Boris Johnson: Der Exzentriker strebt nach Höherem
Der scheidende Londoner Bürgermeister Boris Johnson kann nur gewinnen. Er setzt zwar auf Brexit. Scheitert das Projekt aber, wird ihn Cameron trotzdem einbinden müssen.
Am 5. Mai wählt die britische Hauptstadt einen neuen Bürgermeister. Dann ist vorerst Schluss für den kraftmeiernden Blondschopf Boris Johnson, der nie eine Gelegenheit ausgelassen hat, sich auf raffinierte Weise exzentrisch in Szene zu setzen. Zumindest im Rathaus. Denn für das Amt des Bürgermeisters kandidiert Johnson zwar nicht mehr, doch er ließ sich bereits bei den vergangenen Parlamentswahlen im Mai 2015 ins Unterhaus wählen. Er spekuliert auf höhere Weihen. Nicht zuletzt deswegen schlug er sich wohl auf die Seite der Brexit-Befürworter, eines EU-Ausstiegs, und düpierte damit seinen Parteifreund und ehemaligen Schulkameraden David Cameron.
Auch bei der Bürgermeisterwahl in London spielt das EU-Referendum eine Rolle, wenn auch nicht als prominentes Wahlkampfthema. Da sind eher die Themen sozialer Wohnungsbau, öffentlicher Nahverkehr und Bekämpfung der Kriminalität von Bedeutung. Doch das Thema Brexit könnte am Ende Zünglein an der Waage sein.
Die Wahl wird zwischen dem Labour-Kandidaten Sadiq Khan und dem konservativen Zac Goldsmith entschieden. Die Umfragen sprechen für Khan, der sich in der Debatte um einen Austritt Großbritanniens auf die Seite der EU-Befürworter gestellt hat. Goldsmith hofft darauf, dass ihm sein euro-skeptischer Kurs im ansonsten eher Labour-freundlichen London die entscheidenden Stimmen bringt.
Einsatz für den Brexit
Dass er dabei einer Meinung mit dem populären Amtsinhaber Johnson ist, verschafft ihm nach Ansicht des Politikwissenschaftlers, Tony Travers von der London School of Economics zusätzlichen Rückenwind. Sollte er tatsächlich wider Erwarten gewinnen, würde das von den Brexit-Befürwortern als Vorzeichen für das anstehende Referendum gewertet werden. Johnson beendet seine Amtszeit als Bürgermeister mit einer polternden Kampagne gegen die Brexit-Gegner und leistete sich dabei einen Ausrutscher gegenüber US-Präsident Obama: Der habe wegen seiner kenianischen Wurzeln eine Abneigung gegen das ehemalige britische Kolonialreich und deshalb eine Bronzebüste Winston Churchills aus dem Oval Office entfernen lassen, so die These, die Johnson in einem Gastbeitrag für das Boulevardblatt „The Sun“ kundtat.
Das war ein ungelenker Versuch, Obamas öffentliches Werben für einen Verbleib der Briten in der EU zu diskreditieren. Er brachte Johnson den Vorwurf ein, auf subtile Weise rassistische Klischees auszuspielen. Doch seine Fans lieben ihn dafür, dass er angeblich genau das sagt, was er denkt. Dem EU-Referendum kann er gelassen entgegensehen: So oder so sieht seine Zukunft gut aus, glaubt Politikwissenschaftler Travers: „Im Falle eines Austritts aus der EU wird Cameron nicht mehr lange Premierminister sein, dann hätte Johnson gute Chancen auf den Job.“ Doch auch wenn sich die Briten bei dem Referendum am 23. Juni anders entscheiden sollten, hätte Johnson Grund zur Freude. „Cameron würde wahrscheinlich sein Kabinett umbauen, um die EU-Gegner einzubinden, auch hier würde sich Johnson als Kandidat auf einen Ministerposten anbieten“, sagt Travers.
Die Chancen auf einen Verbleib in der EU sind in den vergangenen Tagen gestiegen, nicht nur wegen Obamas Appell. Justizminister Michael Gove, ein Befürworter eines Austritts, tat sich keinen Gefallen, als er sagte, im Falle eines Austritts werde Großbritannien als EU-Handelspartner einen Status haben wie Albanien. Wie immer das ausgeht: Spätestens bei der nächsten Parlamentswahl 2020, bei der Cameron nicht mehr antreten will, wäre Johnson ein aussichtsreicher Kandidat auf den Posten des Premiers. (dpa)