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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor dem EU-Parlament
© Reuters/Francois Lenoir

Merkels emotionaler Auftritt im EU-Parlament: „Wir wollen einen Aufbruch für Europa“

Die Kanzlerin skizziert in Brüssel ihre Agenda für die sechs Monate der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die EU stehe vor ihrer „größten Bewährungsprobe“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat vor den Europa-Parlamentariern ihr Programm für die deutsche Ratspräsidentschaft erklärt. Bei ihrer ersten Auslandsreise seit Ausbruch der Pandemie hat sie bewusst zu aller erst das Hohe Haus in Brüssel angesteuert.

Erst danach traf sie sich mit den Spitzen der EU, den Präsidenten von Kommission, Ursula von der Leyen, Rat, Charles Michel, und Parlament, David Sassoli, um den wichtigen Gipfel in der nächsten Woche vorzubereiten.

In den Mittelpunkt ihrer emotionalen Rede stellte die ansonsten eher nüchterne Kanzlerin den Gedanken der Solidarität. „Allein kommt niemand durch die Krise. Wir alle sind verwundbar.“ Das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft lautet daher „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“

Allen Anwesenden sei bewusst, „dass mein heutiger Besuch vor dem Hintergrund der größten Bewährungsprobe in der Geschichte der Europäischen Union stattfindet“. Mit der gewaltigen finanziellen Anstrengung des Aufbaufonds – Deutschland und Frankreich schlagen Zuschüsse in Höhe von 500 Milliarden Euro vor – gehe es nicht darum, Europa kurzfristig zu stabilisieren.

„Wir wollen ein Europa, das zukunftsfähig ist, das innovativ und nachhaltig seinen Platz in der Welt behauptet. Wir wollen einen Aufbruch für Europa.“ Sie appellierte an die Abgeordneten mitzuhelfen, eine Einigung bei dem Finanzpaket hinzubekommen: „Ich brauche Sie, Sie sind der Vermittler von Verständnis, Sie sind der Übersetzer der europäischen Prinzipien“, rief sie den Abgeordneten des einzigen multinationalen Parlaments der Welt zu.

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Die Bedeutung rechtsstaatlicher Prinzipien

Überraschend viel Raum nimmt in ihrer Rede das Prinzip der Rechtstaatlichkeit ein. Auch in den eigenen Reihen steht Merkel unter Druck, die Vergabe der hohen EU-Fördersummen streng an die Wahrung von rechtsstaatlichen Prinzipien zu knüpfen.

Länder wie Rumänien, Tschechien und Ungarn sollen nur dann in den Genuss der Milliarden kommen, wenn es auch bei der Wahrung der demokratischen Prinzipien mit rechten Dingen zugeht. Harte Ansagen sind heikel, da die Zeit drängt und der Beschluss über die EU-Finanzen im Kreis der 27 Staat- und Regierungschefs einstimmig getroffen werden muss.

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Ohne namentlich ein Land zu erwähnen, wurde Merkel jedoch sehr deutlich: „Die Grundrechte sind das erste, was mir in der deutschen Ratspräsidentschaft am Herzen liegt.“ Sie seien das Versprechen Europas, das man garantieren müsse.

Eine Demokratie, in der Kritik nicht erwünscht ist, sei keine. Wenig später sagt sie den Satz, bei dem spontan Applaus aufkommt: „Dem Fakten leugnenden Populismus werden seine Grenzen aufgezeigt.“

Merkel endet mit einem persönlichen Bekenntnis als Musikliebhaberin. Beethoven, der Komponist der Europahymne wäre im Dezember 250 Jahre alt geworden. „Mich erfüllt diese 9. Sinfonie immer noch und immer wieder neu.“ Ihr Wunsch sei, dass die Botschaft der Musik, „die Brüderlichkeit und Eintracht, uns in Europa leiten möge.“

Viel Zuspruch

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen antwortete als erste. Sie schlüpfte dafür ganz in die Rolle der Europäerin, wenn sie sagte: „Die Aufgabe für Deutschland könnte herausfordernder nicht sein – man traut euch etwas zu.“

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht am Mittwoch im Plenum des Europäischen Parlaments.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht am Mittwoch im Plenum des Europäischen Parlaments.
© Yves Herman/Reuters Pool/AP/dpa

In der folgenden Aussprache bekommt Merkel auch aus den anderen Parteienfamilien viel Zuspruch. Die Fraktionschefin der Sozialisten, Iratxe Garcia Perez, sagt: „Ich vertraue darauf, dass Sie Europa in den nächsten sechs Monaten stärker machen.“

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Der Fraktionschef der Liberalen, Dacian Ciolos, hebt hervor: „Es hat mich emotional berührt, dass Sie auch die Perspektive von uns Osteuropäern nicht vergessen haben, die auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs gelebt haben.“

Der Chef der deutschen Grünen-Abgeordneten, Sven Giegold, lobt Merkel: „Sie haben mit dem Vorschlag für den Wiederaufbaufonds drei Tabus Ihrer eigenen Europa-Politik gebrochen. Das ist eine Wende um 180 Grad. Sorgen Sie dafür, dass Solidarität zum dauerhaften Prinzip der Europa-Politik wird. Sie darf keine Eintagsfliege bleiben.“

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