Proteste in Mali: Ein Prediger fordert die Macht heraus
In Mali nehmen erneut die Spannungen zu. Ein populistischer Imam führt die Opposition gegen den Präsidenten an.
Sollten die fünf westafrikanischen Staatschefs gedacht haben, allein mit ihrer geballten Präsenz die jüngste Krise in Mali aus dem Weg räumen zu können, sahen sie sich alsbald getäuscht. Sie waren am vergangenen Donnerstag in die malische Hauptstadt Bamako geflogen, um die zerstrittenen Partien zur Räson zu bringen: Nigerias Präsident Muhammadu Buhari, sein ghanaischer Kollege Nana Akufu-Addo, Senegals Macky Sall, Nigers Mahamadou Issoufou sowie der Ivorer Alassane Ouattara.
Nach stundenlangen Gesprächen erst mit Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keïta (kurz IBK genannt), dann mit dem oppositionellen Bündnis, der „Bewegung des 5. Juni“, erteilte Mahmoud Dicko dem Quintett eine schallende Absage. „Wir Malier sind aufrecht und nicht unterwürfig“, sagte der 66-jährige Geistliche: „Ich ziehe es vor, als Märtyrer statt als Verräter zu sterben.“ Daraufhin kehrten die fünf politischen Schwergewichtige wieder nach Hause zurück.
Was sie als Lösungsmodell genau vorgeschlagen hatten, wurde nicht mitgeteilt. Entscheidend ist, dass es Mahmoud Dicko nicht ausreichte. Der ehemalige Chef des „Hohen Islamischen Rates“ gilt als die entscheidende Figur des malischen Bürgeraufstands, mit dem der Rücktritt des seit sieben Jahren regierenden IBK gefordert wird. Der Präsident, der nach den Worten eines französischen Diplomaten „mehrmals am Tag seine Meinung ändert“, konnte seiner aufgewühlten Heimat keine Stabilität verschaffen.
Noch immer wird der Norden des Landes von islamistischen Extremisten unsicher gemacht, die unter anderen von Soldaten der Bundeswehr ausgebildete Armee agiert wirkungs- und disziplinlos, die Wirtschaft kommt partout nicht auf die Beine, die Korruption nimmt immer schlimmere Ausmaße an. Wie überall in Westafrika setzt die Bevölkerung ihre letzte Hoffnung im Kampf gegen die Korruption auf die muslimische Geistlichkeit. Allein ihr wird die moralische Integrität zugetraut, den raffgierigen politischen Eliten das Handwerk zu legen. Mahmoud Dicko wird in Mali der „Imam des Volkes" genannt.
Ob er Präsident werden will, ist offen
Schon seit Jahrzehnten führt der Prediger einen Feldzug gegen Malis „Verwestlichung“. Er schreibt den Niedergang seiner Heimat dem Materialismus, der Geldgier und dem Ausverkauf muslimischer Traditionen zu. Vor zehn Jahren kämpfte er gegen die Gleichstellung der Geschlechter, gegen die Einführung der Sexualkunde als Schulfach und gegen ein Schulbuch, das auch das Thema Homosexualität behandelte. Dicko lernte während des Studiums in Saudi-Arabien den politischen Wahabismus kennen, hält im Gegensatz zu den im Norden operierenden und mit Al-Qaida oder dem Islamischen Staat kooperierenden Extremisten jedoch am malischen Sufismus und seiner mystischen Heiligen-Verehrung fest. Der Geistliche begrüßte 2012 die Intervention der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zur „Befreiung“ des Nordens von der Extremistenherrschaft, will jetzt jedoch die Präsenz französischer Soldaten so schnell wie möglich beenden.
Einst unterstützte der „Imam des Volkes“ die Präsidentschaftskandidatur von IBK. Doch im vergangenen Jahr wandte er sich enttäuscht von dem wirkungslosen Staatenlenker ab. Als im Mai die ersten Demonstranten in Bamako auf die Straße gingen, wussten sie Dicko hinter sich: „Mali wird schlecht regiert, die Korruption blüht, das Land steckt in einer tiefen Malaise“, rechtfertigte der Geistliche den Aufstand. Ob er selbst Chef des gescheiterten Staates werden will, lässt Dicko offen: „Ich bin kein Politiker, aber ich bin ein Führer mit einer Meinung. Wenn das politisch ist, dann bin ich politisch“, sagte er dem TV-Sender „France 24“.
Im Westen wird er gelegentlich „Malis Khomeini“ genannt. Ein Attribut, das Jean-Hervé Jezequel von der Brüsseler Internationalen Krisengruppe für unangebracht hält. „Dicko ist nicht die Karikatur eines Fundamentalisten, der aus Mali einen islamischen Gottesstaat machen will“, sagt der Kenner des Landes. Ob er nun selbst Präsident werden oder bei der Auswahl eines solchen beteiligt sein will: jedenfalls werden die westafrikanischen Staatschefs bei ihrem für Montag anberaumten virtuellen Gipfeltreffen am „Imam des Volkes“ nicht vorbei entscheiden können.
Johannes Dieterich
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