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Mieter kämpfen gegen Spekulation. Aber ist Enteignen der richtige Weg.
© Christoph Soeder/dpa

Wohnen in Berlin: Enteignung hilft nicht gegen Wohnungsnot

Wer explodierenden Mieten und Wohnungsnot etwas entgegensetzen will, muss andere Wege gehen, als zu enteignen: Bauen, bauen, bauen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Es gibt in der Physik Gesetzmäßigkeiten, die auch in der Politik gelten. Eine lautet: Wo ein Körper ist, da kann kein anderer sein. Was ins Politische übersetzt so viel bedeutet wie: Wenn Regierungen in einer für die Gesellschaft eminent wichtigen Frage ein Vakuum hinterlassen, wenn sie sich um die Probleme nicht kümmern und keine überzeugenden Lösungen präsentieren, dann handeln die Enttäuschten selbst und es bricht sich oft Irrationales Bahn.

In Berlin ist das gerade aufs Lehrreichste zu besichtigen. Weil Senat und Bezirke in den Augen Vieler keine Rezepte gegen Wohnungsnot und Wuchermieten haben, will eine Initiative per Volksentscheid erreichen, dass die größten privaten Immobilienfirmen enteignet werden. Zwar winkt den Eigentümern der Konzerne Entschädigung. Aber am Ende bleibt es, was es ist: Die Zwangs-Verstaatlichung von privatem Eigentum.

Klingt doch super: Wohn-Land in Volkes Hand. Nach niedrigen Mieten irgendwie, nach Gemeinwohl auf jeden Fall, und einen revolutionären Ruch vom kollektiven Kampf gegen Großkapitalisten hat es auch. Ganz klar, dass die Berliner Linkspartei sofort dafür war, wurscht, dass man hier selbst regiert und längst etwas hätte tun können. Wenn es um den Kampf der Volksmassen geht, wird jedes Sachargument fortgewischt. Grüne und Sozialdemokraten schwurbeln derweil irgendwas von „muss man mal prüfen“ bis „Notwehr“.

Das offene „Nein“, das im Namen der Vernunft geboten wäre, ist nicht zu hören. Und nun haben wir den Salat: Eine Mehrheit der Berliner bekundet schon Sympathie für das Vorhaben, Rückenwind für den Volksentscheid. Kommt er durch, steht Rot-Rot-Grün vor der Alternative: Großkapital oder Bürgerwillen? Wir dürfen gespannt sein auf die Antwort. Alles verkappte Kommunisten, diese Berliner? Keinesfalls: Wo Politik versagt, nutzen Populisten den entstandenen Raum.

Es war ein kapitaler Fehler

Gibt es an den Enteignungsplänen irgend etwas, was dem Gemeinwohl dienlich wäre? Eindeutig: Nein. Es war ein kapitaler Fehler, in den späten Neunzigern hunderttausende kommunaler Wohnungen zu Schleuderpreisen an Investoren zu verhökern. Gegen die Warnungen aller, die rechnen konnten und stadtplanerischen, heißt: gemeinwohlorientierten, Weitblick besaßen.

Diesen Fehler heute, zwanzig Jahre später, rückgängig machen zu wollen, wäre indes ein noch größerer Fehler. Nur die Immobiliengesellschaften würden gewinnen: Erst verkauft ihnen das Land Wohnungen für ein paar hundert Euro pro Quadratmeter. Jetzt wird für mindestens das Zehnfache entschädigt. Das Geschäft macht man gern.

Aber ernsthaft. Wer explodierenden Mieten und Wohnungsnot etwas entgegensetzen will, muss andere Wege gehen. Bauen, bauen, bauen. Landeseigenen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften attraktive Angebote machen, Flächen zu Konditionen hergeben, die Sozialmieten möglich machen, Druck auf Spekulanten, auch mehr Geld für den Ankauf von Häusern im Markt. Andere Großstädte zeigen, dass es Wege gibt. Keine einfachen Wege sind das und sie kosten viel Geld. Aber das macht nichts. Bezahlbarer Wohnraum ist ein hohes gesellschaftliches Gut.

Jeder Euro kann sinnvoller angelegt werden als in Enteignungen. Denn die werden keines der Probleme lösen. Und neue Enttäuschung und noch mehr Populismus schüren.

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