Leiharbeit: Eine unheilige Allianz
Der Bundesrat berät am Freitag über die Reform der Leiharbeit. Schleswig-Holsteines Vize-Ministerpräsident Robert Habeck fordert, der DGB müsse nun seine Tarifpolitik ändern. Ein Gastbeitrag.
Vor kurzem, ein Abend vor einem Theater: Ein Wachmann stand vor der Tür, und ich kam mit ihm ins Gespräch. Er ist von einer Leiharbeitsfirma abgestellt. Ah, dachte ich, jemand, der bestimmt von dem Leiharbeitsgesetz des Bundes, über das wir gerade in der Landesregierung debattieren und das Ende November im Bundesrat abgestimmt wird, profitieren wird. Aber nein: Er habe zwar einen Tarifvertrag, sagte der Mann, aber eben einen Billiglohn-Tarifvertrag. Den hätte er dann ja aber eine Gewerkschaft schließen müssen, dachte ich mir. Und genau so ist es.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund schließt spezielle Leiharbeits-Tarifverträge auf der Basis einer Öffnungsklausel im Leiharbeits-Gesetz. Mit diesen Tarifverträgen werden die Branchen-Tarifverträge ausgehebelt. Die Öffnungsklausel ermöglicht es, Billiglöhne für Leiharbeitskräfte zu schaffen und vom Gleichbehandlungsgrundsatz per Leiharbeits-Tarifvertrag abzuweichen.
Es geht um eine Millionen Leiharbeiter
Dabei geht es nicht um eine Nische: Es gibt knapp eine Millionen Leiharbeiter. Eine Million Menschen, die Jobs zweiter Klasse haben. Die auf jedem Lohnzettel sehen: Deine Arbeit ist weniger wert, Du gehörst nicht dazu. Wieder mehr Demütigung, wieder ein Stück weniger Verlässlichkeit. So, wie für Dauerpraktikanten, wie für die vielen Arbeitnehmer, die nur befristet beschäftigt sind (8 Prozent.) und nicht wissen, wie sieht es morgen aus.
Bei der Leiharbeit ließe sich konkret etwas ändern – und zwar durch jene, die klassisch die Interessen der Arbeiter vertreten: die Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Leiharbeitsbranche verhandeln gerade einen neuen Leiharbeitstarifvertrag. Sie könnten wirkliche Verbesserungen umsetzen.
Die Bundesregierung vertritt die Interessen der Arbeitgeber und der mächtigen Industriegewerkschaften
Die Leiharbeitstarife betragen 9 Euro im Westen und 8,50 im Osten, liegen also nur knapp über dem Mindestlohn. Laut Bundesregierung liegt das mittlere Bruttogehalt von Leiharbeitskräften bei 1700 Euro. Ein normaler sozialversicherungspflichtig Beschäftigter im gleichen Arbeitsbereich hingegen verdient im Westen 2.960 Euro. Das ist ein erheblicher Unterschied. Eine Gleichbehandlung der Leiharbeitskräfte beim Lohn scheitert, aber regelmäßig daran, dass die Bundesregierung in unheiliger Allianz die Interessen der Arbeitgeber und die Interessen der mächtigen Industriegewerkschaften vertritt.
Und beide Gruppen wollen in Wirklichkeit keine Gleichbehandlung der Leiharbeitskräfte beim Lohn. Die Gewerkschaften machen das Gegenteil von dem, was sie eigentlich müssten: nämlich die Interessen der Leiharbeitskräfte zu vertreten. Durch Billiglöhne versorgen sie die Industrie weiter mit kostengünstigen Randbelegschaften. Bei Bedarf können sie schnell auf- und abgebaut werden. Arbeitgeber und Stammarbeitskräfte profitieren zu Lasten der Leiharbeitskräfte. Wenn es zu wenig Arbeit gibt, müssen die Leiharbeitskräfte gehen. Sie müssen nicht einmal gekündigt werden. Der Leiharbeitsfirma wird der Auftrag gekündigt und sie zieht ihre Leute ab. Die kann sie dann kündigen - wenn kein anderes Unternehmen sie mehr will und zur Arbeitsagentur schicken.
Es ist ja legitim und richtig, dass die Gewerkschaften sich für die Arbeitsplatzsicherheit ihrer Stammbelegschaften einsetzen. Aber an einem System, das die Absicherung der Stammbelegschaften nur über ein Zweiklassensystem ermöglicht, ist etwas faul. Es kann nicht sein, dass an den Gewinnen der Unternehmen nur ein Teil derjenigen teilhat, die mit ihrer Arbeit diese Gewinne erst ermöglichen. Auch Leiharbeitskräfte haben ein Recht auf eine gerechte Bezahlung.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Der DGB sollte also die Tarifrunde nutzen und seinem eigenen Schlachtruf folgen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit. Ausreden, dass die Gewerkschaften nur einen kleinen Einfluss auf die Leiharbeitsbranche haben, da nur ein kleiner Teil der Leiharbeitskräfte organisiert ist, sind faule Ausreden. Die Gewerkschaften könnten auf einen Schlag eine Gleichbehandlung von Leiharbeitskräften und Stammbelegschaften erreichen. Der DGB und die Mitgliedsgewerkschaften müssten nur den Leiharbeits-Tarifvertrag kündigen, den sie selbst geschaffen haben. Dann würde automatisch das im Gesetz verankerte Gleichheitsgebot greifen. Damit wäre die Arbeitswelt ein Stück gerechter.
Robert Habeck ist stellvertretender Ministerpräsident und Umwelt-, Energiewende- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Der 47-jährige Grünen-Politiker will seine Partei als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2017 führen.
Robert Habeck