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Am Limit. An deutschen Kliniken fehlen nach Gewerkschaftsangaben 70.000 Pflegekräfte.
© Carmen Jaspersen/dpa

Zu wenig Pflegepersonal: Eine Krankenschwester für 13 Patienten

Gemessen an anderen Ländern sparen deutsche Kliniken mächtig am Pflegepersonal. Gewerkschafter warnen vor den Folgen - und fordern gesetzliche Vorgaben.

In deutschen Kliniken gibt es gemessen an der Patientenzahl deutlich weniger Pflegepersonal als in anderen vergleichbaren Ländern. Das ist einer aktuellen Studie über staatliche Vorgaben zur Personalausstattung ("Nurse-to-Patient-Ratios") an Krankenhäusern zu entnehmen, die von der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung finanziert wurde.

Doppelt so viele Patienten pro Krankenschwester wie in den Niederlanden

Während sich hierzulande im Schnitt eine Pflegekraft um 13 Patienten zu kümmern hat, beträgt das Verhältnis in der Schweiz und in Schweden etwa eins zu acht. In den Niederlanden ist es eins zu sieben. Und in den USA kommen auf eine Krankenschwester sogar nur 5,3 Patienten.

Besonders heftig ist der Unterschied bei Nachtdiensten. Für eine Nacht hatte die Gewerkschaft Verdi per Stichprobe im Jahr 2015 ermittelt, dass 17.000 Pflegekräfte bundesweit etwa 324.000 Patienten zu versorgen hatten. Das entspricht einem Verhältnis von eins zu 19. Und teilweise war der Personalschlüssel noch viel schlimmer. Zwei von drei Pflegern arbeiteten allein, sie hatten sich im Schnitt um 26 Kranke zu kümmern. Auf jeder sechsten Station waren es mehr als 30.

In Kalifornien dürfen die Pflegekräfte auch nachts nicht reduziert werden

In Australien dagegen dürfen, wie die Studienautoren Michael Simon und Sandra Mehmecke ausführen, je nach Klinikgröße und -spezialisierung auch nachts nur acht bis zehn Patienten auf eine Pflegekraft kommen. Und in Kalifornien ist der Personalschlüssel sogar rund um die Uhr der gleiche: In den Nachtstunden müssen dort so viele Pflegekräfte auf Station sein wie tagsüber. Eine Verrechnung über Durchschnittswerte ist ausdrücklich verboten.

Gemessen an internationalen Maßstäben, folgert Verdi aus der Erhebung, bräuchte es hierzulande nur für die Nachtschichten rund 19.500 Vollzeitkräfte zusätzlich. Das wären mehr als doppelt so viele wie bisher. Insgesamt fehlten in deutschen Kliniken 70 000 Pflegekräfte.

Studie: Gesetzliche Personalvorgaben sind hilfreich

Um Überlastung und Qualitätsmängel zu reduzieren, seien gesetzliche Mindeststandards für Personalschlüssel sehr hilfreich seien, heißt es in der Studie. Solche Vorgaben existieren hierzulande bisher so gut wie gar nicht. Eine Ausnahme ist Nordrhein-Westfalen, wo für Intensivstationen seit kurzem ein Schlüssel von eins zu zwei gilt. Allerdings sei dieser rechtlich „so weich gefasst, dass er bisher wenig Wirkung entfaltet“, bedauert Verdi-Experte Niko Stumpfögger.

Und in der Berliner Krankenhausplanung gibt es für die Intensivmedizin lediglich die Aufforderung „möglichst die Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin einzuhalten.“

Höheres Risiko für Infektionen und Thrombosen

Das Zahlenverhältnis zwischen Pflegern und Patienten sei nicht nur ein wichtiger Gradmesser für die Arbeitsbedingungen, betonten die Wissenschaftler. Sie beeinflusse auch die Qualität der Pflege und die Patientengesundheit. Empirische Studien hätten gezeigt, dass sich die Personalbemessung unter anderem auf das Risiko von Infektionen, Thrombosen und Todesfällen durch zu spät erkannte Komplikationen auswirke.

Die Bundesregierung dürfe die Auswirkungen des Personalmangels auf Patienten und Beschäftigte nicht länger ignorieren, fordert Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand. „Darauf zu setzen, dass Markt und Wettbewerb es irgendwann schon richten werden, ist angesichts der Lage nicht mehr vertretbar.“ Eine gesetzliche Personalbemessung sei auch hierzulande überfällig.

Rainer Woratschka

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