zum Hauptinhalt
"Wovon ich träume, wenn ich zufällig schlafe", nannte Andrej Babis sein Buch. Die Antwort: Von der Macht.
© David Cerny, Reuters

Tschechien wählt: Ein Oligarch will die Macht

Die Tschechen wählen ihr Parlament. Der umstrittene Milliardär Andrej Babis darf sich große Hoffnungen machen.

Wieder schickt sich ein Oligarch an, einen Staat zu regieren. Andrej Babis will Regierungschef in Tschechien werden. Gegen den Milliardär ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betrügereien mit EU-Subventionen. Gerade wieder aufgetaucht ist der Verdacht, er habe in sozialistischen Zeiten der tschechoslowakischen Staatssicherheit Spitzeldienste geleistet. Zudem suggerierte das Magazin „Forbes“ jüngst unterschwellig, der 63-Jährige könnte seine geschäftlichen Interessen mit denen des Staates vermischt haben. In seiner Zeit als Finanzminister der letzten Regierung habe sich Babis’ Vermögen verdoppelt, schrieb das Magazin. Es wird derzeit auf umgerechnet dreieinhalb Milliarden Euro geschätzt, damit liegt er in der Liste der reichsten Tschechen an zweiter Stelle.

Skandale und Affären

Nichts davon kann den politischen Ambitionen von Andrej Babis schaden. Am Freitag und Sonnabend sind rund neun Millionen Bürger aufgerufen, die Abgeordneten des Parlaments zu wählen. Die traditionellen politischen Parteien haben sich durch zahllose Skandale und Affären diskreditiert. So dürften die Sozialdemokraten, die bislang stärkste Regierungspartei, und die konservative ODS (Bürgerdemokraten) nur noch jeweils etwa zehn Prozent der Stimmen erreichen. Für die Babis-Partei Ano dagegen werden 25 bis 30 Prozent vorausgesagt.

Schon bezeichnen einige Babis als den „kleinen Trump“ oder es wird befürchtet, Prag werde künftig Budapest und Warschau auf dem rechtspopulistischen Kurs zum Abbau der Demokratie folgen. Doch so einfach ist es trotz vieler Ähnlichkeiten nicht. Babis agiert nicht halb so erratisch wie Donald Trump, er ist kein intoleranter rechter Ideologe wie Viktor Orban und ihn plagt die nicht Paranoia eines Jaroslaw Kaczynski, der davon überzeugt ist, dass die heutige Opposition seinen Zwillingsbruder Lech umgebracht hat.

Vorwurf: Subventionsbetrug

Als Babis vor sechs Jahren in die Politik ging, versuchte er gar nicht erst, seine Organisation Ano wie eine Partei aussehen zu lassen. „Partei“ steht in Tschechien für Kungelei, Korruption und Chaos. Der Milliardär versprach, damit aufzuräumen. Damit war er nicht der Erste. Aber irgendwann, so hofften viele, müsse der weiße Ritter ja kommen. Ein rasanter Aufstieg begann, schon zwei Jahre später gelangte Ano als Juniorpartner der Sozialdemokraten in die Regierung.

Babis selbst war im Mai gezwungen, sein Amt als Vizepremier und Finanzminister niederzulegen. Die Staatsanwaltschaft hatte die Aufhebung seiner Immunität beantragt. Der Oligarch soll EU-Subventionen, die für kleine und mittlere Betriebe bestimmt waren, in seinen Konzern gelenkt haben. Zu Babis’ Imperium gehören 300 Firmen, vor allem im Agrarsektor. Er kontrolliert aber auch die öffentliche Meinung mit zwei überregionalen Zeitungen, einem Rundfunksender und einer Fernsehstation. Kein Wunder also, dass der Subventionsbetrug in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielt.

Der Prager Publizist Jiri Pehe hat sich viel mit der engen Verknüpfung von Big Business und Politik beschäftigt. Zu den Besonderheiten der Demokratisierung in Tschechien, schrieb er, gehöre es, dass die Parteien nach dem Ende des Sozialismus Projekte kleiner Eliten ohne Massenbasis waren. Keine von ihnen – ob Sozialdemokraten, Liberale oder Konservative – habe die Kraft gehabt, dem großen Geld zu widerstehen. „Die Tatsache, dass kleine und schwache Parteien einen umfassenden Privatisierungsprozess leiteten, führte dazu, dass sie selbst privatisiert wurden“, erklärt er. Anders gesagt: Die politische Klasse in Tschechien wurde aus dem Hintergrund immer von den Oligarchen kontrolliert. Als sich das Personal besonders dumm anstellte, trat einer von ihnen auf die Hauptbühne der Politik: Andrej Babis.

Schwierige Koalitionsbildung

Welche Folgen Babis’ Sieg bei den Parlamentswahlen für Tschechien hat, steht nicht fest. Vor allem wird der künftige Kurs davon abhängen, welche Koalitionsoption er wählt. Sollte Babis seinen bisherigen Partner, die Sozialdemokraten, mit ins Boot holen, dürfte sich zumindest in der Außen- und Europapolitik nicht allzu viel ändern. Anders jedoch, wenn die rechtsextreme Partei für Freiheit und direkte Demokratie oder die unreformierten, orthodoxen Kommunisten – oder gar beide, was einige für möglich halten – künftig mitregieren. Dann sind eine Abkehr von Europa und eine Annäherung an Russland möglich.

Dafür plädiert Staatspräsident Milos Zeman seit Langem. Zeman strebt im Januar nächsten Jahres seine Wiederwahl an – und hegt große Ambitionen, noch stärker in die aktuelle Politik einzugreifen. Sollte sich die Regierungsbildung hinziehen, gäbe es dafür große Möglichkeiten. Aber wenn es um mehr Macht für Zeman geht, sind sich alle Parteien ausnahmsweise einig: Sie sind dagegen.

Die Wirtschaftszeitung „Hospodarske noviny“ sagte Babis am Montag in ihrem Leitartikel einen „komplizierten Sieg“ voraus. Tschechische Politik kennt keine übertriebene Eile. Nach der letzten Wahl vor vier Jahren dauerte es vier Monate, bis die Regierung stand.

Zur Startseite