Überwachung: Ein Rundumschlag in Sachen Datenschutz
Das Verfassungsgericht nutzt den Fall des Bundeskriminalamts für ein Grundsatzurteil. Vor allem der Austausch von Informationen mit anderen Behörden wird künftig erschwert.
Im Wesentlichen ist es nur ein Paragraf, um den es bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geht. Aber der hat es in sich: Paragraf 20 des Ende 2008 umfassend reformierten Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) verfügt über Untervorschriften von a) bis x), also fast durch das ganze Alphabet. Insgesamt 49 Absätze ausführlichsten Textes habe das Gericht „durchforsten“ müssen, sagte Ferdinand Kirchhof, Vorsitzender des Ersten Karlsruher Senats und Gerichtsvizepräsident, bei der Verkündung am Mittwoch.
Durchforsten, das traf es wohl. Die schwarz-rote Koalition hatte für den Katalog so ziemlich alles zusammengetragen, was der Sicherheitsapparat an Befugnissen aufzubieten hat, sollte das Bundeskriminalamt damit doch zur Zentralbehörde im Terrorkampf werden: längerfristige Observationen, Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern, „Lauschangriff“ in Wohnungen, Zugriff auf Computerfestplatten mittels online eingespielter „Trojaner“, Telefonüberwachung, Rasterfahndung, Erhebung von Kommunikationsverkehrsdaten, Stichwort Vorratsdatenspeicherung.
Besonders empfindlich reagierten manche auf den abgestuften Schutz sogenannter Berufsgeheimnisträger. Denn das Gesetz macht einen Unterschied zwischen Geistlichen, Bundestagsabgeordneten und Strafverteidigern einerseits und Ärzten, Journalisten und Rechtsanwälten andererseits. Womit sich insbesondere die beiden letztgenannten Berufsgruppen aufgerufen sahen, gegen die Regelungen Sturm zu laufen. Im Ergebnis mit durchschnittlichem Erfolg. Die Differenz zwischen Verteidigern und „sonstigen“ Anwälten sei zwar „nicht tragfähig“, urteilten die Richter, weil es um Gefahrenabwehr und nicht um Strafverfolgung gehe, doch darüber hinaus seien keine Grundrechtsverletzungen zu erkennen, insbesondere nicht für Medienvertreter.
In vielen anderen Bereichen wurden die Richter dafür umso deutlicher. So fehlen ihnen beispielsweise deutliche Kriterien, wann jemand außerhalb von Wohnungen überwacht werden darf. Zumindest müsse es eine „konkrete Wahrscheinlichkeit“ geben , dass es „in überschaubarer Zukunft“ zu Terrortaten kommt. Zudem gebe es keine Schutzvorschriften, um die Überwachten vor der Ausforschung ihres „Kernbereichs privater Lebensgestaltung“ zu bewahren. Die Maßnahmen seien für den ersten Monat ohne Richterbeschluss möglich – das dürfe nicht sein, urteilten die Richter.
Scharfe Einwände, aber auch bekannte Ermahnungen
Auch die Wohnraumüberwachung geht ihnen zu weit, ist sie doch ein „besonders schwerwiegender Eingriff, der tief in die Privatsphäre eindringt“. Eine solche Aktion dürfe sich nur gegen die „gefahrenverantwortliche Zielperson“ richten und nicht gegenüber Dritten angeordnet werden – selbst wenn Äußerungen Dritter erfasst werden können. Für den Schutz des „Kernbereichs“ sei es wiederum nötig, dass eine unabhängige Stelle aus den Daten Höchstpersönliches herausfiltere, bevor das BKA sie verwerte.
Bislang hatten die Polizisten diesen Job miterledigt. Beim „Zugriff auf informationstechnische Systeme“, der Online-Durchsuchung mittels Trojaner, verhält es sich ähnlich. Die Entscheidung über Privat-Daten müssten vom BKA unabhängige Ermittler treffen. „Unbestimmt und unverhältnismäßig“ lautet das Verdikt zur Telefonüberwachung. Bei allen Neu-Befugnissen fehlen aus Sicht der Richter flankierende Regelungen wie Pflichtkontrollen und Protokollpflichten; die Löschregeln seien unzureichend.
Scharfe Einwände, aber solche Ermahnungen sind bekannt. Neue Töne gibt es bei der Datenverwendung. Wurden Informationen unter besonders sensiblen Umständen wie etwa der Wohnraumüberwachung gewonnen, dürften sie an Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst nur weitergegeben werden, wenn vergleichbare Gefahrenlagen bestehen wie bei ihrer Gewinnung. „Unabhängig von einem konkreten Ermittlungsansatz“, wie bisher, sei dies jedenfalls verfassungswidrig. Den Austausch mit den Staatsanwaltschaften trifft das Urteil ebenfalls. Hier wird der Gesetzgeber Sicherungen einbauen müssen, entweder im BKA-Gesetz oder der Strafprozessordnung.
Regierung könnte indirekt Folter unterstützen
Erstmals hat sich das Gericht mit dem Datenexport ins Ausland befasst. Hier war der Regierung vorgeworfen worden, sie könne indirekt Folter unterstützen. „Keinesfalls darf der Staat seine Hand zu Verletzungen der Menschenwürde reichen“, heißt es jetzt. Das BKA habe sich vor der Weitergabe über einen „menschenrechtlich und datenschutzrechtlich vertretbaren Umgang“ zu vergewissern. Hier genügten die Regeln den Anforderungen noch, zumindest bei verfassungskonformer Auslegung.
Der Erste Senat, „Grundrechtssenat“ genannt, ist offenkundig stolz auf sein Werk. Es führe die bisherige Rechtsprechung zu den einzelnen Überwachungsbefugnissen zusammen, systematisiere sie und entwickle die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zweckbindung und Zweckänderung von Daten fort, erklärte Kirchhof. Doch nicht nur dem Innenminister geht manches zu weit. Drei der acht Richter wandten sich in Einzelfragen gegen die Mehrheit. Vor allem Richter Wilhelm Schluckebier ist ausweislich seiner abweichenden Meinung überzeugt, dass viele Missstände behebbar gewesen wären, ohne die Regelungen zu streichen. Mit seine „Detailanforderungen“ schwinge sich das Gericht unzulässig zum Gesetzgeber auf.