zum Hauptinhalt
Die Eltern des ermordeten deutsch-türkischen Internetcafe-Besitzers Halit Yozgat, Ayse und Ismail Yozgat.
© Frank Rumpenhorst/dpa

Prozess in München: Eltern von NSU-Mordopfer kritisieren das Gericht

Familie Yozgat weiß auch elf Jahre nach dem Tod von Sohn Halit nicht, warum der NSU ausgerechnet ihren Sohn getötet hat. Zschäpe schweigt weiterhin.

Der Schmerz lässt nicht nach. Ayse Yozgat, eine kleine Frau mit silbernem, schwarz gepunkteten Kopftuch, spricht Beate Zschäpe auf Türkisch direkt an, ein Dolmetscher übersetzt. „Können Sie einschlafen, wenn sie den Kopf auf das Kissen legen? Ich
kann es seit elf Jahren nicht, denn ich vermisse meinen Sohn so sehr“, sagt die Mutter des von den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossenen Halit Yozgat. Dann wendet sich die Frau an die Richter. „Sie haben wie Bienen gearbeitet, aber sie haben keinen Honig produziert. Es gibt kein Ergebnis.“ Familie Yozgat weiß auch mehr als elf Jahre nach dem Tod von Halit und nach mehr als viereinhalb Jahren NSU-Prozess nicht, warum die Terrorzelle ausgerechnet bei ihnen in Kassel zuschlug.

Wenn bei den Plädoyers der Nebenkläger im Oberlandesgericht München Angehörige von Ermordeten und überlebende Opfer auftreten, ist die Stimmung noch gedrückter als bei den auch schon harten Vorträgen der Anwälte. Am Mittwoch geht es um den Mord an dem 21-jährigen, türkischstämmigen Halit Yozgat.Es war das neunte und letzte tödliche Attentat des NSU auf Migranten. Am Nachmittag des 6. April 2006 töteten  Böhnhardt und Mundlos in einem blitzschnellen Überfall den jungen Mann  in seinem Internetcafé. Und der Fall hat zusätzliche Brisanz. Mutmaßlich zur Tatzeit saß der Verfassungsschützer Andreas T. im hinteren Raum an einem Computer. Der Mann beteuert bis heute, er habe von dem Mord nichts mitbekommen und beim Verlassen des Internetcafés Halit Yozgat nicht gesehen.

"Mit welchem Recht haben Sie das getan?"

Halits Vater glaubt, T. sei in den Mord verstrickt – oder sogar selbst der Mörder. Ismail Yozgat spricht am Mittwoch nach seiner Frau und schleudert mit lauter Stimme, ebenfalls auf Türkisch, wütende Sätze in den Saal. Der „Agent“ Andreas T. „hat meinen Sohn ermordet oder er hat den Täter arrangiert“, sagt der Vater. Und er macht Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU), 2006 Landesinnenminister, mitverantwortlich. Bouffier habe Andreas T. in Schutz genommen, behauptet Ismail Yozgat.

Der Politiker steht in der Kritik, weil er verhinderte, dass die Polizei in direkter Vernehmung mehrere V-Leute des hessischen Verfassungsschutzes zum Mord befragen konnte. Bouffier ließ nur schriftliche Fragen zu, um eine Enttarnung der Spitzel zu vermeiden. Die Eltern Yozgat hatten im NSU-Prozess schon früh als Zeugen ausgesagt. Ihre Auftritte im Oktober 2013, knapp ein halbes Jahr nach dem Beginn des Prozesses, waren auch damals beklemmend. Ismail Yozgat warf sich auf den Boden, um zu demonstrieren, wie sein sterbender Sohn im Internetcafé gelegen hatte. „Mit welchem Recht haben Sie das getan, warum haben Sie mein Lämmchen getötet“, rief der Vater den Angeklagten zu. Zschäpe und drei der männlichen Angeklagten blickten versteinert. Nur Carsten S. wirkte berührt. Er hatte zu Beginn des Prozesses die Beschaffung der bei allen Morden an den Migranten eingesetzten Pistole Ceska 83 gestanden.

Zschäpe behielt beim Zeugenauftritt von Mutter Yozgat auch ihr Pokerface, als die Frau sie ansprach. „Ich bitte Sie, dass Sie alle diese Vorfälle aufklären“, flehte Ayse Yozgat. „Weil Sie eine Frau sind, denke ich, dass die Frauen sich gegenseitig verstehen.“  Die Mutter schilderte ihre Qualen, „seit sieben Jahren schlafe ich jeweils nur zwei Stunden“. Ayse Yozgat blickte Zschäpe eindringlich an und sagte, „denken Sie bitte immer an mich, wenn Sie sich ins Bett legen. Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann.“ Zschäpe brach erst zwei Jahre später ihr Schweigen. Zur Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat und der weiteren neun Opfer trug die Angeklagte jedoch nichts bei.

Frank Jansen

Zur Startseite