Französischer Präsidentschaftskandidat in Berlin: Macron: "Ich verteidige das europäische Projekt"
In Berlin erklärt der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron, wie er Frankreich reformieren und die Euro-Staaten zusammenhalten will.
Emmanuel Macron kann Säle füllen. Auch diesen hier im „Park Inn“-Hotel in Berlin. Der Mann, der Frankreichs nächster Präsident werden will, lockt am Dienstag zur Mittagsstunde gut 200 Auslandsfranzosen an. Das ist zwar einerseits wenig im Vergleich zu den 15.000 Anhängern, die beim ersten großen Wahlkampf-Meeting des jungen Shooting Stars im Dezember in Paris dabei waren. Aber andererseits verleiht der Auftritt in Berlin dem 39-Jährigen eine internationale Statur. „Es gibt im Land eine Welle, die größer wird“, sagt Macron.
Macron zieht sowohl enttäuschte Sozialisten als auch gemäßigte Konservative an
Mit dieser Welle meint der Präsidentschaftskandidat aus dem Nachbarland seine Bewegung „En Marche!“ („Auf geht’s!“). Vor zehn Monaten hat Macron die Bewegung gegründet, inzwischen zählt sie 136.000 Mitglieder. Vier Millionen Euro sind bislang an Spenden in die Bewegung geflossen, der sowohl enttäuschte Sozialisten angehören als auch konservative Republikaner, die mit ihrem weit rechts stehenden Kandidaten François Fillon fremdeln.
Der fehlende Zusammenhalt in der Euro-Zone bereitet ihm Sorge
Die Dynamik, welche „En Marche!“ inzwischen entfaltet hat, ist auch in Berlin spürbar. Viele junge Menschen sind gekommen, ganz vorne im Saal hält eine Frau ein Plakat mit der Europaflagge hoch. Macron will die Präsidentschaftswahl in Frankreich mit einer pro-europäischen Kampagne gewinnen – was angesichts der weit verbreiteten EU-Skepsis im Nachbarland ein enormes Wagnis ist. Später wird er am Abend bei einer Rede in der Humboldt-Universität sagen: „Ich verteidige das europäische Projekt.“ Der fehlende Zusammenhalt in der Euro-Zone bereitet ihm Sorgen, und bei der Stärkung der Währungsunion sieht er sowohl Paris als auch Berlin in der Pflicht: Nach seiner Auffassung muss zunächst einmal Frankreich Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem liefern, aber Deutschland solle dann auch mehr Geld in Investitionen stecken.
Kritik am traditionellen Links-Rechts-Schema
In den Augen von Macron ist die traditionelle Spaltung der politischen Landschaft Frankreichs in zwei unversöhnliche Lager links und rechts der Mitte überholt. Ob bei der Europapolitik, dem Umgang mit der der digitalen Revolution oder auch der Stellung der Religion in Frankreich – in all diesen wegweisenden Fragen helfe das alte Links-Rechts-Schema nicht weiter, sagt er vor den Auslandsfranzosen.
Der smarte Politiker stellt sich als ein Anti-System-Kandidat dar und weckt damit bei vielen Franzosen die Hoffnung auf eine grundlegende Erneuerung ihres Landes. Nach einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Meinungsumfrage ist es möglich, dass Macron bei der Präsidentschaftswahl in die entscheidende zweite Runde am 7. Mai kommt.
Trotz seines Auftretens als Neuerer der französischen Politik will Macron allerdings auch bei seinem Auftritt in Berlin gar nicht verhehlen, dass er selber sehr wohl ein Geschöpf des Politik-Kosmos im Nachbarland ist. Bis zu seinem Rücktritt im vergangenen August war er als Minister für die Wirtschaftspolitik zuständig. Ausdrücklich lobt er denn auch die gute Zusammenarbeit mit seinem seinerzeitigen Ressortkollegen Sigmar Gabriel. Der Name von Staatschef François Hollande fällt aber kein einziges Mal.
Hollande ist als Präsident daran gescheitert, dass es ihm nicht gelang, den Trend der Massenarbeitslosigkeit in Frankreich wesentlich umzukehren. Hier sieht Macron auch in erster Linie Handlungsbedarf. Sein Vorwurf lautet, dass es weder den Sozialisten noch den Konservativen in Frankreich in den letzten vier Jahrzehnten gelungen ist, die Arbeitslosigkeit wesentlich zu mindern. In der Frage-Antwort-Runde vor seinen Anhängern macht der frühere Investmentbanker deutlich, dass die Wirtschaft sein eigentliches Leib-und-Magenthema ist. Wenn Menschen etwa durch die Digitalisierung ihren Arbeitsplatz verlieren, dann dürfe das nicht in die Dauerarbeitslosigkeit führen, fordert er. Anders als am Ende des Nachkriegs-Booms, bei dem erstmals in Frankreich Massenarbeitslosigkeit verzeichnet wurde, sei heute eine „kontinuierliche Ausbildung“ aller Beschäftigten das Gebot der Stunde.
Wahlkampf ohne Parteiapparat
Allerdings gibt es einen großen Unsicherheitsfaktor in Macrons Mission, den Elysée-Palast zu erobern. Am Ende könnten die Franzosen bei der Wahl davor zurückschrecken, einem Kandidaten wie Macron ihre Stimme zu geben, der keine Partei im klassischen Sinne hinter sich weiß. Auch auf diese Frage hat der Kandidat eine Antwort parat. Er erinnert daran, dass ein ganz Großer in der französischen Politik vor über einem halben Jahrhundert auch zunächst keinen großen Parteiapparat zur Verfügung hatte – nämlich Charles de Gaulle.