Gewalt in Katalonien: Eine neue Generation kämpft für die Unabhängigkeit
In Katalonien radikalisieren sich junge Kämpfer für die Unabhängigkeit. Die Justiz ermittelt wegen terroristischer Strömungen.
Eine neue Generation drängt an die Spitze der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Sie zeigt öffentlich noch keine Namen und keine Gesichter. Sie operiert über soziale Medien unter dem Namen „Demokratischer Tsunami“ und erreicht mehrere Hunderttausend Befürworter der Unabhängigkeitsidee. Wenn ihr Name Programm wird, droht Katalonien und vielleicht auch dem Rest des Landes womöglich eine extrem unruhige Zukunft.
Es stellt sich die Frage, ob die Entstehung der Gruppierung mit einer anderen Politik hätte verhindert werden können, oder ob sie das Resultat einer Entfremdung ist, die auch mit Zugeständnissen an die Katalanen unumgänglich gewesen wäre. Sicher scheint, dass die Bewegung die Antwort auf die langen Haftstrafen gegen neun Politiker und Aktivisten ist, die sich mit teils demokratisch legitimierten, aber teils eben auch mit illegalen Mitteln für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien eingesetzt haben.
Ein Gericht wies in der Vorwoche die Sperrung der Internetseite von „Demokratischer Tsunami“ an. Der zuständige Richter rechtfertigte den Erlass im Rahmen staatlicher Ermittlungen gegen terroristische Strömungen. Es ist ein Hinweis darauf, dass die Sicherheitsbehörden in Spanien die Entwicklung alarmiert beobachten. Spanien hat eine lange Geschichte von separatistischem Terror durch die baskische ETA, die jahrzehntelang mit ihren Bomben für Angst und Schrecken in Spanien sorgte.
Die Zentralregierung in Madrid fürchtet eine Eskalation der Krise nach den Urteilen gegen katalanische Anführer und die Köpfe mächtiger Bürgerinitiativen. Sozialistenführer Pedro Sanchez, der vor den Neuwahlen am 10. November die Staatsgeschäfte als Premierminister kommissarisch weiterführt, bekam bei seinem Besuch in Barcelona vor wenigen Tagen sehr genau vor Augen geführt, was auch jeden anderen künftigen Regierungschef im Umgang mit der autonomen Region im Nordosten Spaniens erwarten dürfte.
Buh-Rufe für den Regierungschef
In einem Krankenhaus, in dem verletzte Polizisten behandelt wurden, empfing ihn ein Teil der Belegschaft mit Buhrufen und klaren Aufforderungen zum Dialog mit den Separatisten.
„Vermutlich würden wir ein Referendum sowieso nicht gewinnen, aber hier geht es darum, dass unsere Stimme überhaupt gehört wird“, sagt Ignasi Martin, Familienvater aus Barcelona, der jahrelang immer friedlich mitgekämpft hat für die Idee eines unabhängigen Kataloniens. „Mit diesem Weg sind wir gescheitert. Vielleicht war es auch in bisschen naiv zu glauben, wir könnten lächelnd eine Revolution lostreten“, sagt er. In Martins Stimme schwingt Ernüchterung mit. Doch die Gewalt der vergangenen Wochen verabscheut er. Das sei nicht sein Weg, und auch nicht der Weg vieler, mit denen er in der Vergangenheit Seite an Seite bei den Demonstrationen gelaufen ist.
Doch es kristallisiert sich heraus, dass ein Teil der Unabhängigkeitsanhänger Gewalt als probates Mittel erkannt hat. „Ich höre viele Stimmen in meinem Umfeld, dass junge Leute ihren Eltern sagen, dass es Zeit sei, dass sie alle zur Seite treten mögen. Sie sagen, nun sei ihre Zeit gekommen, und dass sie sich von ihren Eltern nicht mehr aufhalten lassen werden.“ Solche Aussagen könnten als Bereitschaft zum gewalttätigen Widerstand verstanden werden. Es kann aber auch einfach nur bedeuten, dass die angewandten Mittel verschärft werden, indem regelmäßig Straßen oder Flughäfen blockiert werden. Martin hofft darauf, dass es in Zukunft bei Blockaden bleibt.
Er glaubt, dass das Verhalten der Polizei einen entscheidenen Anteil am Grad einer möglichen Eskalation haben wird. Wenn die Polizei sich zurückhält, ist er überzeugt davon, dass es auch keine gewalttätigen Gegenreaktionen geben wird.
Das wird sich vielleicht an diesem Samstag zeigen. Separatisten haben zu einem neuen großen Protest gegen langjährige Haftstrafen für neun Führer der Unabhängigkeitsbewegung aufgerufen.
Marcel Grzanna
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