Aleppo-Demonstration in Berlin: Endlich regt sich Protest gegen Putins Krieg in Syrien
Die Demonstration vor der russischen Botschaft gegen den Krieg in Syrien hat einen Wert, den man nicht unterschätzen darf. Nun löst sich die Lethargie, zeigen Menschen Anteilnahme und Empörung. Ein Kommentar.
Aleppo ist eine der ältesten Städte der Welt. Abraham hat hier seine Herde geweidet und die Armen versorgt. Auch wenn das aus dem Reich der Legenden stammt: Mit Aleppo verbinden die eng verwandten Religionen des Buchs und der Wüste eine tiefe Bedeutung. Halap – so der arabische Name – gilt als Zentrum islamischer Kultur. Bis zu den Pogromen von 1947 gab es in Aleppo eine starke jüdische Gemeinde. Christliche Kirchen, armenisch, aramäisch, syrisch-orthodox, stehen nebeneinander in der Altstadt. Syrische Regierungstruppen haben auch dieses Viertel wieder eingenommen. Sie feiern einen grausigen Sieg. Niemand weiß, wie viele Menschen in der Falle sitzen. Was sie erwartet, wenn sie fliehen können. Aleppo ist Assads Inferno. Im eigenen Land. In einem russischen Satellitenstaat.
Aleppo stirbt. Schulen und Krankenhäuser zerbombt, der berühmte Basar in Schutt und Asche, zehntausende Tote und Verletzte. Nach wie vor harren Menschen unter unvorstellbaren Bedingungen aus. Was als legitimer Aufstand gegen den Tyrannen und Schlächter Assad begann, endet auf einem Trümmerfeld. Neben der Diplomatie liegen Humanität und Moral begraben.
Und wir sehen uns das an. Hunderttausende gehen gegen das transatlantische Freihandelsabkommen auf die Straße. Aber keiner demonstriert gegen den Krieg in Syrien. Da stimmt etwas nicht. Das hat die Bundeskanzlerin auf dem Parteitag der CDU gesagt. Angela Merkel zeigt Empathie. Ihr kaum versteckter Appell ist so couragiert wie ihr Verständnis für die Not der Flüchtlinge. Bürger, bewegt euch! Das hat der Schriftsteller Peter Schneider in dieser Zeitung geschrieben. Wo sind die Friedensfreunde, wenn einmal nicht gegen die USA und TTIP demonstriert wird?
Jetzt, endlich, regt sich Protest. Vor der russischen Botschaft in Berlin haben Bürger gegen Putins Krieg in Syrien protestiert. Schriftsteller hatten dazu aufgerufen, sehr spät. Demonstrationen in anderen Städten sind geplant. Von 200 Autoren aus 50 Ländern wurde der Aufruf „Schluss mit dem Massenmord in Aleppo!“ bis jetzt unterzeichnet.
Eine Fiktion geht unter
Aber auch sie wissen, dass mit Aleppo eine Fiktion untergeht. Vorüber die Zeit, als man die Welt in Gut und Böse einteilen konnte. Dabei waren die USA immer zugleich die Guten und die Bösen – und die Sowjetunion der Feind. Es gab gute und böse Diktatoren. In Syrien, nach Syrien funktioniert überhaupt keine Rollenverteilung mehr. Es gibt dort nur Kriegsverbrecher und Verlierer.
Assad und sein russischer Schirmherr Putin lassen die Opposition bombardieren, darunter sind auch islamistische Kampfgruppen – was im Irak die USA erledigen. In Syrien halten sie sich heraus. Falsch: Die USA liefern Waffen an Milizen, die gegen Assad kämpfen und im Zweifel auch untereinander. In diesem Chaos erinnert man sich an das Land vor dem Aufstand. An die brutal erzwungene Stabilität, die angenehm war für Touristen in den Restaurants der Altstadt von Aleppo, an der Bar des Hotel Baron, wo einst Agatha Christie vom Orient träumte.
Die kolonialen Staatengebilde zerfallen. Aleppo gibt es bald nicht mehr. Kein Ausweg ist zu erkennen. Oder doch? Putin und Assad wollen der Welt zeigen, dass eine militärische Lösung funktionieren kann. Deshalb hat der Protest gegen ihren Krieg einen Wert, den man nicht unterschätzen darf. Endlich löst sich die Lethargie, zeigen Menschen Anteilnahme und Empörung. Natürlich kommt sofort der Einwand: Auch anderswo werden Kriegsverbrechen begangen, und wir zucken bloß mit den Achseln. Doch das schmälert nicht einen Einsatz für die Menschen in Aleppo. Der Anlass ist konkret, keine Frage der Ideologie, es könnte schlimmer nicht sein.
Sie sterben dort. Jetzt. Seit Monaten, seit Jahren, und das Sterben wird weitergehen. Es ist zynisch, wegen der kaum durchschaubaren Lage in Syrien lieber nicht zu demonstrieren. In diesen Zeiten still da zu sitzen, ist politisch überhaupt fatal. Es ist unmenschlich, über den Vernichtungskrieg in Aleppo zu schweigen.
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