zum Hauptinhalt
Immer mehr Überstunden, immer weniger Zeit für den Patienten. In den Kliniken ist die Arbeitsbelastung für Pflegekräfte enorm gestiegen.
© dpa

Notstand in den Krankenhäusern: Immer weniger Pflegekräfte für immer mehr Patienten

An der Berliner Charité sind die Pflegekräfte wegen der ständig steigenden Arbeitsbelastung in einen unbefristeten Streik getreten. Doch an anderen Kliniken ist die Situation nicht besser. Immer weniger Personal muss immer mehr Patienten versorgen.

An der Berliner Charité haben die Pflegekräfte genug. Mit einem unbefristeten Streik wollen sie - ein Novum für die Gewerkschaften - nicht mehr Geld, sondern mehr Personal erzwingen. Doch nicht nur in Europas größter Universitätsklinik ist der Pflegekräftemangel ein Problem. Neue Statistiken belegen, dass sich die Arbeitsbelastung für Krankenpfleger in den vergangenen Jahren bundesweit massiv erhöht hat.

Auf eine Vollzeitkraft kommen 59 Patienten

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, die von der Linken-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann erfragt wurden und dem Tagesspiegel vorliegen, kommen auf immer mehr Patienten in den deutschen Krankenhäusern immer weniger Pflegekräfte. Musste 1991 eine Vollzeitkraft rechnerisch 45 Fälle versorgen, waren es 2013 schon 59. Die Zahl der Behandlungsfälle stieg bundesweit um 28,9 Prozent auf fast 19 Millionen. Gleichzeitig ging das Personal, in Vollzeitkräften gerechnet, um 1,2 Prozent auf 316 000 zurück.

Massiv gestiegen ist auch die Zahl der Pflegekräfte, die über das vereinbarte Pensum hinaus zu arbeiten hatten – wie eine Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes ergab. Waren es 2011 noch 79 000, die derartige Mehrarbeit erbrachten, lag die Zahl 2013 bereits bei 104 000 – ein Anstieg um 32 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten mit Mehrarbeit in Form von Überstunden erhöhte sich um 57 Prozent. Die Fälle von Mehrarbeit über Arbeitszeitkonten nahmen um 24 Prozent zu.

Immer kürzer, immer intensiver

Hintergrund ist neben der steigenden Patientenzahl auch die infolge des Kostendrucks kürzere Verweildauer der Patienten. Sie sank zwischen 1991 und 2013 von 14 auf durchschnittlich 7,5 Tage – an der Charité gar auf 5,9 Tage.

Unter überdurchschnittlich hoher Arbeitsbelastung leiden Krankenpfleger auch im Vergleich zu anderen Berufsgruppen. So ergab eine Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin von 2012 (neuere Zahlen gibt es nicht), dass 77 Prozent der Pflegekräfte in Kliniken verschiedene Arbeiten gleichzeitig erledigen müssen. Im Schnitt aller Berufsgruppen ist das nur bei 58 Prozent der Fall.

66 Prozent der Pfleger empfinden bei ihrer Arbeit häufig starken Termin- und Leistungsdruck – unter allen Berufsgruppen sind es 51 Prozent. Und auch körperlich sind Pflegekräfte übermäßig gefordert. Unter dem Heben und Tragen schwerer Lasten etwa leiden 59 Prozent, der Schnitt liegt bei 21 Prozent.

"Raubbau an den Beschäftigten"

„Der Kosten- und Wettbewerbsdruck im Gesundheitssystem ist Raubbau an den Beschäftigten“, sagte Linken-Fraktionsvize Zimmermann dem Tagesspiegel. Die steigende Belastung für Pflegekräfte sei nicht mehr hinzunehmen. Eine bessere Personalausstattung sei dringend notwendig - und dafür müsse der Bund endlich die gesetzlichen Grundlagen schaffen.

Unterdessen kündigte die SPD an, das geplante Förderprogramm für Klinik-Pflegekräfte verdoppeln zu wollen. „Neue Studien zeigen, dass das Sterberisiko im Krankenhaus von der Ausbildung und der Zahl der Pflegekräfte abhängig ist“, sagte Fraktionsvize Karl Lauterbach der „Rheinischen Post“. Im Zuge der Krankenhausreform ist bislang ein Pflegestellenförderprogramm von 660 Millionen Euro für die Jahre 2016 bis 2018 vorgesehen.

SPD will Krankenhausreform nachbessern

„Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich im laufenden Gesetzgebungsverfahren dafür einsetzen, dass der Betrag auf 1,32 Milliarden Euro aufgestockt wird“, sagte Lauterbach. „Ansonsten können wir den notwendigen Personalschlüssel bei der Pflege nicht darstellen.“ Lauterbach kritisierte auch, dass in den vergangenen Jahren zu viele Ärzte und zu wenig Pflegekräfte eingestellt worden seien.

Rainer Woratschka

Zur Startseite