„Die Pandemie ist ein Paradebeispiel für Kontrollverlust“: Eine Psychologin erklärt – das steckt hinter den Corona-Verschwörungstheorien
Sie geben Halt und befriedigen das Bedürfnis, einzigartig zu sein: Die Wissenschaftlerin Pia Lamberty kennt die Psychologie hinter Verschwörungstheorien.
Frau Lamberty, Sie erforschen die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Warum boomen diese gerade jetzt in der Corona-Krise?
Wenn Menschen das Gefühl haben, keine Kontrolle zu haben, suchen sie Strategien, um damit umzugehen. Eine Strategie ist, auch da Muster zu sehen, wo keine sind. Eine Verschwörungserzählung strukturiert die Welt. Deswegen gehen Bedrohungen und Unsicherheiten mit einer erhöhten Empfänglichkeit für Verschwörungstheorien einher. Das sieht man beispielsweise nach Terroranschlägen. Experimentelle Studien zeigen aber auch, dass Menschen mit unsicheren Arbeitsverhältnissen mehr Verschwörungen sehen.
Und gerade ist die Unsicherheit einfach sehr groß?
Die aktuelle Pandemie ist ein Paradebeispiel für Kontrollverlust. Das ist ein Klima, in dem Verschwörungstheorien blühen. Das ließ sich schon bei Aids, Zika oder selbst der Spanischen Grippe beobachten. Und die aktuellen Verschwörungstheorien fallen auch auf einen fruchtbaren Boden. Bei der letzten Mitte-Studie haben 50 Prozent der Deutschen gesagt, dass sie lieber ihren Gefühlen trauen als Experten. Das ist eine besorgniserregend hohe Zahl.
Sie haben sich zwei zentrale Corona-Verschwörungstheorien angeschaut und wie sich ihre Anhänger in der Corona-Krise verhalten. Was kam dabei heraus?
Zu den Narrativen in der Corona-Krise zählt, dass Menschen glauben, das Virus gebe es gar nicht oder sei kaum gefährlich und werde von der Politik ausgenutzt. Andere wiederum glauben, das Virus sei von dunklen Mächten kreiert worden, um der Bevölkerung zu schaden. Menschen, die glauben, das Virus gebe es gar nicht oder werde übertrieben dargestellt, halten sich weniger an Hygienemaßnahmen. Diejenigen, die an eine Art Biowaffe glauben, stürzen sich auf persönliche Vorbereitung – wie übermäßig große Vorräte anlegen, viel Bargeld abheben, Waffenbesorgen.
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Sie gehen zudem davon aus, dass es nicht wenige Verschwörungstheoretiker gibt, die an beide Erzählungen gleichzeitig glauben. Dabei passen diese ja eigentlich nicht zusammen.
Schon frühere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Menschen an Verschwörungstheorien glauben, die sich gegenseitig logisch ausschließen. So glaubten Menschen, die der Meinung waren, dass Lady Diana vom Geheimdienst umgebracht wurde, tendenziell auch eher daran, dass sie noch lebt. Das stört diese Menschen nicht. Es gibt so etwas wie eine Verschwörungsmentalität. Es ist eine generalisierte Skepsis gegenüber Personen, die als mächtig wahrgenommen werden. Denen wird dann unterstellt, dass sie Böses im Sinn haben.
Wenn man so etwas glaubt, gibt einem das aber nicht gerade ein Gefühl von Sicherheit.
Eine Verschwörungstheorie strukturiert die Welt auf bedrohliche Weise. Aber sie gibt vermeintlich Halt, weil man zu wissen glaubt, wie die Dinge funktionieren. Studien zeigen: Wenn große Ereignisse passieren – wie zum Beispiel der Tod von Lady Diana – dann glauben Menschen, das muss große Ursachen haben. Die Verschwörungserzählung kann Dingen einen Sinn geben. Das macht Ereignisse handhabbarer, als wenn sie einfach zufällig passieren. Interessant ist zudem noch ein zweiter Punkt: Der Glaube an Verschwörung befriedigt auch das Bedürfnis einzigartig zu sein.
Wie das?
Man hat das Gefühl, als einer der wenigen zu wissen, was passiert – während alle anderen der Regierung hinterherlaufen. Menschen mit hoher Verschwörungsmentalität waren in einem Experiment eher bereit, der erfunden Theorie zu glauben, dass Rauchmelder installiert werden, um Menschen krank zu machen – wenn sie erfuhren, dass nur eine Minderheit ihrer Mitmenschen das auch glaubt. Das machte die Erzählung in ihren Augen glaubwürdiger.
Gerade um das Thema Gesundheit ranken sich viele Verschwörungserzählungen. Welche Auswirkungen kann das haben?
Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, lehnen auch konventionelle Medizin eher ab. Das lässt sich experimentell belegen. Mein Kollege Roland Imhoff und ich haben Menschen ein fiktives Medikament vorgestellt und gesagt, eine Variante werde von einer Pharmafirma hergestellt und eine andere von einem kleinen Konsortium. Menschen mit niedriger Verschwörungsmentalität nahmen meist das von der Pharmafirma. Die mit hoher Verschwörungsmentalität eher das vom kleinen, alternativen Konsortium. Wer überall Verschwörungen wittert, lässt sich auch weniger wahrscheinlich impfen oder nutzt keine konventionellen Behandlungsmethoden. In Zeiten wie diesen schadet man sich damit unter Umständen nicht nur selbst, sondern gefährdet vielleicht auch andere.
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Oft werden Verschwörungstheoretiker belächelt. Aber die Attentäter von Hanau und Halle gingen Verschwörungstheorien an. Und derzeit werden in mehreren Ländern 5G-Mobilfunkmasten angezündet, weil die Erzählung verbreitet wird, es gebe einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch des Coronavirus und dem Ausbau des neuesten Mobilfunkstandards 5G. Hat man Verschwörungstheorien in ihrer Gefährlichkeit zu lange unterschätzt?
Verschwörungstheorien gehen einher mit Feindseligkeiten gegen bestimmte Gruppen. Man sieht beispielsweise, dass derzeit verstärkt antisemitische Welterklärungsmodelle eine Rolle spielen, die entweder George Soros oder Israel hinter dem Virus vermuten. Solche Verschwörungstheorien gab es schon immer: Im Mittelalter wurden Juden hinter der Pest vermutet, der Nationalsozialismus hat über Verschwörungstheorien funktioniert. In der Gegenwartsgesellschaft wurden sie aber lange verharmlost. Erst nach den letzten Anschlägen wurde deutlich, wie groß das Problem ist und zu was es führen kann. Wir konnten die Gefährlichkeit auch in unseren Studien belegen. Es zeigte sich, dass sich Menschen mit Verschwörungsglauben eher politischen Alternativen außerhalb des demokratischen Spektrums zuwenden und Gewalt eher als Option politischen Handelns ansehen.
Was kann die Regierung in der Corona-Krise tun, um der Verbreitung von Verschwörungstheorien entgegen zu wirken?
Wichtig ist, dass die Regierung transparent vorgeht. Sonst schürt das Misstrauen und Unsicherheit. Das gilt zum Beispiel für die widersprüchlichen Informationen, die zunächst zu Gesichtsmasken gegeben wurden oder auch in Bezug auf die Lockerung von Maßnahmen. Der Glaube an Verschwörungen hat immer auch eine gesellschaftliche Komponente. Wenn Menschen das Gefühl haben, vom demokratischen Prozess ausgeschlossen zu sein, kann sich das noch einmal verstärkend auswirken. Dennoch darf man nicht den Fehler machen, und insbesondere die Menschen, die solche Ideologien befeuern, als Getriebene der Umstände zu verstehen. Sehr oft geht diese Ideologie mit Antisemitismus, Rassismus und Sexismus einher, denen klar widersprochen werden muss.
Pia Lamberty ist Sozialpsychologin an der Uni Mainz und erforscht die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Im Mai soll das Buch „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ erscheinen, das Lamberty gemeinsam mit der Netzaktivistin Katharina Nocun geschrieben hat.
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