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Das Bundesverfassungsgericht hat über die Maßnahmen des BKA zur Terrorabwehr geurteilt.
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Update

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz: Thomas de Maizière: Anti-Terror-Kampf wird nicht erleichtert

"Müssen mit dem Urteil leben": Innenminister de Maizière und die Sicherheitsbehörden sehen die Entscheidung des Verfassungsgerichts zum BKA-Gesetz kritisch.

In Sicherheitskreisen stößt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz auf Kritik. Bundesinnenminister Thomas de Maizière kann die Einwände des Bundesverfassungsgerichts gegen das BKA-Gesetz zum Teil nicht nachvollziehen. Es gebe einige Bedenken des Gerichts, die er „nicht teile und die den Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht erleichtern“, sagte de Maizière am Mittwoch in Berlin. „Leben müssen wir damit trotzdem.“ Er habe das Urteil aus Karlsruhe zur Kenntnis genommen. „Es ist zu respektieren und umzusetzen.“

Der Minister, der sichtlich verärgert wirkte, sagte, er werde sich aber dafür einsetzen, dass die vom Gericht aufgezeigten Handlungsmöglichkeiten bei der Nachbesserung des Gesetzes voll ausgeschöpft würden. Die Befugnisse im Kampf gegen den Terror müssten „praktikabel anwendbar“ bleiben. „Insbesondere der Informationsaustausch zwischen den Behörden in Deutschland und mit unseren internationalen Partnern muss erhalten, ja noch ausgebaut werden.“ Denn dies sei ein Schlüssel im Anti-Terror-Kampf.

BKA-Chef Holger Münch forderte zudem praxistaugliche Vorgaben für seine Behörde. "Es ist mir wichtig, dass die Eingriffsinstrumente praktikabel bleiben und der zusätzliche Verwaltungsaufwand nicht zu einer faktischen Lähmung der Sicherheitsbehörden führen darf", sagte Münch zu "Spiegel Online". "Sicherheitslücken können wir uns angesichts der aktuellen Bedrohungslage nicht leisten."

Auch die Sicherheitsdienste sehen Probleme. Bei der Zusammenarbeit von BKA und Nachrichtendiensten sei nun „eine Beschränkung“ zu befürchten, sagte ein hochrangiger Experte dem Tagesspiegel. Die Karlsruher Richter halten die  „Übermittlungsbefugnisse“ des BKA an andere inländische Behörden für  verfassungswidrig. Der Senat nennt konkret die Weitergabe von Daten zur Gefahrenabwehr. Dies sei verfassungswidrig, soweit das Gesetz „unabhängig von einem konkreten Ermittlungsansatz eine Übermittlung allgemein zur Verhütung terroristischer Straftaten erlaubt“. Folglich bewertet das Gericht die Befugnisse des BKA zur Übermittlung von Daten an die Verfassungsschutzbehörden, den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und den Bundesnachrichtendienst (BND) als „unverhältnismäßig weit“.

Gemeint ist damit ein Passus in Paragraf 20. Danach kann das BKA bislang personenbezogene Daten an die Nachrichtendienste übermitteln, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür bestehen, dass die Daten erforderlich sind zur Sammlung und Auswertung von Informationen über militante Aktivitäten gegen die demokratische Grundordnung.

Das hätte so bleiben müssen, sagte der Experte. „Wenn das BKA auch nur den Anschein des Anscheins eines Staatsschutzdelikts hat, müssten den Nachrichtendiensten die Daten über Verdächtige geliefert werden.“ Wenn nicht, sei es Verfassungsschutz, MAD und BND nicht möglich, „eine gesamte Gefahrenlage zu bewerten“. Gerade aus dem NSU-Desaster hätten die Sicherheitsbehörden aber gelernt, dass die möglichst umfassende Weitergabe von Daten zu Terrorverdächtigen unverzichtbar sei.

Kritik der Polizeigewerkschaft

Auch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hält  das Urteil für punktuell problematisch. „Eine Einschränkung der Zusammenarbeit von BKA und Nachrichtendiensten bei der Terrorabwehr könnte passieren“, sagte er dem Tagesspiegel. Für die Bekämpfung des Terrors sei jedoch „die Vernetzung von Daten auf nationaler wie auch europäischer Ebene ein Kernbestand“. Das Bundesverfassungsgericht habe die Grundrechte im Blick, „aber nicht die Praktikabilität der Terrorabwehr“. Wendt will jedoch nicht die Richter schelten. „Der Gesetzgeber hätte die größtmögliche Sorgfalt walten lassen müssen“, sagte der Gewerkschaftschef. Diesen habe das Gericht kritisiert, „nicht die Arbeit der Polizei“. Der  Gesetzgeber habe aus Karlsruhe „als Zeugnisnote ein dickes Mangelhaft“ bekommen. Umso mehr müsste nun bei der Nachbesserung des BKA-Gesetzes beachtet werden, „dass sie einer weiteren Überprüfung in Karlsruhe standhält“. Denn die komme bestimmt, prophezeite Wendt.

Mit „gemischten Gefühlen“ sieht Armin Schuster, Obmann der Union im Innenausschuss, das Urteil. Es sei gut, dass die Beschwerdeführer mit ihrer Absicht gescheitert seien, die Online-Durchsuchung zu verhindern. Andererseits hätte er sich, sagte Schuster, unter anderem bei der Übermittlung von Daten des BKA an die Nachrichtendienste „mehr Freiheiten gewünscht“. Da sei „das Korsett des BKA enger geschnürt worden als notwendig“.  Das Gericht habe „sehr rechtstheoretisch“ argumentiert, als habe „auch der letztmögliche Missbrauch verhindert werden müssen“.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka sagte zu dem Urteil: "Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht deutlich, dass unser Rechtsstaat die Balance zu wahren hat zwischen den Freiheitsrechten des Einzelnen auf der einen Seite und dem Schutz der Menschen vor schwersten terroristischen Straftaten auf der anderen Seite. Die vom Gericht geforderten Nachbesserungen am BKA-Gesetz werden wir uns in aller Gründlichkeit anschauen. Fest steht: Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit. Wo nach Überzeugung des Verfassungsgerichts Eingriffe in die Privatsphäre zu groß sind, werden wir die nötigen rechtlichen Änderungen mit Augenmaß vornehmen."

Was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Mittwochvormittag umstrittene Maßnahmen zur Terrorabwehr in Teilen abgelehnt. Das Gesetz zur Terrorismusbekämpfung durch das Bundeskriminalamt (BKA) ist demnach in weiten Teilen verfassungswidrig. Die Befugnisse der Behörde zur heimlichen Überwachung greifen in der Praxis unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger ein, wie das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch entschied. Das Gericht machte zahlreiche Vorgaben, damit die Regelung vorerst weiter angewandt werden kann. Der Gesetzgeber muss sie bis Ende Juni 2018 nachbessern. (Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09)

Das BKA-Gesetz von 2008 umfasst dem Gericht zufolge 14 Paragrafen mit 49 Absätzen, die zahlreiche Befugnisse des BKA zur heimlichen Überwachung bei der Abwehr des internationalen Terrorismus regeln. Das BKA darf dazu etwa Wohnungen Verdächtiger mit Kameras und Mikrofonen verwanzen und sie auch im Bad und Schlafzimmer rund um die Uhr bespitzeln.

Zudem ist dem BKA die Bespitzelung von unbeteiligten Kontaktpersonen erlaubt. Die Behörde darf Telefonate mithören, Computer heimlich online durchsuchen, alle Kommunikation, die per Computer geführt wird, aufzeichnen und gewonnene Daten an in- und ausländische Dienste weitergeben.

Laut Urteil sind solche Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte zur Terrorabwehr zwar grundsätzlich zulässig - allerdings nur, wenn sie das Verhältnismäßigkeitsgebot "strikt einhalten". Diesen Anforderungen werden allerdings viele der Ausführungsbestimmungen nicht gerecht: Das Gericht entschied, dass sie teils zu unbestimmt sind oder zu weit gehen, dass es an Transparenz oder richterlicher Kontrolle sowie der Pflicht fehlt, das Parlament und die Öffentlichkeit über Maßnahmen zu informieren.

Die umfangreiche Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Entscheidung lesen Sie hier im Wortlaut.

Es geht um den Grundkonflikt zwischen Sicherheit und Datenschutz: Das Bundesverfassungsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob das Bundeskriminalamt (BKA) bei der Jagd auf potenzielle Terroristen zu stark ins Private eindringt. Um Anschläge zu verhindern, dürfen die Ermittler seit 2009 Wohnungen abhören, Überwachungskameras installieren und Telefonate anzapfen. Das reformierte BKA-Gesetz ist auch Grundlage für den „Bundestrojaner“, eine eigens entwickelte Software, die auf der Computer-Festplatte eines Terrorverdächtigen Daten zum Beispiel aus Chats abschöpft.

Die Kläger sahen Bürgerrechte verletzt

Dagegen geklagt haben unter anderem Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum, der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann und mehrere Grünen-Politiker. Sie sehen durch die Befugnisse Bürgerrechte verletzt und fordern Nachbesserungen an dem Gesetz. Eine der beiden Verfassungsbeschwerden richtet sich auch dagegen, dass das BKA die Informationen an die deutschen Geheimdienste und ausländische Stellen weitergeben darf. (Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09)

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Regelungen in der Karlsruher Verhandlung im Juli 2015 verteidigt. Dass mehrere Anschläge rechtzeitig vereitelt werden konnten, sei auch dem BKA-Gesetz zu verdanken. Zudem sei die Zahl der überwachten Personen sehr überschaubar. Die Kriminalpolizisten des Bundes sollen vor allem dann eingreifen, wenn eine länderübergreifende Gefahr vorliegt. Bis 2009 waren sie ausschließlich in der Strafverfolgung tätig. (mit AFP/dpa)

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