Die Zukunft des Euro: Emmanuel Macron und die deutsche Krankheit
Der Euro ist instabil, weil sich Löhne und Inflationsraten in den Euroländern ungleich entwickeln, sagt eine neue Studie - und gibt Deutschland die Schuld am Krisenmodus. Zu Recht. Ein Kommentar.
Die Rede war gut fürs Geschichtsbuch. Die Europäische Währungsunion könne nicht fortbestehen, wie sie derzeit verfasst sei, erklärte der Redner im Januar in der Berliner Humboldt-Universität. Darum sei „der Status quo gleichbedeutend mit der Auflösung des Euro binnen zehn Jahren“, mahnte Emmanuel Macron. Doch Deutschlands Regierende hörten lieber weg.
Fünf Monate später ist der Redner Präsident in Frankreich, und sie müssen zuhören. Darum streiten nun Union und SPD über die „fiskalische Integration“ der Eurozone mit eigenem Budget samt Finanzminister, wie es Macron gefordert hat. Und prompt üben sich die medialen Hüter des deutschen Wohlstands-Chauvinismus von „Bild“ bis „Spiegel“ in der Warnung vor dem Angriff des Euro-Partners auf die Staatskasse.
Doch der Diskurs zielt am eigentlichen Problem vorbei. Es geht nicht darum, den deutschen Steuerzahler für ausländische Schuldenmacher bluten zu lassen. Entscheidend wird vielmehr, ob die Deutschen die Fehlsteuerung im eigenen Land angehen.
Die Instabilität des Eurosystems geht auf die ungleiche Entwicklung von Löhnen und Inflation zurück. Das belegt eine neue Studie der EU-Denkfabrik Bruegel. Darin zeigen die Autoren, dass es die Deutschen sind, die in Euroland die zentrale Regel einer Währungsunion fortwährend brechen, die Einhaltung des gemeinsamen Inflationsziels. Um dies zu halten, müssten die Löhne in dem Maße steigen, wie auch die Produktivität zunimmt, also der Produktionswert pro Arbeitsstunde, plus den von der EZB vorgegebenen knapp zwei Prozent Geldentwertung.
Die Regierung will immer nur noch mehr Wettbewerb
Daran haben sich die Franzosen gehalten. In Deutschland dagegen sind Löhne und Gehälter seit dem Start des Euro durchweg langsamer gestiegen als die Produktivität. Die Tarifflucht der Unternehmen und die Hartz-Reformen drückten das Lohngefüge gewaltig. Am härtesten traf das die unteren 40 Prozent der Lohnbezieher. Deren reale Stundenlöhne waren 2015 niedriger als 20 Jahre zuvor. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung hat keinen Anteil mehr am wirtschaftlichen Fortschritt.
Eben das ist zugleich die Ursache für den extrem hohen Überschuss der deutschen Wirtschaft im internationalen Handel und die entsprechenden Defizite der anderen Euroländer, gerade auch von Frankreich. Die Deutschen profitieren von der Kaufkraft anderswo, kaufen und investieren aber selbst zu wenig und exportieren so Arbeitslosigkeit. Spiegelbildlich fließt das Kapital. Die Länder mit Handelsdefiziten häufen Schulden an und die Deutschen entsprechend hohe Guthaben.
Auf diese Schieflage kennen die Kanzlerin und ihr Finanzminister bis heute nur eine Antwort: Alle anderen sollen es machen wie die Deutschen, damit sie „wettbewerbsfähig“ werden. Aber das ist ökonomisch unsinnig. Unternehmen sollen im Wettbewerb stehen, nicht Staaten, und das schon gar nicht in einer Währungsunion.
Es kann nicht um einen Wettlauf nach unten gehen
Es würde nur tiefer in die Spaltung führen. Wo immer die Euro-Regierungen diese euphemistisch so genannte „interne Abwertung“ betrieben haben, glichen sie zwar das Handelsdefizit aus. Aber sie stürzten noch tiefer in Rezession und Arbeitslosigkeit. Frankreich tut darum gut daran, sich zu widersetzen und Macron hat recht: Die Währungsunion kann nicht bestehen, wenn sie alle in einen Wettlauf nach unten zwingt. Das verschärft die Ungleichheit und stärkt die Nationalisten.
Dagegen wäre ein gemeinsamer Etat für Euroland aber allenfalls ein Trostpflaster. Viel wichtiger wäre, die deutsche Krankheit der Eurozone selbst zu bekämpfen.
Der Schlüssel dazu sind die deutschen öffentlichen Investitionen. Schon seit 2003 reichen sie nicht mehr, um auch nur den Verfall der bestehenden Infrastruktur auszugleichen. Seitdem schrumpft der staatseigene Kapitalstock. Landesweit verrotten Straßen, Brücken, Schienen, Schulen und Universitäten. Würden Bund und Länder die Gunst der Stunde nutzen, um mit Krediten zum Nulltarif den Verfall zu stoppen, wäre das ein Segen für die ganze Eurozone. Mit einer solchen Investitionsoffensive, das rechnete kürzlich das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie (IMK) vor, könnten die Einkommen und damit die Nachfrage nach ausländischen Waren und Dienstleistungen ausreichend steigen, um die Leistungsbilanz auszugleichen.
Bleibt es dagegen beim bisherigen Kurs, würde das auch Macrons Frankreich in die Abwärtsspirale aus sinkenden Löhnen und sinkenden Staatsausgaben zwingen. Der Sieg des Front National bei der nächsten Wahl wäre dann garantiert.