Kampf gegen Rechtsextremismus: Entzug der Grundrechte für Demokratiefeinde stößt auf breite Ablehnung
Innenminister Seehofer will prüfen, für Rechtsradikale die Grundrechte einzuschränken. SPD, Grüne, Linke und FDP halten nichts von der Idee.
Bundesinnenminister Horst Seehofer will auch als Konsequenz aus dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke prüfen, Demokratiefeinden Grundrechte zu entziehen. „Wir sind das Verfassungsressort. Wir werden die Möglichkeiten ernsthaft prüfen“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatte dies vorgeschlagen. Artikel 18 des Grundgesetzes biete dazu das passende Instrument.
Doch Politiker etlicher Parteien lehnen Taubers Idee und Seehofers Plan ab, so etwa der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner. „Die Rechtsradikalen wollen unsere Grundrechte aushöhlen und streben ein System an, in dem es solche Grundrechte gar nicht geben würde“, sagte Stegner dem Tagesspiegel. „Unser demokratischer Rechtsstaat unterscheidet sich von solchen Systemen grundsätzlich auch dadurch, dass diese Grundrechte für alle gelten.“
„Statt Einzelnen die Grundrechte zu entziehen, müssen wir die rechten Demokratiefeinde mit allen friedlichen Mitteln bekämpfen und politisch ächten“, forderte der SPD-Politiker. Dies sei nicht nur Sache der demokratischen Parteien, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Soweit das Strafrecht betroffen sei, müsse man den Feinden der Demokratie mit aller Konsequenz des Gesetzes gegenübertreten. „Das ist die Aufgabe unserer Strafverfolgungsbehörden und der unabhängigen Justiz“, sagte Stegner.
Auch die Grünen im Bundestag lehnen Taubers Anregung ab. „Den Rechtsstaat verteidigt man nicht, indem man ihn für einige abschafft“, sagte Fraktionsvize Konstantin von Notz dem Tagesspiegel. Zwar stimme es, dass rechtsextremer und rassistischer Gewalt mit sprachlicher Entgrenzung oft der Boden bereitet werde, sagte der Grünen-Politiker. „Aber wir müssen das gesamtgesellschaftlich angehen, nicht über Artikel 18“, fügte er hinzu.
Widerspruch kommt auch aus der FDP. „Die Abgrenzung zwischen bürgerlicher Politik und Rechtsextremismus muss im Rahmen der Meinungsfreiheit geschehen, nicht indem man die Meinungsfreiheit für bestimmte Personen abschafft“, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, dem Tagesspiegel. „Allzu oft meinen Rechtsextreme und ihre Sympathisanten schon heute, es sei eine Verletzung der Meinungsfreiheit, wenn man ihnen widerspricht.“
Das Gegenteil sei richtig: Die Meinungsfreiheit schütze nicht vor Widerspruch, sagte der FDP-Politiker. „Dieser Widerspruch ist Sache von Politik und Gesellschaft. Horst Seehofer kann ihn nicht an das Bundesverfassungsgericht delegieren.“
„Tödliche Gefahr in Deutschland“
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau lehnte eine weitere Einschränkung von Grundrechten ebenfalls ab. „In Deutschland ist genau geregelt, wann nach einer rechtskräftigen Verurteilung auch zweitweise bestimmte Grundrechte entzogen werden können“, sagte die Linken-Politikerin dem Tagesspiegel. Da gebe es keinen Änderungsbedarf.
„Mir wäre es lieber, wenn der Innenminister sich endlich um die rund 430 mit Haftbefehl gesuchten Nazis kümmern würde“, sagte Pau. Es sei außerdem höchste Zeit, die notwendigen Schlussfolgerungen aus dem NSU-Prozess zu ziehen. „Es ist unverständlich, warum so viele bekannte und verurteilte Rechtextreme immer noch eine Waffenerlaubnis haben“, sagte Pau. „Der Rechtsextremismus ist seit vielen Jahren eine tödliche Gefahr in Deutschland.“
Ähnlich argumentierte die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Martina Renner. Die Forderung nach Entzug von Grundrechten sei angesichts mordender Neonazis eine Scheindebatte, kritisierte sie. „Militante rechte Strukturen, aus denen heraus Terror geplant und ausgeübt wird, müssen verboten, Täter und Unterstützer konsequent verfolgt und die gewaltbereiten Netzwerke entwaffnet werden“, sagte Renner.
Die Maßnahme des Grundrechteentzugs nach Artikel 18 sei ineffektiv, da diese zu Recht mit hohen Hürden belegt und mit langen Verfahrenswegen versehen sei. „Wer die extreme Rechte wirklich schwächen möchte, der sorgt dafür, dass das Märchen der Einzeltäter und abgeschotteten Zellen beendet wird, und macht mit dem Abzug aller Spitzel den Weg frei für eine konsequente Strafverfolgung, ohne Intervention der Geheimdienste, die bisher Verbotsverfahren oder Verfolgung von Strukturen der gewaltbereiten Rechten mit Hinweis auf Quellenschutz sabotierten“, sagte Renner.
Seehofer will „mehr Biss“ für den Rechtsstaat
Seehofer will als Konsequenz aus dem Mordfall Lübcke den Kampf gegen den Rechtsextremismus deutlich verstärken. Wenn sich die Annahmen im Fall Lübcke bestätigten, „ist die Entwicklung brandgefährlich“, warnte der CSU-Politiker. Der Rechtsextremismus sei „zu einer echten Gefahr geworden“. Seehofer stellte den Rechtsextremismus auf eine Stufe mit dem islamistischen Terror und mit der Gefahr durch Reichsbürger.
Seehofer sagte, er wolle „dem Rechtsstaat mehr Biss geben“. Der Mord an Lübcke motiviere ihn, „alle Register zu ziehen, um die Sicherheit zu erhöhen.“
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) rief in einem Gastbeitrag für die „Bild“ zum Protest gegen Rechtsextremismus auf. Ähnlich wie „Fridays for Future“ für den Klimaschutz könne er sich einen „Donnerstag der Demokratie“ vorstellen. (mit dpa)