliche Relevanz.

Ermittelt wird wegen des Verdachts auf Volksverhetzung durch Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust sowie Störung der Totenruhe. Die Brandenburger Polizei hatte unmittelbar nach Erscheinen des Tagesspiegel-Berichts Ende August von Amts wegen Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hatte anschließend zeitnah den Guide, der die AfD-Gruppe durch die KZ-Gedenkstätte geführt und die Tour abgebrochen hatte, vernommen. Bereits diese Zeugenvernehmung hatte die Vorwürfe erhärtet.

Man muss schon sehr hartgesotten sein, um ausgerechnet an einem derartigen Ort wie dem ehemaligen KZ Sachsenhausen, wo das Grauen der Nazizeit gut nachempfunden werden kann, empathielos den Holocaust zu leugnen.

schreibt NutzerIn provinzler

Staatsanwaltschaft: Verdacht hat sich durch Ermittlungen bestätigt

Am Dienstagabend berichtete das ZDF-Magazin "Frontal 21" über den Fortgang der Ermittlungen. In dem Bericht wurde Lehmann mit den Worten zitiert: "Wir haben zwischenzeitlich den Großteil der Mitglieder der Besuchergruppe identifiziert." Und: "Der ursprünglich bestehende Verdacht hat sich durch die bisherigen Ermittlungen bestätigt."

Die Ermittlungen gestalteten sich zunächst schwierig, weil das Bundespresseamt die Teilnehmerliste vernichtet hatte. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte zugegeben: "Die handschriftliche Teilnehmerliste diente nur Abrechnungszwecken, wurde nicht elektronisch verarbeitet, sondern vernichtet." Dass Besucher aus den Wahlkreisen von Abgeordneten nur einmal an den vom Bundespresseamt finanzierten Informationsfahrten teilnehmen sollen und dies nun schwerer kontrolliert werden kann, spielt bei dieser Praxis offenbar keine Rolle. Auch eine Sprecherin des Bundestages sagte: "Von unserem Besucherdienst erfahre ich, dass die Daten von Besuchergruppen gelöscht werden, sobald der Besuch erfolgt ist."

Der Sprecher der AfD im Bundestag, Christian Lüth, hatte Ende August eine Mitverantwortung seiner Chefin Alice Weidel für den Eklat in der Gedenkstätte von sich gewiesen. Er sagte: "Dabei handelte es sich um ein Programm des Bundespresseamtes, bei dem Alice Weidel ein Programmpunkt von vielen war. Beim Besuch der Gedenkstätte war Alice Weidel nicht zugegen." Der stellvertretende Vorsitzende der AfD Bodenseekreis, Christoph Högel, sagte jetzt in der "Frontal 21"-Sendung, die Besucher am 10. Juli hätten nicht den Holocaust geleugnet, sondern "kritische Nachfragen bezogen auf einzelne Sachverhalte" gestellt.

Linke Petra Pau sieht "Grund-Aggressivität" bei AfD-Gruppen

Mehrere Abgeordnete hatten den Vorfall rund um die AfD-Besuchergruppe in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen auch in den Parlamentsgremien zur Sprache gebracht, zum Beispiel im Ältestenrat und im Parlamentspräsidium. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau sagte kürzlich dem Tagesspiegel, "harsche Debatten" bei Besuchen von Gruppen aus dem Wahlkreis seien auch ihr nicht unbekannt. Sie benannte - aus eigener Erfahrung - "Kampfrentner aus Marzahn". Bei AfD-Besuchergruppen im Reichstagsgebäude bekomme sie indes eine ihr bisher nicht bekannte "Grund-Aggressivität" zu spüren - mal entlade sie sich gegen Kanzlerin Angela Merkel, dann gegen andere "Hass-Objekte von AfD-Anhängern" wie sie selbst das sei oder auch ihre grüne Kollegin Claudia Roth. "Für mich ist das völlig neu."  

Parteifreunde Alice Weidel, Alexander Gauland am Mittwoch in der Generalaussprache zum Haushalt im Bundestag.
Parteifreunde Alice Weidel, Alexander Gauland am Mittwoch in der Generalaussprache zum Haushalt im Bundestag.
© Michael Kappeler/dpa

Dass die AfD versucht habe, die Verantwortung für die Geschehnisse während des Besuchs der Weidel-Gruppe an das Bundespresseamt abzuschieben, sei nicht akzeptabel, sagte Pau. "Der oder die Abgeordnete muss die Besucher aus dem Wahlkreis als seine Gäste betrachten. Mindestens muss ein Abgeordneter-Mitarbeiter die ganze Zeit beim Besuch dabei sein, um den Abgeordneten zu unterrichten und sofort intervenieren zu können, wenn bestimmte Grenzen des Anstands oder inhaltlicher Art überschritten werden."

Grüne: Über Sanktionsmöglichkeiten nachdenken

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler hatte im September die Bundesregierung gefragt, ob es ähnliche Vorfälle wie am 10. Juli in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen gegeben habe. Dies verneinte Regierungssprecher Seibert. Er sagte allerdings auch: "Im Gespräch mit Vertretern von Gedenkstätten hat das Bundespresseamt Hinweise bekommen, dass es im Zusammenhang mit Besuchergruppen von AfD-Abgeordneten zu Auffälligkeiten gekommen ist."

Kindler mahnte am Mittwoch mit Blick auf den Eklat um die Weidel-Gruppe in Oranienburg: "Abgeordnete tragen natürlich die Verantwortung für ihre Gruppenfahrten. Im Regelfall fährt ja ein Mitarbeiter oder Mitarbeiterin aus dem Büro der Abgeordneten mit. Die Mitarbeiter müssen dann aber auch eingreifen und nicht einfach zusehen, wenn es zu antisemitischen oder rassistischen Ausfällen kommt." Man könne und man müsse auch Rassisten und Antisemiten wieder nach Hause schicken.

Kindler sagte dem Tagesspiegel weiter: "Ich würde mich freuen, wenn da die demokratischen Kräfte im Bundestag zusammen stehen und gemeinsam deutlich machen: Wer auf diesen Fahrten hetzt, fährt wieder nach Hause. Bei den Abgeordneten der rechtsradikalen AfD ist da Hopfen und Malz verloren. Wer selber wie Alice Weidel hetzt, kann ja nicht glaubhaft seinen Gästen auf Besucherfahrten das Hetzen verbieten. Die Bundespresseamt muss hier über Sanktionsmöglichkeiten nachdenken."

Der Bundesvorstand der AfD macht sich derzeit Sorgen, dass die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden könnte. In einem Gutachten, das die Partei erstellen ließ, wird laut RBB davor gewarnt, den "systematischen Massenmord an Juden" abzustreiten oder sich antisemitisch zu äußern. Dies könnten Sicherheitsbehörden als "Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen" werten.

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