Großbritannien vor den Regionalwahlen: Ein Riss geht durch das Königreich
Es geht nur um Regionalwahlen. Eigentlich. Dennoch wird vor allem über den Brexit gestritten. Auch die Zukunft der Parteichefs steht dabei infrage. Wie gespalten ist das Land? Fragen und Antworten zum Thema.
Ein Riss geht durch Großbritannien. Die Regionalwahlen sind eine Vorentscheidung zum drohenden Brexit und über das politische Überleben der Parteichefs.
Welche Rolle spielt der Brexit?
David Cameron hat das EU-Referendum absichtlich nicht auf den Tag der Regional- und Kommunalwahlen gelegt. Die Wahl des Police Commissioners von Süd-Yorkshire sollte nicht auch noch mit Brüssel und Martin Schulz in Verbindung geraten. Und doch wird der Ausgang der Wahlen am Donnerstag einen Einfluss auf die Brexit-Debatte haben – weil er das politische Machtverhältnis vor dem Referendum noch einmal zurechtrückt. Auch darüber hinaus: Sollten die schottischen Nationalisten noch stärker abschneiden als bei der vergangenen Parlamentswahl, könnte es nach einem Brexit zu einem weiteren, vermutlich erfolgreichen Referendum über die schottische Unabhängigkeit kommen. Dann wäre Großbritannien zwar die EU los – aber auch Schottland.
Wie steht Premier Cameron derzeit da?
Der Besuch von Barack Obama in Großbritannien hat dem britischen Premier gutgetan. Das lag weniger an der gemeinsamen Partie Golf, sondern an den klaren Worten, die der amerikanische Präsident zum Brexit gefunden hatte. Noch wirkt nach, dass Obama den Briten einige Illusionen über ihre europafreie Zukunft genommen hat. Für Cameron gilt, was in diesen Tagen bei allen politischen Fragen gilt: Sind die Wahlen gut für ihn und seine Konservativen, sind sie gut für die EU-Befürworter. Und eben umgekehrt. Einen Nachteil haben die Wahlen für Cameron aber so oder so: In London tritt Boris Johnson nach zwei Amtszeiten als Bürgermeister ab. Damit kann sich Camerons innerparteilicher Gegner und charismatischer Brexit-Befürworter ab Freitag ganz und gar auf seinen Kampf für den EU-Austritt des Landes konzentrieren.
Welche Probleme hat Labour?
Für Labour-Chef Jeremy Corbyn sind es die ersten landesweiten Wahlen – und natürlich werden sie damit auch als Test für seine Führungsstärke gesehen. Corbyn kann die Wahlen in Wahrheit nur verlieren: Bei den Regionalwahlen 2012 gewann Labour 500 Council-Sitze, umgerechnet 39 Prozent der Stimmen. Die Wahl war auch eine Reaktion auf die strenge Haushaltspolitik der Regierung in London. Ein solcher Erfolg ist diesmal unwahrscheinlich, laut einer Umfrage des „Guardian“ muss Labour mit einem Verlust von 150 Sitzen rechnen. Hätte eine Niederlage in London vor allem starke symbolische Wirkung, wäre es eine strategische Katastrophe, sollte Labour in Schottland hinter der linken Nationalpartei SNP und den Konservativen nur auf dem dritten Platz landen. Wenn Labour weiter überall dort verliert, wo es gewinnen muss, um bei den nächsten Parlamentswahlen 2020 eine Chance zu haben, könnten diese Wahlen durchaus das Schicksal des bisher ohnehin wenig überzeugenden Labour-Führers besiegeln. Für Corbyn steht damit am Donnerstag mehr auf dem Spiel als für Cameron.
Wie ist die Ausgangslage in London?
In London wird ein neuer Bürgermeister gewählt, Boris Johnson kann nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten. Da die faktische Macht des Londoner Bürgermeisters sehr begrenzt ist – er ist vor allem für Verkehrsplanung, Polizei und soziale Dienste zuständig –, hängt der politische Einfluss dieses Amtes vor allem von dessen Persönlichkeit ab. Sowohl Johnson, ein Konservativer, als auch sein Vorgänger von der Labour-Partei, „Red Ken“ Livingstone, waren skandalträchtige Volkstribune, die der Stadt, in natürlich unterschiedlicher Weise, eine positive Aura vermitteln konnten. London gilt als urbane Erfolgsgeschichte – nicht zuletzt wegen der Olympischen Spiele 2012. Doch über die Zukunft der Stadt wird weniger der von Johnson vorangetriebene Ausbau der Fahrradwege entscheiden als die Frage, was die Stadt ihrer fortschreitenden „Plutokratisierung“ entgegenstellen kann. Das betrifft vor allem den Wohnungsmarkt: „In der Hauptstadt zu leben ist möglicherweise am schwersten von allen für die, die über ein bescheidenes Einkommen verfügen“, schrieb Johnson 2013. Es ist seitdem noch schwerer geworden. Um der Entwicklung von London als Insel der Reichen Einhalt zu gebieten, müsste die Zentralregierung dem Bürgermeister der Hauptstadt letztlich jedoch mehr Macht überlassen.
Wer sind in London die Kontrahenten?
Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein: Für die Konservativen tritt Zac Goldsmith an, 41-jähriger Sohn eines milliardenschweren Unternehmers, für Labour Sadiq Khan, 45-jähriger Sohn eines Busfahrers aus Pakistan. Eton gegen Sozialsiedlung, Darling des Londoner Geldadels gegen ersten Muslim in einer britischen Regierung (Khan wurde 2008 Verkehrsminister). Noch liegt Khan in den Umfragen deutlich vorn, doch die hitzigen Ereignisse der vergangenen Tage haben den Ausgang der Wahl wieder spannend gemacht: Nach antisemitischen Bemerkungen einer Labour-Abgeordneten und der Partei-Suspendierung von Ex-Bürgermeister Livingstone wegen einer Äußerung zu Hitler („er unterstütze den Zionismus“) ist ganz Labour in die Defensive geraten. Khan sah sich daraufhin gezwungen, eine versöhnliche Botschaft an die „Londoner jüdischen Glaubens“ zu richten. Gleichzeitig ist Goldsmith, der jüdische Vorfahren hat, für einen Artikel in der „Mail on Sunday“ in die Kritik geraten, in dem er warnt, Khans Partei grenze sich nicht ausreichend vom Terrorismus ab. Bebildert war der Artikel mit einem zerstörten Doppeldecker-Bus nach den Londoner Terroranschlägen 2005. Damit hat der Wahlkampf jene Hitzigkeit erreicht, mit der eigentlich erst in der Brexit-Debatte gerechnet worden war.