Wahl im Saarland: Ein Oskar Lafontaine allein reicht nicht
Ein rot-rotes Bündnis im Saarland wäre ein Signal für den Bund gewesen und ein Zeichen der Aussöhnung zwischen SPD und Oskar Lafontaine. Es ist jetzt erstmal anders gekommen.
Den wahren Oskar Lafontaine gibt es noch, auch wenn er sich im saarländischen Wahlkampf rar gemacht, aber das war Taktik. Er schonte vor allem die SPD, ist ja sonst nicht seine Art; und im großen TV-Duell sah man einen zurückhaltenden Mann mit braungebranntem Gesicht, der seine Botschaften gewissenhaft streute, aber ohne einen Alleinvertretungsanspruch darauf zu erheben. Oskar Lafontaine, so sah das aus, übte den Elder Statesman.
Wer Oskar Lafontaine dagegen beim Neujahrsempfang der Linken im Saarland in der Völklinger Hütte hörte, der sah nichts von Altersmilde. Da stand zwar einerseits auch ein 73-jähriger Herr manchmal leicht wacklig auf der Bühne, der in seiner 27-minütigen Rede immer wieder hörbar außer Atem geriet. Aber es stand dort eben andererseits auch ein Mann, der noch immer leidenschaftlich bis ins Populistische hinein reden und wild gestikulieren kann, und der vehement einforderte, dass „wir uns endlich wieder an der Regierung beteiligen“.
Das war noch, bevor der „Schulz-Zug“ in der SPD losfuhr, bevor Martin Schulz am 24. Januar von Sigmar Gabriel als SPD-Kanzlerkandidat und Parteichef vorgeschlagen wurde. Den danach schnell grassierenden Schulz-Effekt im Land hat als erstes auch der alte Fuchs Lafontaine gespürt. Und als die Zahlen für die SPD im Saarland anstiegen, hat er immer häufiger die bis dato unbekannte SPD- Spitzenfrau und Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger gelobt, hat auch Martin Schulz gelobt; hat sich mit ihm im Gespräch vertieft sehen lassen, hat sich gefreut, als die ersten Spekulationen über ihn und Schulz verbreitet wurden, hat sich mit dem Satz zitieren lassen: „Ich freue mich, dass die SPD in den Umfragen zulegt. Die Wiederherstellung des Sozialstaats und eine gerechte Steuerpolitik sind nur mit einer starken SPD möglich.“
Aber am Ende ist der Plan nicht aufgegangen, es wird sehr wahrscheinlich wieder im Saarland ohne die Linke regiert, weil es nicht reicht für ein rot-rotes Bündnis. Der Schulz-Effekt hat zwar dazu geführt, dass die SPD auch im Saarland profitierten und aus den schwachen Umfragewerten sehr viel bessere machen konnte, aber am Ende verlor man im Vergleich zur letzten Wahl sogar. Oskar Lafontaine holte 2009 mit der Linken sein bestes Ergebnis mit 21,3 Prozent, doch damals scheiterte der Versuch, ein rot-rot-grünes Bündnis zu schmieden an den Grünen. Später, 2012, hätte es wieder gereicht zu einer solchen Konstellation, doch dieses Mal war es Heiko Maas, damals Landeschef, heute Bundesjustizminister, der nicht wollte. Im Vergleich zur letzten Wahl verlor Lafontaine dieses Mal erneut, so dass man davon ausgehen kann: Der Lafontaine-Effekt im Saarland ist auch nicht mehr das, was er mal war. Auf der Wahlparty in Saarbrücken herrschte am frühen Abend jedenfalls Ernüchterung. Einer sagte: "Hoffentlich kommt da noch was." Aber was kam, waren die Leute von der "Heute Show", was die Stimmung auch nicht wirklich hob.
Dietmar Bartsch, Linken-Fraktionschef im Bundestag, fand im ZDF, dass es "Oskar Lafontaine nochmals allen gezeigt hat". Zudem fand er das Ergebnis von 13 Prozent, so lautete die erste ZDF-Hochrechnung von 18:20 Uhr, "klasse", wenn "wir das bundesweit erreichen, sind wir zufrieden". Um 19:20 Uhr waren es dann nur noch 12,4 Prozent, das waren schon 3,7 Prozentpunkte weniger als 2012. Lafontaine selbst kam dann zunächst überhaupt nirgendwo vor in der Wahl-Berichterstattung, weil er nicht anwesend war, auch nicht in der traditionellen ZDF-Runde mit allen Spitzenkandidaten. Dort musste ihn die stellvertretende Landesvorsitzende Barbara Spaniol vertreten, die nicht gerade als Lafontaine-Vertraute gilt. Sie ging nicht auf die Frage ein, ob die Enttäuschung bei Lafontaine zu groß sei, sondern sagte, die Linke sei, angesichts des Schulz-Effekts und dem Ministerpräsidentinnen-Bonus, mit dem eigenen Ergebnis "eigentlich ganz zufrieden", und das haben wir Oskar Lafontaine zu verdanken".
Allerdings wird das Ergebnis auch zu keiner Kurzschlussreaktion Lafontaines führen. Vertraute des Linken-Politikers gingen am Sonntagabend fest davon aus, dass "Oskar Lafontaine auch im nächsten Landtag Fraktionschef der Linken sein wird". Schließlich tauchte Lafontaine auch noch selbst auf in der ARD-Runde mit den Spitzenkandidaten. Die Frage nach der ausgestreckten Hand, die er ja offensichtlich der SPD zur Versöhnung ausgestreckt hatte, ignorierte Lafontaine mit einem Lächeln und sagte: "Wir wollen eine soziale Wende in Deutschland." Wenn die Menschen das Gefühl bekommen, dass sich wirklich etwas ändern kann, dann sei auch eine andere Regierung möglich. Und wörtlich: "Ewig eine große Koalition ist ja auch langweilig."
Dabei sah es vor ein paar Tagen im Saarland noch viel besser aus, als die SPD dichter dran schien an der CDU, und Lafontaines Anmerkungen so klangen, als wolle er auf seine alten Tage noch ein politisches und persönliches Vermächtnis der besonderen Art hinterlassen: Versöhnung. Das schöne politische Märchen, das einige zu dichten begannen, ging so: Wenn es im Saarland, im ersten bundesdeutschen Flächenland, zu einer rot-roten Regierung reicht, wäre das auch ein Signal für die Bundestagswahl. Dann wäre Rot-Rot-Grün im Bund wahrscheinlicher. Und wenn es eine Bundesregierung aus SPD, Grünen und Linken wirklich geben sollte, das sagen sogar Mitglieder im SPD-Parteivorstand, „wäre der Oskar nicht mehr der Spalter, sondern der Versöhner“.
Die saarländische Linke jedenfalls, so drückt es ein Sozialdemokrat im Bund aus, „ist natürlich Fleisch vom Fleische der SPD“. Dementsprechend ist das Saarland ein sehr spezieller Sozi-Fall, ein noch speziellerer Lafontaine-Fall. Man muss sich dieses politische Leben nur noch einmal vor Augen führen, um die Dimension zu begreifen, die Dimension des Politischen und des Menschlichen. Dafür reichen schon zwei Beschreibungen des politischen Gegners: Heiner Geißler, ehemaliger CDU-General, sagte einmal: „Die SPD hat ihren klügsten und besten Mann ausgerechnet gegen eine Spielernatur ausgewechselt.“ Mit dem Spieler meinte er Gerhard Schröder. Wolfgang Schäuble dagegen nannte ihn einen „Demagogen“. Beide Beschreibungen sind womöglich kein Widerspruch.
Er war jüngster Oberbürgermeister von Saarbrücken, jüngster SPD-Landeschef, jüngster Ministerpräsident, der jedes Mal, von 1985 bis 1998, mit absoluter Mehrheit seine Wahlen gewann. Dazwischen lagen das Messerattentat im April 1990, als er Kanzlerkandidat für die SPD war, und die Mannheimer Rede 1995, nach der er statt Rudolf Scharping SPD-Vorsitzender wurde. Seine „Flucht“ aus der Regierung Gerhard Schröder im März 1999 und die spätere Gründung der Linken, für die er als Fraktionschef zurück in den Bundestag kam, werden bis heute von vielen Sozialdemokraten als „Verrat“ empfunden.
Jüngere dagegen, wie die 40-jährige Anke Rehlinger, sehen die Sache entspannt. Sie fühle sich völlig „unvorbelastet“. Rehlinger hat lange neben Lafontaine im saarländischen Parlament gesessen. Sie ist selbstbewusst genug, um sich von ihm nicht einschüchtern zu lassen, was ihm gefällt. Er wiederum hat sie nie angegriffen oder diskreditiert.
Lafontaine wiederum ist gar nicht altersmilde, und deshalb bleibt die ganze Erzählung wohl ein Märchen. Er redet zwar von „Kompromissbereitschaft“, zu der die Linke auch im Bund bereit sei, diktiert aber nach wie vor seine Bedingungen: „Die entscheidende Frage lautet für Rot-Rot-Grün, ob SPD und Grüne bereit sind, den Sozialstaat und ein gerechtes Steuersystem wiederherzustellen.“ In diesem Duktus ist er völlig harmonisch mit dem, was seine Frau Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken im Bundestag, sagt. Es wird im kommenden Bundestagswahlkampf darum gehen, die Linke als die Partei zu etablieren, die die SPD von Martin Schulz entweder beim Thema soziale Gerechtigkeit vor sich hertreibt oder sie der Lüge anklagt, Versprechen zu machen, die sie gar nicht einhalten wolle.
Für die Romantiker in der Politik haben sich Lafontaine und Wagenknecht aber noch etwas ausgedacht. Erstmals waren sie gemeinsam auf einem Wahlplakat abgebildet. Man sieht darauf, dass Wagenknecht die Arme verschränkt hält, und Lafontaine sieht aus, als versuche er, sie auf seine Seite zu ziehen. Beide lachen, Wagenknecht mit geschlossenen Augen. In der Linken haben sie das Bild dann mal so interpretiert: Die Sahra gibt dem Oskar das Ja, dass er auf Regierungskurs gehen darf. Das letzte Wort, nachdem er jetzt seine wohl letzte Schlacht im Saarland geschlagen hat, hat im Bund aber sowieso – sie.