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Recep Tayyip Erdogan, Staatspräsident der Türkei
© dpa

Meinungsfreiheit in der Türkei: Erdogans Justizreform stößt auf Skepsis

Mehr Rechte für Angeklagte, Betonung der Meinungsfreiheit: Die türkische Regierung will ihr Image aufpolieren. Kritiker halten den Plan nicht für glaubwürdig.

So einen Satz hat man von Recep Tayyip Erdogan schon lange nicht mehr gehört: „Wir betrachten die Meinungsfreiheit als wichtigste Voraussetzung für die Demokratie“, sagte der türkische Präsident jetzt bei der Vorstellung einer Justizreform in Ankara. Mehr Meinungsfreiheit, mehr Rechte für die Verteidigung bei Strafverfahren und weniger Inhaftierungen versprach der Staatschef. Seine Kritiker im Land konnte er damit jedoch nicht überzeugen.

Insgesamt 356 Einzelmaßnahmen umfasst Erdogans Paket. Dazu gehört, dass nur noch „problematische“ Aspekte eines Internetangebots gesperrt werden sollen statt ganzer Adressen – das könnte dazu führen, dass die Online-Enzyklopädie Wikipedia nach zwei Jahren Sperre in der Türkei wieder freigeschaltet wird. Richter und Staatsanwälte sollen künftig nicht mehr plötzlich und gegen ihren Willen in andere Landesteile versetzt werden können. Diese Strafversetzungen dienen dazu, die Juristen einzuschüchtern.

Die Reform soll auch die Zahl der Untersuchungshäftlinge verringern, die Monate oder Jahre hinter Gittern auf eine Anklage und einen Prozess warten müssen. Bei Prozessen soll das Recht der Verteidigung auf Akteneinsicht verbessert werden. Der Präsident bekräftigte auch, Folter werde nicht geduldet. Damit reagierte er auf Vorwürfe ehemaliger Mitarbeiter des türkischen Außenministeriums, sie seien in Polizeihaft misshandelt worden.

Erdogan-Kritiker bezweifeln, dass sich jetzt tatsächlich viel verbessert

Der Vorsitzende der türkischen Anwaltskammer, Metin Feyzioglu, lobte, bei Umsetzung des Pakets werde die Türkei alle Anforderungen der EU erfüllt haben. Am Tag vor Erdogans Rede hatte die EU in einem neuen Bericht den Demokratieabbau in der Türkei scharf kritisiert.

Mit der Reform will die türkische Regierung ihr ramponiertes Image aufpolieren, die Beziehungen zur EU verbessern und ausländische Investoren beruhigen. Das Paket ist wohl auch Teil des Wahlkampfs in Istanbul, wo in drei Wochen die Wiederholung der Bürgermeisterwahl ansteht.

In den vergangenen Jahren hatte die Türkei Zehntausende mutmaßliche Regierungsgegner inhaftiert. In keinem anderen Land sitzen so viele Journalisten in Haft. Die Zeitung „BirGün“ meldete unter Berufung auf Zahlen des Justizministeriums, 2018 sei gegen rund 13 Millionen Bürger ermittelt worden – das ist jeder fünfte Erwachsene im Land. Der Jurist Yaman Akdeniz schrieb auf Twitter, dass die Justiz allein wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung seit 2017 mehr als 60.000 Verfahren eingeleitet habe.

Erdogan-Kritiker bezweifeln, dass sich jetzt tatsächlich viel verbessert. Der Kolumnist Taha Akyol schrieb in der Zeitung „Karar“, das Paket ändere nichts an der Abhängigkeit der Justiz. Murat Sabuncu, Ex-Chefredakteur der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ und selbst mehr als ein Jahr in Haft, vermisste eine Festlegung auf konkrete Gesetzesänderungen.

Für die vielen Tausend inhaftierten Journalisten, Aktivisten und Akademiker ändert sich nichts. Die Regierung argumentiert, deren Kritik an den Zuständen im Land sei strafbare Terrorpropaganda. Von einer Reform des Antiterrorgesetzes, ebenfalls von der EU gefordert, sagte Erdogan nichts. Das zeigt auch der Fall der türkischdeutschen Journalistin Süheyla Kaplan. Wie der NDR am Freitag meldete, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Facebook-Einträgen von Kaplan wegen Terrorpropaganda und Präsidentenbeleidigung.

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