NSU-Prozess in München: Nebenkläger greifen Bundesanwaltschaft an
Der Generalbundesanwalt soll den Verfassungsschutz "aktiv geschützt" haben, so die Vorwürfe der Nebenkläger. Beim NSU-Prozess geht es schon lange nicht mehr nur um Beate Zschäpe.
Die Vorwürfe nehmen kein Ende. Bei den Plädoyers der Nebenkläger im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München attackiert ein Opferanwalt nach dem anderen die Behörden, vor allem die Bundesanwaltschaft und den Verfassungsschutz. Und auch beide gemeinsam. „Der Generalbundesanwalt hat den Verfassungsschutz aktiv geschützt, indem er in der Anklage nur die V-Leute und Informanten aufführte, an deren Erwähnung er quasi nicht vorbei kam“, sagte nun am Dienstag die Berliner Anwältin Antonia von der Behrens. Sie vertritt den jüngsten Sohn des 2006 von den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Dortmund erschossenen Türken Mehmet Kubasik.
Die Anwältin nannte drei Spitzel, die in der Anklageschrift genannt werden, und mehrere weitere, die aus Sicht der Nebenkläger auch hätten erwähnt werden müssen. Das Zusammenspiel von Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz, so wie es Nebenkläger und ihre Anwälte sehen, kritisierte von der Behrens auch anhand eines weiteren Falles. Der Generalbundesanwalt hat nach Auffassung der Juristin da speziell auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) „aktiv geschützt“. Dies sei im Zusammenhang mit der „Operation Konfetti“ öffentlich geworden. Mit dem makabren Begriff ist die Schredder-Affäre des BfV gemeint. Ein Referatsleiter hatte 2011, kurz nach dem Auffliegen des NSU, Unterlagen zu sieben V-Leuten aus der rechtsextremen Szene in den Reißwolf stecken lassen. Ein halbes Jahr später kam es heraus, der damalige BfV-Präsident Heinz Fromm trat zurück.
„hält sich noch im Rahmen des Zulässigen“
Der Generalbundesanwalt habe die Akten, deren Vernichtung der BfV-Beamte „angeordnet hat und die später zum Teil rekonstruiert wurden, zu keinem Zeitpunkt eingesehen oder angefordert“, kritisierte von der Behrens. Sie monierte auch, dass Oberstaatsanwältin Anette Greger, die mit zwei Kollegen für die Bundesanwaltschaft im Prozess sitzt, sich 2015 gegen den Antrag von Opferanwälten aussprach, die teilweise wiederhergestellten Akten beizuziehen und den BfV-Beamten als Zeugen zu hören. Dazu zitierte von der Behrens auch aus der Aussage, die der Verfassungsschützer gemacht hatte, als die Bundesanwaltschaft ihn 2014 vernahm.
An diesem Punkt gab es dann wieder einmal Ärger mit einem der Verteidiger von Beate Zschäpe. Er müsse beanstanden, dass der Vorsitzende Richter zulasse, „dass groß und breit aus den Akten vorgelesen wird“, sagte Anwalt Wolfgang Heer. Es gehe in der Hauptverhandlung „nicht um eine Anklage gegen den Staat“. Sondern nur darum, zu würdigen, was im Prozess passiert sei, „nicht außerhalb“.
Von der Behrens bekam jedoch Unterstützung nicht nur von weiteren Opferanwälten, sondern auch von der geprügelten Bundesanwaltschaft. Der Vortrag der Anwältin „hält sich noch im Rahmen des Zulässigen“, sagte Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. In der Kritik, die von der Behrens äußere, könne auch „ein Appell an die Aufklärungspflicht“ des Strafsenats gesehen werden. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl bewertete das Plädoyer ähnlich, „ich denke, dass es sich im Bereich des Zulässigen bewegt“. Verteidiger Heer beantragte dazu einen Gerichtsbeschluss. Götzl unterbrach dafür die Hauptverhandlung. Der Richter verkündete dann eine Stunde später den Beschluss des Strafsenats, die Beanstandung des Plädoyers zurückzuweisen.
Die scharfe Kritik der Nebenklage-Anwälte an den Behörden und die Intervention aus den Reihen der Verteidiger Zschäpes sind fast schon ein Ritual im NSU-Prozess. Verbunden mit der im Beschluss stehenden Aufforderung, die Schlussvorträge nicht zu stören. Bislang haben die Richter immer zugunsten der plädierenden Opferanwälte entschieden.
Frank Jansen