Justizminister Heiko Maas im Interview: "Einen Rabatt auf Grundrechte wird es für die Türkei nicht geben"
Justizminister Heiko Maas über den Umgang der Regierung mit der Türkei, die Kontrolle von Briefkastenfirmen, Satire und Meinungsfreiheit – und die Lage der Sozialdemokraten.
Herr Maas, gibt es zweierlei Gesetz – eines für die Reichen und eines für die normalen Menschen?
Ganz bestimmt nicht. Das Recht ist für alle gleich – da gibt es keinen Unterschied.
Werden nun durch die Enthüllungen über die Panama Papers nicht jene in ihrem Misstrauen bestärkt, die glauben, dass Reiche von der Politik bevorzugt werden?
Wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, dass die Politik die Reichen anders behandelt als jeden anderen auch, wäre das eine fatale Entwicklung. Dann würde das Vertrauen in unsere politische Ordnung erschüttert. Aber davon ist unser Rechtsstaat weit entfernt.
Sind Sie sicher?
Diese Gefahr droht nur, wenn die Politik die Missstände einfach hinnehmen und nicht gegen sie kämpfen würde. Die Bundesregierung handelt aber – und das nicht erst seit der Veröffentlichung der Panama Papers.
Was meinen Sie konkret?
Wir haben in den vergangenen Monaten zu den Themen Geldwäsche, Vermögensabschöpfung und Terrorismusfinanzierung schon schärfere Regelungen auf den Weg gebracht oder sind gerade dabei, schärfere Regelungen zu verabschieden.
"Wir müssen mehr Transparenz schaffen."
Was hilft denn gegen das System der Briefkastenfirmen, das die Panama Papers nun so eindrucksvoll belegen?
Wir müssen mehr Transparenz schaffen. Die systematische Verschleierung muss ein Ende haben. Die maßgeblich wirtschaftlich Berechtigten, die hinter einer Briefkastenfirma stehen, dürfen nicht länger anonym bleiben. Wir wollen unser Geldwäschegesetz ergänzen und ein Transparenzregister schaffen. Denn mehr Transparenz ist auch ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Terrorismusfinanzierung.
Das Transparenzregister hat doch die EU schon längst beschlossen …
Ja. Und das ist gut so. Denn: Wir brauchen Transparenz nicht nur in Deutschland, sondern auch in der gesamten EU. Nur so können wir auch weltweit glaubwürdig für mehr Transparenz kämpfen. Die Panama Papers zeigen doch, wie notwendig diese Arbeit ist.
Warum verbieten Sie die Briefkastenfirmen nicht weltweit?
Das Problem bei Briefkastenfirmen fängt da an, wo die Dinge verschleiert werden sollen. Deswegen dürfen wir in unserem Kampf für mehr Transparenz nichts unversucht lassen. Wenn internationaler Druck nicht ausreicht, um kriminelle Machenschaften zu bekämpfen, müssen wir auch über weitere nationale Maßnahmen nachdenken: Wir sollten einen wichtigen Vorschlag von Altkanzler Helmut Schmidt aufgreifen und Finanzeinlagen zugunsten solcher Unternehmen und Personen verbieten, die rechtlich in Steuer- und Aufsichtsoasen registriert sind.
Wollen Sie das bis zur Bundestagswahl 2017 noch umsetzen?
Wir sollten ein solches Finanztransferverbot für Briefkastenfirmen in Steuer- und Aufsichtsoasen zumindest in Erwägung ziehen. Damit könnten wir den Druck auf unkooperative Staaten erhöhen.
Der Kampf gegen Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung wird auch dadurch erschwert, dass den Ermittlungen gegen Unternehmen strenge Grenzen gesetzt sind. Wie wollen Sie da vorankommen?
Wir arbeiten schon lange an einem Vorschlag, um Unternehmen und Banken stärker in die Haftung nehmen. Es muss höhere und wirksame Sanktionen geben. Bislang liegt die starre Obergrenze für Bußgelder bei zehn Millionen Euro. Manche sagen, das ist zu hoch für sehr kleine Unternehmen und deutlich zu niedrig für große Unternehmen. Wir brauchen flexible Obergrenzen, das heißt: Die Höhe des Bußgeldes orientiert sich an Umsatz oder Gewinn des Unternehmens. Damit können wir gezielter vorgehen. Die Sanktion muss auch für große Unternehmen spürbar sein. Ich werde dazu noch in diesem Jahr einen konkreten Vorschlag auf den Weg bringen.
Sie haben erklärt, dass sich alle Deutschen vor Gericht verantworten müssen, die an illegalen Machenschaften beteiligt waren. Wie soll man ihnen nach den jüngsten Enthüllungen auf die Schliche kommen?
Die Steuerfahnder und Staatsanwälte in Deutschland sichten sorgfältig alle Hinweise im Zusammenhang mit den Berichten zu den Panama Papers. Es sind ja auch schon mehrere Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Könnten die Steuerfahnder und Staatsanwälte nicht effektiver arbeiten, wenn sie die ungeheure Datenmenge der „Panama Papers“ selbst durchsuchen könnten?
Es wäre ein Beitrag zur Gerechtigkeit, wenn wichtige Unterlagen den Behörden übergeben würden. Das würde auch den deutschen Finanzministerien viel Geld einbringen.
Die deutschen Journalisten, die die Panama Papers aufarbeiten, haben das allerdings abgelehnt.
Ich bin zuversichtlich, dass die Ermittlungsbehörden und die Medien gemeinsam einen Weg finden, wie zumindest bestimmte wertvolle Informationen ausgetauscht werden können.
Heiko Maas über das Flüchtlings-Abkommen mit der Türkei, Satire und Meinungsfreiheit - und die schwierige Lage der SPD
Herr Maas, die EU hat ein Flüchtlings-Abkommen mit der Türkei geschlossen, die wegen massiv autokratischer Tendenzen ein schwieriger Partner ist. Gibt die Regierung der Türkei einen Werte-Nachlass, weil sie sich von ihr in der Flüchtlingsfrage abhängig gemacht hat?
Nein. Es gibt keinerlei Nachlass für die Türkei. Wir stehen zu unseren Werten. Einen Rabatt auf Grundrechte, wie Presse- oder Meinungsfreiheit, darf und wird es nicht geben.
Die Rücksichtnahme auf den schwierigen Partner ist doch unübersehbar: Als wegen satirischer Beiträge über den türkischen Präsidenten Erdogan der deutsche Botschafter in Ankara einbestellt wurde, dauerte es lange, bis die Bundesregierung sich klar zur Pressefreiheit bekannte. Muss die Bundesregierung der Türkei nicht deutlicher machen, dass sie diese Werte einhalten muss, wenn sie in die EU will?
Der deutsche Botschafter hat dieses Treffen genutzt, um unsere Position sehr deutlich zu machen: Er hat keinen Zweifel daran gelassen, wie grundlegend die Presse- und Meinungsfreiheit für unsere Demokratie sind und dass sie ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Werte sind. Darauf haben auch mehrere andere Regierungsvertreter hingewiesen. Wir sind keine Leisetreter.
Ist es nicht problematisch, einem solch schwierigen Partner wie der Türkei schnellere Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen anzubieten, wie die EU das gemacht hat?
Auf gar keinen Fall sollten wir Flüchtlingsfragen mit der Debatte über den Beitritt verknüpfen. Die EU führt bereits sehr lange Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Ich bin dafür, dass die Kapitel Justiz und Menschrechte eröffnet werden. So kommen wir in wirklich belastbare Gespräche zu diesen Themen. Die Türkei müsste ihre Bücher öffnen und zeigen, wie es aussieht im Land. Dann muss die Türkei wirklich liefern, etwa bei Pressefreiheit und rechtsstaatlicher Justiz. Die schwierigen Verhandlungen sind keineswegs die Aufgabe von europäischen Prinzipien, sondern sie sind eine Chance, diesen Prinzipien mehr Geltung zu verschaffen.
Was halten Sie von dem Schmähgedicht des TV-Moderators Jan Böhmermann über Erdogan?
Er hat selbst gesagt, er habe ganz gezielt die Grenzen der Meinungsfreiheit ausloten wollen.
Hat er die Grenzen überschritten?
Es steht mir als Justizminister nicht zu, mich dazu zu äußern – zumal es laufende Ermittlungen gibt.
Herr Maas, nach einer Umfrage hat die SPD mit 21 Prozent nun ihr schlechtestes Ergebnis jemals im Bund erreicht. Woran liegt’s und wie wollen sie da wieder rauskommen?
Wir werden weiter in der Regierung unseren Teil dazu beitragen, dass der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft funktioniert. Wir werden Kurs halten, unsere Arbeit machen und Lösungen zu den wichtigen gesellschaftlichen Fragen suchen. Und gerade mit Blick auf die Flüchtlingsdebatte geht es am Ende auch um weit mehr als parteipolitische Interessen. Wir sind in einer hoch politischen Phase. Es wird wieder über Werte diskutiert. In einer so bedeutenden Auseinandersetzung kommt es vor allem darauf an, eine klare Haltung zu haben.
Auch die Werte für Parteichef Sigmar Gabriel sind sehr schlecht. Muss sich die SPD nach einem anderen Kanzlerkandidaten umsehen?
Nein, keine Panik. Eine solche Debatte interessiert im Moment wirklich niemanden. Wir sollten jetzt sehr gelassen bleiben. Ich bin fest davon überzeugt, dass die SPD mit dem Vizekanzler Sigmar Gabriel am Ende profitieren wird. Denn die Menschen haben ein feines Gespür dafür, wer in der Regierung tagtäglich um die richtigen Antworten auf die wesentlichen Fragen ringt.
Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Hans Monath.
Zur Person:
Heiko Maas, Jahrgang 1966, stammt aus Saarlouis. Bis zum Umzug nach Berlin spielte sich sein Leben vornehmlich an der Saar ab. Maas studierte Jura in Saarbrücken und wurde mit 28 Jahren zum ersten Mal in den Landtag gewählt. Er war Juso-Chef im Saarland, als Oskar Lafontaine regierte – der war sein früher Förderer. Ab 1999 war er Fraktionschef im Landtag und 2004, 2009 und 2012 SPD-Spitzenkandidat im Saarland. Für kurze Zeit war er dort auch Wirtschaftsminister. Seit Dezember 2013 ist Heiko Maas Minister für Justiz und Verbraucherschutz. In seiner Freizeit betreibt der SPD-Politiker den Ausdauersport Triathlon.