Vor dem EU-Gipfel: Ende des europäischen Klein-klein
Die EU ist sich bei den Corona-Hilfen immerhin in einem Punkt einig: der gemeinsamen Schuldenaufnahme. Die Richtung stimmt. Ein Kommentar.
Die EU steht am Ende der kommenden Woche vor einer Entscheidung, die nicht nur schwierig ist, sondern auch schwerwiegend. Es geht um die sagenhafte Summe von 1,8 Billionen Euro, die ab Anfang des kommenden Jahres verteilt werden soll.
Schwierig wird die Entscheidung deshalb, weil altbekannte Gegensätze in der EU auch diesmal wieder sichtbar werden: Knauserige Vertreter des Nordens wie der niederländische Premier Mark Rutte stehen ungeduldigen Vertretern dies Südens wie dem italienischen Regierungschef Giuseppe Conte gegenüber, die auf eine rasche Auszahlung der Corona-Hilfen pochen. Und mittendrin Kanzlerin Angela Merkel.
Schwerwiegend sind die Details des Corona-Hilfspakets, um das es beim bevorstehenden EU-Gipfel in erster Linie gehen wird, wegen der neuartigen Art der Finanzierung: Die EU will für die geplanten Konjunkturhilfen erstmals Schulden im großen Stil aufnehmen.
Es war Merkel, die in der Krise diesen europapolitischen Richtungswechsel gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron eingeleitet hat. Mittlerweile sind alle übrigen 25 Staats- und Regierungschefs mit dem deutsch-französischen Duo d’accord, was die grundsätzliche Frage der Schuldenaufnahme anbelangt.
Das Ende des Klein-klein
Damit unterscheidet sich das gegenwärtige Krisenmanagement der 27 EU-Staaten schon einmal wohltuend vom nationalstaatlichen Klein-klein, das noch während der Euro-Krise herrschte. Damals flammte auch im Bundestag immer wieder eine grundsätzliche Diskussion über das Für und Wider der Griechenland-Hilfen auf.
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Diesmal gibt es hingegen Konsens: Das milliardenschwere Hilfspaket ist dringend nötig, weil die Krise in einzelnen Ländern den gesamten europäischen Binnenmarkt gefährdet – und damit nicht zuletzt auch Deutschlands Exportwirtschaft.
Kredite bergen Risiken
Dass nun trotzdem vor dem Gipfel intensiv über den Corona-Hilfsfonds gestritten wird, hängt mit den Bedingungen für die Vergabe der Milliarden zusammen. Italien und Spanien wollen das Geld als Zuschüsse erhalten, wie es Merkel und Macron in ihrem Plan für einen 500-Milliarden-Fonds auch vorgeschlagen haben. Die „sparsamen Vier“ – die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark – bevorzugen Kredite, die von den Empfängerländern wieder zurückbezahlt werden müssen.
Gegen eine Kreditlösung spricht allerdings, dass Darlehen die Staatsverschuldung vor allem in Italien weiter in die Höhe treiben würden. Dies könnte zur Gefahr für den Euro werden.
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In einem anderen Punkt haben die „sparsamen Vier“ aber Recht: Die Auszahlung der Corona-Milliarden muss strikt an die Bedingung geknüpft werden, dass die Hilfen tatsächlich in zukunftsträchtige Bereiche wie den Klimaschutz und die Digitalisierung fließen. Das Geld darf nicht zur Sanierung der Staatskassen in Rom und Madrid verwendet werden.
Vielmehr müssen die Zahlungen dazu dienen, die besonders betroffenen Länder gegen künftige Krisen wirtschaftlich besser zu wappnen. Sinnvoll ist es dabei, wenn die Kontrolle nicht bei der – im Zweifel nachsichtigen – EU-Kommission liegt, sondern in den Hauptstädten der EU.
Auch Deutschland verfolgt trotz EU-Vorsitz Eigeninteressen
Da Deutschland gegenwärtig den Vorsitz in der EU innehat, hat Merkel zwangsläufig die Aufgabe, nach der grundsätzlichen Verständigung über die gemeinsame Schuldenaufnahme nun auch eine Lösung zur Auszahlung der Gelder entscheidend mitzugestalten. Vor dem Europaparlament in Brüssel ließ sie in der vergangenen Woche durchblicken, dass sie eine Einigung über den Corona-Hilfsfonds durchaus gerne als Teil ihres politischen Vermächtnisses sehen würde.
Bei den bevorstehenden Detailverhandlungen wird Deutschland, so viel ist ebenfalls schon klar, aber auch nicht völlig selbstlos auftreten. Berlin wird deutsche Eigeninteressen, etwa den Rabatt bei den Einzahlungen in die EU-Kasse, auch im EU-Vorsitz konsequent weiterverfolgen.
Und wenn es notfalls noch einen weiteren Gipfel brauchen sollte, falls am Ende dieser Woche noch keine Einigung steht, wäre das auch keine Katastrophe. So funktioniert Europa als ewige Kompromissmaschine eben.