Saarlands Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer: „Der innere Friede in unserem Land gerät in Gefahr“
Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer spricht im Tagesspiegel-Interview über Auftritte türkischer Politiker in Deutschland - und die Antwort der CDU auf Martin Schulz (SPD).
Wir wollen ein Gespräch über schwierige Männer führen. Fangen wir mit Recep Tayyip Erdogan an. Warum wollen Sie ihm und seinen Ministern das Reden im Saarland verbieten?
Es geht mir nicht nur um Erdogan und die Türkei, sondern um eine ganz generelle Frage. Mir wäre es am liebsten, wenn wir uns in Europa darauf verständigen könnten, dass kein ausländischer Politiker in einem anderen Land auftritt, um seinen Wahlkampf dorthin zu tragen. Wir erleben doch im Moment eine Situation, in der durch solche Auftritte, aber auch schon durch die Diskussionen darüber, der innere Friede in unserem Land in Gefahr gerät. Das gilt für unser Verhältnis zu den türkischstämmigen Mitbürgern wie für die Situation innerhalb der türkischen Community. Dort war der Konflikt mit Sympathisanten der kurdischen PKK lange Zeit nicht mehr akut und droht jetzt wieder aufzuflammen. Deshalb haben wir uns entschlossen, solchen Auftritten von Fall zu Fall einen Riegel vorzuschieben.
Blamieren Sie damit nicht die Bundesregierung, die solche Verbote scheut?
Nein, überhaupt nicht. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, Einreiseverbote zu verhängen. Diplomatisch ist das aber immer ein sehr schwieriger Vorgang, wie wir an den Niederlanden sehen konnten. Ich verstehe deshalb sehr gut, dass die Bundesregierung zurückhaltend agieren muss. Außerdem halte ich nichts davon, Zuständigkeiten hin- und herzuschieben. Wir wollen im Saarland nicht auf die Bundesregierung warten, und wir wollen die Verantwortung auch nicht auf die Städte und Gemeinden abwälzen. Jede Ebene muss ihre Verantwortung wahrnehmen. Deshalb haben wir uns gefragt: Was können wir als Land tun?
Und da sind Sie auf den Paragrafen 47 des Aufenthaltsgesetzes gestoßen …
… der uns die Möglichkeit gibt, Auftritte ausländischer Politiker zu untersagen, egal woher sie kommen, wenn davon eine Gefährdung des inneren Friedens ausgehen könnte. Natürlich muss hier wie üblich der Einzelfall geprüft werden. Wir sind schließlich ein Rechtsstaat.
Die Bundesregierung argumentiert, sie wolle Erdogan nicht den Vorwand liefern, sich zum Opfer zu stilisieren. Das ist Ihnen egal?
Mir ist Erdogans Strategie sehr bewusst. Deshalb kann ich auch a n diesem Punkt die Zurückhaltung der Bundesregierung verstehen. Aber wir haben als Bundesland eigene Möglichkeiten in der Hand. Das gibt uns nicht nur das Recht, sondern das bedeutet geradezu eine Pflicht, diese Möglichkeiten im Sinne des inneren Friedens konsequent zu nutzen.
Viele Bürger glauben, Angela Merkel haue vor allem deshalb nicht bei Erdogan auf den Putz, weil sie Angst um das Flüchtlingsabkommen habe.
Das ist ein unberechtigter Vorwurf. Das Flüchtlingsabkommen ist wichtig. Aber völlig unabhängig davon ist die Türkei für uns ein wichtiger Partner zum Beispiel in der Nato. Angela Merkel hat klare Worte zur Türkei gefunden. Man muss dafür nicht die schärfsten Töne anschlagen. Aber hart in der Sache die Dinge anzusprechen – das ist doch geschehen!
Die türkischstämmige Gemeinschaft im Saarland ist nicht groß, etwa 20 000 Menschen – ist da derart schweres Geschütz gerechtfertigt?
Die größte Ausländer-Gruppe sind bei uns die Franzosen, gefolgt von den Italienern und den Türken knapp dahinter. Wir haben hier ein gutes Einvernehmen mit allen Gruppen. Aber die Distanz gerade zu den türkischstämmigen Mitbürgern ist durch die Vorgänge in und um die Türkei spürbar größer geworden. Das macht mir Sorgen. Übrigens gilt unsere Entscheidung nicht nur für türkische Politiker. Sie würde genauso Marine Le Pen betreffen, wenn die französische Präsidentschaftskandidatin vom Front National auf die Idee käme, hier in Saarbrücken vor französischen Landsleuten reden zu wollen.
Was halten Sie denn in diesem Zusammenhang von Forderungen auch der Saar-Linken, ein Kommunalwahlrecht für langjährig hier lebende Ausländer einzuführen?
Ich halte davon nichts. Vielmehr ist es richtig, dass wir das Wahlrecht auf die Gruppen beschränkt lassen, die es heute haben. EU-Bürger dürfen schon in Kommunen mitwählen. Aber wenn wir anfangen, das auf weitere Gruppen auszudehnen, holen wir uns mit Sicherheit zusätzliche Spannungen ins Land.
Aber könnte nicht solch ein Wahlrecht und die damit verbundene Verantwortung eher die Integration fördern?
Ich finde, dafür gibt es einen sehr klaren Weg. Wer in diesem Land dauerhaft lebt und Verantwortung übernehmen will, sollte die deutsche Staatsbürgerschaft anstreben. Das ist der beste Weg.
Dann müssten Sie ja eigentlich auch dafür sein, Doppelpässe zu vermeiden und zum alten Optionsmodell zurückzukehren, das hier geborene Jugendliche aus Migrantenfamilien mit 21 Jahren vor die Wahl stellt, welche Staatsbürgerschaft sie behalten wollen?
Der Doppelpass war in der CDU schon immer ein sensibles und kontroverses Thema. Ich persönlich kann gut mit der jetzigen Regelung leben, die die große Koalition für eine bestimmte Gruppe in ihrem Koalitionsvertrag verhandelt hatte. Aber ich kann auch verstehen, dass dieses Thema in der Bevölkerung derzeit wieder sehr viel kritischer diskutiert wird. Dies ist ein Beleg dafür, wie innertürkische Konflikte, die in unser Land hineingetragen werden, zur Entfremdung beitragen. Und das können wir alle nicht wollen.
Wir wollten über schwierige Männer sprechen. Schwierig für Sie ist Martin Schulz, den die SPD an diesem Wochenende zu ihrem Vorsitzenden wählt. Was fällt der CDU gegen den Schulz-Effekt ein?
Na ja, zunächst mal kann man den Eindruck bekommen, dass Martin Schulz gar nicht Kanzler werden will, sondern Ministerpräsident im Saarland. Er findet jedenfalls im Landtagswahlkampf mehr statt als die SPD-Spitzenkandidatin.
… was Ihr Problem ja noch größer macht!
Martin Schulz hat die SPD von einer Depression erlöst, die sie unter dem alten Vorsitzenden Sigmar Gabriel befallen hatte. Er verfolgt im Moment vor allem eine Linie, die SPD mit sich selbst zu versöhnen. Das ist aber reine Vergangenheitsbewältigung. Die entscheidende Frage für die Bundestagswahl wird lauten, ob die SPD auch Vorschläge für die Zukunft hat. Da wird sie sich mit der CDU messen müssen, Punkt für Punkt im Wahlprogramm. Und in diese Diskussion gehe ich durchaus gelassen hinein.
Welcher Politiker-Typ jetzt gefragt ist
Warum sollte sich Martin Schulz denn eine inhaltliche Spiegelstrich-Debatte aufzwingen lassen, wo er doch bisher mit Stimmung und Gefühl sehr gut fährt?
Weil Gefühl allein nicht reicht. Er hat zum Beispiel in der europäischen Flüchtlingskrise auch sehr stark auf Gefühl gesetzt. Inhaltlich kam von ihm und seiner europäischen Ebene wenig zur Bewältigung der Probleme. Deshalb wird es in der Bundestagswahl um die Frage gehen: Kann man in einer Situation, in der die Verhältnisse um uns herum unsicherer geworden sind, die Bundesrepublik Deutschland mit einem Gefühl regieren? Das kann man sicherlich nicht. Dazu braucht es sachlich fundierte konkrete Vorschläge.
Nun steht ja hinter dieser Gefühlsfrage noch eine andere. Angela Merkel ist – so wie Sie ja auch – eher eine Sachpolitikerin. Wenn man sich umguckt in der Welt, hat man aber den Eindruck, dass gerade die Starkredner Erfolg haben, dass Sachfragen weniger zählen als Emotionen.
Die Politik unterliegt Moden, auch in der Weise, in der sie sich präsentiert. Zu Gerhard Schröders Zeiten war der Basta-Typ gefragt. Danach und bis heute erfährt eine krisenfeste und verhandlungssichere Kanzlerin größte Wertschätzung – eine Kanzlerin, die übrigens auch sehr emotional und prinzipiell zu ihren Grundsätzen steht. Das ist ihr in den letzten Monaten dann plötzlich zum Vorwurf gemacht worden.
Und was, wenn die Sachlichkeit jetzt gerade aus der Mode kommt?
Ich glaube, die Menschen wollen vor allem eine authentische Politik. Ihnen ist der Tonfall letztlich egal, wenn er aus Überzeugung heraus kommt. Und sie haben ein feines Gespür dafür, wer starke Worte nur wählt, um Wirkung zu erzielen, ohne dass er an die eigenen Worte glaubt. Wenn jemand ein leiser und abwägender Typ ist, dann wäre es eher komisch, wenn er plötzlich als der größte Schreihals der Welt auftreten würde.
Ist Martin Schulz in diesem Sinne authentisch?
Ob er so, wie er sich jetzt gibt, authentisch ist? Dafür kenne ich ihn nicht genug.
Nun ist der Bundestagswahlkampf noch etwas hin, Ihrer im Saarland aber fast schon vorbei. Müssen Sie nicht fürchten, ein Opfer der Schulz-Euphorie zu werden?
Die SPD hat von Anfang an versucht, ihren Landtagswahlkampf mit Themen von außen zu führen. Erst gab es eine Rentenkampagne, jetzt stellt sie den Kanzlerkandidaten heraus. Der aber steht hier nicht zur Wahl. Wir haben immer gesagt, dass wir einen Wahlkampf um und für das Land führen. Wir haben eine solide Leistungsbilanz und vor allem gute Vorschläge für die Zukunft dieses Landes zu bieten. Wir sagen klar, dass wir die Regierung der Mitte fortführen wollen. Auch in Zeiten von Schulz erklären drei von vier Saarländern, dass sie mit der Arbeit meiner Regierung zufrieden sind. Wer will, dass ich diese Arbeit fortsetze, der muss mich und damit die CDU am 26. März wählen.
Trauen Sie der SPD-Kandidatin Anke Rehlinger zu, dass sie sich von Oskar Lafontaine zur Regierungschefin machen lässt?
Die Spitzenkandidatin der SPD will Ministerpräsidentin werden. Wenn sich diese Möglichkeit gegen die CDU nur mithilfe von Lafontaine ergibt, wird die SPD diesen Weg ohne Zögern gehen.
Nun wird Lafontaine an der Saar ja nicht als böser linker Wolf gesehen, sondern als „der Oskar“. Warnungen vor Rot-Rot helfen Ihnen doch da nicht!
Deshalb führen wir ja auch keinen Lagerwahlkampf. Wir sagen den Wählern aber, was die Alternativen sind. Entweder eine Regierung der Mitte mit mir an der Spitze oder eine Linksregierung. Die SPD würde dann aber nicht mit Realo-Linken wie Bodo Ramelow in Thüringen koalieren, sondern mit Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht vom äußersten linken Rand. Von einem solchen Bündnis geht ganz klar das Signal auch für die Bundes-SPD aus, dass sie auf dem Marsch nach links ist.
Ist Ihre Konzentration auf Landespolitik der einzige Grund dafür, dass Angela Merkel hier im Wahlkampf kaum und Horst Seehofer gar nicht auftritt?
Die Bundesvorsitzende kommt genauso oft wie im letzten Wahlkampf, einmal zu Anfang und dann zur Schlusskundgebung. Ansonsten treten wir mit unseren Kandidatinnen und Kandidaten und unserem Programm an.
Der Eindruck wäre falsch, dass man die Kanzlerin versteckt?
Ja, der ist völlig falsch. Ich freue mich im Gegenteil sehr auf den gemeinsamen Auftritt.
Der Name ist schon gefallen: Ein schwieriger Mann für die CDU war jetzt lange auch Horst Seehofer. Wie soll ein gemeinsamer Wahlkampf gelingen, der damit anfängt, dass die CDU-Chefin und der CSU-Chef beim „Versöhnungstreffen“ wie ein Paar in Scheidung dreinblicken?
Bilder können auch täuschen. Die Übereinstimmungen über Kurs und Programm sind größer, als dies manchmal nach außen hin den Anschein hat. Natürlich muss man schon selbstkritisch sagen: Wir – CDU und CSU – haben schwierige Monate hinter uns. Wir haben zu sehr betont, was uns trennt, und zu wenig über den viel größeren Vorrat an Verbindendem geredet. Das kann man auch nicht durch einen einzigen pressewirksamen Auftritt beiseiteräumen. Ich bin sicher: Wir werden jetzt im Wahlziel und der gemeinsamen Wahlplattform beweisen, dass es uns ernst ist mit der Gemeinsamkeit.
Und dann macht Angela Merkel auch mal wieder ein freundliches Gesicht?
Das tut sie doch schon jetzt!