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Schon mehrfach in seiner langen Karriere hat der 66-jährige Erdogan seine Wendigkeit bewiesen.
© via REUTERS

Nach Rücktritt seines Schwiegersohns als Minister: Erdogan präsentiert sich als Reformer

Die wirtschaftlicher Situation der Türkei ist katastrophal – der Präsident ruft sein Land zum Aufbruch auf. Die Opposition zweifelt am Reformeifer.

Noch vor kurzem versicherte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, das Land sei ein „aufsteigender Stern“ der Weltwirtschaft. Seit einigen Tagen hört sich das anders an. Erdogan spricht von „bitterer Medizin“ und von der Notwendigkeit, das Vertrauen internationaler Investoren zurückzugewinnen.

Seit dem Rücktritt seines Schwiegersohns Berat Albayrak als Finanzminister zeigt sich Erdogan wieder als Reformer. Für Wirtschaft, Justiz und Demokratie hat er einen „Aufbruch“ ausgerufen. Erdogans Gegner glauben jedoch nicht an ein grundsätzliches Umdenken. Der Oppositionspolitiker Mustafa Yeneroglu hält Erdogan einen „Aufbruch des Betrugs“ vor.

Offenbar will Erdogan seinen Schwiegersohn, der bis vor kurzem noch als möglicher Nachfolger galt, zum Sündenbock machen. So will der Präsident erst bei einer Unterrichtung durch den neuen Zentralbankchef Naci Agbal kurz von Albayraks Rücktritt am 8. November erfahren haben, dass die Notenbank rund 100 Milliarden Dollar für den vergeblichen Versuch verschleudert hat, den Kurs der Landeswährung Lira zu stützen. Regierungskritische Journalisten weisen darauf hin, dass in Erdogans Präsidialsystem keine wichtige Entscheidung ohne den Präsidenten getroffen wird. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass der Staatschef nichts von der Plünderung der Devisenreserven gewusst habe.

Erdogan beweist immer wieder Wendigkeit

Schon mehrfach in seiner langen Karriere hat der 66-jährige Erdogan seine Wendigkeit bewiesen. Als er sich 2013 nach langer Zusammenarbeit mit der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen überwarf, beteuerte Erdogan, er sei von Gülen hintergangen worden. Heute ist Gülen der Staatsfeind Nummer Eins. Wenn der Präsident eine Kehrtwende einlege, seien nicht einmal Mitglieder seiner eigenen Familie wie Albayrak sicher, schrieb die Journalistin Nevsin Mengü von der Online-Plattform Duvar.

Grund für das jüngste Manöver des Präsidenten ist die desolate Wirtschaftslage. Unter Albayrak hatte die Lira seit Jahresbeginn zeitweise 45 Prozent gegenüber Dollar und Euro verloren. Die Arbeitslosigkeit von offiziell 13,2 Prozent wird mit einem Entlassungsverbot wegen der Corona-Pandemie und nach Meinung von Kritikern auch mit geschönten Zahlen künstlich niedriger gehalten. Viele Unternehmen haben hohe Devisenschulden.

Weil Erdogan auf niedrige Zinsen besteht, konnte die Zentralbank bisher die Leitzinsen nicht anheben, um die Inflation von zwölf Prozent zu bekämpfen.

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Nun signalisiert Erdogan, dass er einer Leitzinserhöhung bei der ersten Zentralbanksitzung unter Agbal an diesem Donnerstag zustimmen wird. Das Parlament soll ein neues Reformpaket für die Justiz auf den Weg bringen. Plötzlich ist überall in der Regierung von einem Neuanfang die Rede.

Opposition zweifelt an Reformeifer

Justizminister Abdulhamit Gül, der die Festnahme hunderttausender mutmaßlicher Regierungsgegner zu verantworten hat, kritisiert seit neuestem die vielen Verhaftungen. Das von der Regierung kontrollierte Aufsichtsgremium für die Justiz interessiert sich für den Fall des Demokratie-Aktivisten Osman Kavala, der seit mehr als drei Jahren aus fadenscheinigen Gründen in Untersuchungshaft gehalten wird.

Die Opposition bezweifelt, dass Erdogans neuer Reformeifer echt ist. Zudem bleibt Erdogan bei seiner harten Linie in der Außenpolitik. Am Sonntag besuchte er die geteilte Insel Zypern, sprach sich gegen eine Wiedervereinigung aus und wies „diplomatische Spielchen“ zur Lösung des Gasstreits im östlichen Mittelmeer zurück.

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