zum Hauptinhalt
Donald Trump und Bundeskanzlerin Angela Merkel 2018 im Weißen Haus
© Reuters/Brian Snyder

Loyale Unterstützer des US-Präsidenten: Entscheiden Deutsch-Amerikaner die Wahl für Trump?

Rund 43 Millionen Menschen deutscher Abstammung leben in den USA. Vor vier Jahren stimmten sie mehrheitlich für Trump. Das hatte auch psychologische Gründe.

Also proklamierte Donald Trump, Anfang Oktober 2019: Der Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren sei ein „Triumph der Freiheit“ gewesen. Das Ereignis unterstreiche, wie sehr sich die USA und Deutschland für Rechtsstaat und Menschenrechte einsetzten. „Unsere gemeinsamen Werte und historischen und kulturellen Bindungen stärken den ewigen Bund zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland. Diese Partnerschaft bildet das Fundament einer großen und hoffnungsvollen Zukunft für die Welt.“

Nanu? Es war derselbe Trump, der sonst keine Gelegenheit auslässt, über Deutschland herzuziehen. Über zu geringe Verteidigungsausgaben, die Ostseepipeline Nord Stream 2, Handelsdefizite, Flüchtlingspolitik, den Einfluss von Huawei. Doch an diesem Tag war all das, wenn nicht vergessen, so doch verdrängt.

Denn an diesem Tag rief der US-Präsident rief die Amerikaner dazu auf, den German-American-Day zu feiern. Ende des 17. Jahrhunderts waren die ersten Familien aus Deutschland eingewandert. Im Jahre 1883 hatte der „German Day“ seine Premiere in Philadelphia. Hundert Jahre danach erklärte US-Präsident Ronald Reagan den 6. Oktober als German-American-Day zu einem Feiertag.

Das klingt nach Folklore, hat aber einen triftigen wahlstrategischen Hintergrund. Fast alle Wählergruppen in den USA werden erforscht. Zu welcher Partei tendiert die verheiratete, weiße Frau ohne Universitätsabschluss? Worin unterscheiden sich die Cuban-Americans von den Mexican-Americans? Müssen Präsidentschaftskandidaten noch um die Stimmen der Irischstämmigen buhlen? Jede noch so kleine Nuance ist den Demoskopen wichtig.

Sie wohnen in den so genannten Swing States

Nur eine Gruppe, die durchaus wahlentscheidend sein kann, befindet sich außerhalb des öffentlichen Umfrageradars. Dabei ist sie, gemessen am Abstammungskriterium, die größte. Viele ihrer Mitglieder wohnen in den so genannten Swing States – Ohio, Pennsylvania, Wisconsin, Michigan, Florida. Es sind die German-Americans, die Deutsch-Amerikaner.

[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty.]

Rund 43 Millionen Menschen deutscher Abstammung leben in den USA. Das sind weit mehr als jene, deren Vorfahren aus England, Irland, Italien oder Asien stammen. Es sind auch mehr, als es Afroamerikaner oder Latinos gibt. Der „German Belt“, wo die meisten Deutsch-Amerikaner angesiedelt sind, reicht von Oregon im Nordwesten der Vereinigten Staaten und zieht sich über den gesamten Mittleren Westen bis nach Michigan, Ohio und Pennsylvania im Osten des Landes.

Das Gros der Einwanderer kam Mitte des 19. Jahrhundert

Im Präsidentschaftswahlkampf vor vier Jahren hoffte Hillary Clinton, dass die blaue Brandmauer, der „Blue-State-Firewall“, halten und ihr den Sieg einbringen würde. Stattdessen zerbröselte diese Mauer und Donald Trump zog ins Weiße Haus ein. Traditionell demokratische Bundesstaaten waren plötzlich, wenn auch knapp, republikanisch geworden. Es sind just die Bundesstaaten, in denen Deutsch-Amerikaner besonders stark vertreten sind.

Umfragen vor der Wahl ergaben eine klare Präferenz. Mehr als die Hälfte der Deutsch-Amerikaner favorisierte Trump, nur 33 Prozent neigten Clinton zu. Zwei Wissenschaftler vom „Department of Germanic Studies“ der Universität Texas in Austin, David Huenlich und Per Urlaub, haben das Phänomen nach der Wahl untersucht. Ihr Essay hat den Titel „Why are the German-Americans Trump’s most loyal supporters“? (Warum sind die Deutsch-Amerikaner Trumps loyalste Unterstützer?)

[Mehr zum Thema: Rapide steigende Corona-Zahlen – „Es fühlt sich so an, als hätten die USA aufgegeben“]

Die Antwort ist vielschichtig und hat sowohl mit Geschichte als auch mit Psychologie zu tun. Das Gros der deutschen Einwanderer kam Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie importierten Apfelkuchen, Weihnachtsbäume und den Osterhasen, Kindergärten, Turnvereine und Bierbrauereien. Die Deutschen bauten große protestantische Kirchen, gründeten Unternehmen wie Boeing, Levi Strauss, Charles M. Schwab, Chrysler, Steinway.

Liberale wandelten sich zu Konservativen

Viele deutsche Migranten standen politisch links und waren vom Verlauf der 1848er-Revolution enttäuscht. In den USA kämpften sie gegen die Sklaverei und für das Frauen-Wahlrecht, gründeten Zeitungen und Gewerkschaften. Um die Jahrhundertwende existierten nicht weniger als 488 deutschsprachige Zeitungen und Periodika in den USA. Die Empörung vieler Deutsch-Amerikaner über die Praxis der Sklaverei ließ sie Abraham Lincoln und die Republikanische Partei unterstützen. In kultureller Hinsicht wandelten sich Liberale zu Konservativen.

Dann kam der Erste Weltkrieg. Bis dahin hatten Deutsche in Amerika ihr Deutschtum ungehemmt ausleben können. Viele sympathisierten mit Kaiser Wilhelm. Doch während sich Deutsch-Amerikaner nachdrücklich für Amerikas Neutralität einsetzten, erklärte der demokratische Präsident Woodrow Wilson im April 1917 Deutschland den Krieg. Dadurch gerieten viele Deutsch-Amerikaner unter Druck. Wie loyal verhielten sie sich gegenüber ihrer alten Heimat? Deutschsprachige Zeitungen wurden zensiert, der Deutschunterricht in den Schulen eingeschränkt, die deutsche Kultur – von Bach über Beethoven bis Schiller – aus Musiksälen und Theatern verbannt. Sauerkraut wurde in „liberty cabbage“ umbenannt, alles Deutsche war verpönt.

[Mehr zum Thema: Kritik von prominenten Republikanern - Trumps Schutzmauer bekommt gefährliche Risse]

Viele Deutsch-Amerikaner reagierten verbittert. Als bei der Präsidentschaftswahl 1920 der Gouverneur aus Ohio, James Cox, ein Demokrat und Wilson-Getreuer, gegen den Republikaner Warren Harding antrat, stimmten die deutschstämmigen Amerikaner mit überwältigender Mehrheit für Harding. Aber im Grunde genommen stimmten sie „nicht für Harding, sondern gegen den Wilsonismus“, schreibt der Historiker Frederick C. Luebke von der „University of Nebraska-Lincoln“ in seiner Studie „German Immigrants and American Politics“.

Assimilation an einen uramerikanischen Konservatismus

Eine ähnliche Dynamik setzte vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Die Deutsch-Amerikaner, die im Mittleren Westen das Zentrum des Isolationismus bildeten, stellten sich bei der Präsidentschaftswahl 1940 gegen den Demokraten, Amtsinhaber Franklin D. Roosevelt. Statt dessen votierten sie für den republikanischen Herausforderer und Kriegsgegner, Wendell Willkie.

Im Kalten Krieg blieb die Bindung vieler Deutsch-Amerikaner an die „Grand Old Party“ (GOP) erhalten. Als der republikanische Senator Joseph McCarthy den Demokraten vorwarf, zu „weich gegenüber dem Kommunismus“ zu sein, fühlten sich Deutsch-Amerikaner in ihrer Auffassung bestätigt, dass nicht Deutschland, sondern die Sowjetunion der wahre Feind Amerikas sei.

[Alle wichtigen Nachrichten und Debatten des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter "Fragen des Tages". Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]

Allerdings hatte die Affinität zur Republikanischen Partei auch eine psychologische Ursache. Durch die Assimilation an einen uramerikanischen Konservatismus versuchten viele Deutsch-Amerikaner, das Stigma ihrer Abstammung zu überwinden, bilanzieren Huenlich und Urlaub. Nach zwei von Deutschland zu verantworteten Weltkriegen schien ein öffentlich zur Schau getragener Stolz auf die Herkunft nicht mehr möglich zu sein. „Deutsch-Amerikaner machten sich klein, anglisierten ihre Namen und hörten auf, Deutsch zu sprechen“, schreibt der „Economist“.

Trumps Großvater stammt aus Kallstadt

Trumps Wähler seien weiß, männlich und evangelikal, heißt es. Das stimmt. Doch der weiße, evangelikale Block ist nicht monolithisch. Auch Fragen der Abstammung und Herkunft spielen bei politischen Präferenzen eine gewichtige Rolle.

Im Jahr 2010 wurde im Kongress ein überparteilicher German-American-Caucus ins Leben gerufen. Inzwischen gehören ihm rund hundert Abgeordnete an. Das deutet auf ein wachsendes gruppenspezifisches Bewusstsein hin.

Womöglich wird Trump sich also mit seinem notorischen Deutschland-Bashing etwas mäßigen müssen. Jeder Hieb auf das Herkunftsland könnte seine Wiederwahlchancen bei Deutsch-Amerikanern schmälern. Schließlich ist er selbst einer. Trumps Großvater stammt aus Kallstadt im Südwesten von  Rheinland-Pfalz.

Zur Startseite