Syrien: Erdogan beginnt militärische Offensive in Idlib
Die türkische Regierung interveniert seit Montag in der nordsyrischen Provinz Idlib. Dort sollen Islamisten bekämpft werden – und Kurden.
Ein Dreieck haben sie schon, ein Trapez soll als Nächstes dazukommen. Die Geometrie der türkischen Militärinterventionen im Nachbarland Syrien nimmt Formen an. Nach dem Einmarsch im August 2016 sicherte sich Ankara nach und nach das Gebiet von der syrischen Grenzstadt Dscharablus zum 80 Kilometer entfernten Al Bab und wieder hoch zum Grenzstädtchen Ar Rai.
Begleitet von den Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) vertrieben die Türken die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) aus dem Dreieck. Am Montag verkündete die türkische Armee auch den Beginn eines neuen Militäreinsatzes in der nordsyrischen Provinz Idlib. Wie die Armee am Montag mitteilte, diene der "Aufklärungseinsatz" jenseits der Grenze der Einrichtung von Beobachtungsposten Idlib. Schon seit Sonntag lieferten sich türkische Truppen Gefechte mit der nächsten islamistischen Miliz, der Hayat Tahrir al Sham (HTS), die den größten Teil der Provinz Idlib kontrolliert.
Möglich sind die Interventionen nur, weil Russland sie billigt, der militärisch wichtigste Verbündete des syrischen Regimes. Der Einmarsch in Idlib stand deshalb auch weit oben auf der Gesprächsliste, als der russische Staatschef Wladimir Putin Ende September nach Ankara kam. Es war das bereits siebte Treffen zwischen Putin und Recep Tayyip Erdogan in diesem Jahr.
Seit der Operation „Euphratschild“ der türkischen Armee mit dem Vorstoß nach Al Bab hat sich die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Russland auf dem syrischen Kriegsschauplatz vertieft. Der Iran, der andere wichtige Unterstützer des syrischen Regimes, ist hinzugekommen.
Arbeitsteilung in Syrien
Das Trio hat sich nach langen Verhandlungen auf die Einrichtung sogenannter Deeskalationszonen verständigt. Die Grenzprovinz Idlib würde von der Türkei gesichert, so hatte Erdogan schon vor Wochen angekündigt. Die Russen wiederum würden die Gebiete um die nordsyrische Provinz herum schützen.
Es dürfte in Wirklichkeit etwas komplizierter sein. Idlib ist eine von mehreren solcher Deeskalationszonen, die sich als breiter Puffer bis nach Homs und Damaskus ziehen und im Grunde den Sieg des Regimes von Baschar al Assad im Krieg vorwegnehmen. Russland und der Iran wollen im Norden den Zugriff zur Autobahn von Aleppo nach Hama, Homs und Damaskus, die unterhalb der Provinzhauptstadt Idlib verläuft.
Beide Akteure, so heißt es, streben aber auch die Kontrolle über den westlichen Teil der bevölkerungsreichen Provinz Idlib um die Stadt Dschisr asch Schughur an. Diese öffnet den Weg zur Küstenprovinz Latakia, eine der wichtigsten Bastionen Assads.
Noch unter Kontrolle der Islamisten
Der Einmarsch der Türkei in Idlib, erneut begleitet von den Kämpfern der Freien Syrischen Armee, wird wohl auf eine Art Arbeitsteilung in der Provinz hinauslaufen. Das Prinzip ist, durch die Errichtung von Checkpoints auf Landstraßen und in Städten der Zivilbevölkerung freie Bewegung zu ermöglichen, bewaffnete Milizen aber einzudämmen.
Der Großteil der Provinz Idlib und die Stadt selbst werden von der Islamistenallianz HTS gehalten. Sie drängte im Juli die von Ankara unterstützte Islamistengruppe Ahrar al Scham auch aus der Provinzhauptstadt Idlib.
Ob die HTS – eine Neuformierung der früheren, mit Al Qaida verbundenen Nusra-Front – eine Zukunft hat, gilt als fraglich. Fraktionen, die Nähe zur Türkei suchen, spalteten sich bereits ab. Außenminister Mevlüt Cavusoglu versuchte am Wochenende, das Ausmaß der Intervention herunterzuspielen.
Einen Keil ins Kurdengebiet treiben
Der Türkei gehe es darum, Zusammenstöße mit den Islamisten zu vermeiden und eine politische Lösung zu erleichtern. Dies wurde als Hinweis verstanden, dass die Armee zunächst keinen direkten Angriff auf die HTS plant. Augenzeugen berichteten gleichwohl, dass türkische Soldaten Teile der neuen Grenzmauer zu Syrien am Übergang Bab al Hawa abbauten, um Truppen ins Nachbarland zu verlegen.
Im Parlament in Ankara hatte die Regierung bei der Opposition mit Erfolg um Unterstützung für die Verlängerung des Mandats der Armee für ein weiteres Jahr geworben: Es gehe um die Bekämpfung des Terrorismus. Gemeint waren damit auch die syrischen Kurden der PYD. Ankara treibt nun einen zweiten Keil in ihr Gebiet.