"Paradise Papers" und Großbritannien: Ein Königreich der Verschleierung
Die Briten betreiben ein undurchsichtiges Offshore-System für Reiche und Unternehmen mit Steuervermeidungsabsicht. Soll der Brexit dieses lukrative Netzwerk retten? Eine Analyse.
Die Cayman Islands waren einmal eine Pirateninsel, und Freibeuter herrschen dort in gewisser Weise immer noch. Das britische Überseeterritorium hat gut 50.000 Einwohner, aber 95.000 niedergelassene Firmen, meist im Finanzgeschäft. 40 Prozent aller Hedge-Fonds sollen dort registriert sein. Tausende Fonds und Trusts gibt es (die aber ganz woanders verwaltet werden). Der Wert aller auf den Inseln registrierten Vermögen ist enorm: Er liegt wohl bei mehr als drei Billionen Dollar und ist damit ungefähr so groß wie das deutsche Bruttoinlandsprodukt.
Die kleinen Caymans sind eine der großen Steueroasen der Welt, die reiche Privatpersonen und Unternehmen dazu nutzen, Vermögensverhältnisse zu verunklaren und Steuern zu sparen. Die Caymans sind eine Schatzinsel des Digitalzeitalters. Doch sie sind nur ein Teil des viel größeren Netzwerks, dessen wirtschaftliche Zentrale die City, der Londoner Finanzdistrikt, ist. Mit dem verantwortlichen Gesetzgeber gleich um die Ecke – im Parlament von Westminster. Großbritannien ist, um das unabhängige Tax Justice Network zu zitieren, „der größte Spieler im globalen System der Steueroasen“ und der juristischen Verdunkelung von Finanzströmen. Nicht umsonst nennt der frühere konservative Schatzkanzler Kenneth Clarke (der letzte Pro-Europäer der Partei im Unterhaus) London die „Welthauptstadt der Geldwäsche“.
Zu diesem System gehören nicht nur die Überseeterritorien (neben den Caymans sind das vor allem Bermuda, die Britischen Jungferninseln und Anguilla), sondern auch die tatsächlich „offshore“ liegenden Kronländer Jersey, Guernsey und Isle of Man. Sie sind allesamt autonome Gebiete unter der britischen Krone, mit eigener Verwaltung und eigener Gesetzgebung. Und das nutzen sie, um den Reichen dieser Welt beim steueroptimierten Sichern ihrer Vermögen und vielen Unternehmen mit Steuervermeidungsabsichten so weit als möglich entgegenzukommen.
Boris Johnson kontrolliert
Für die Überseeterritorien verantwortlich ist in der britischen Regierung übrigens Außenminister Boris Johnson, der prominenteste Brexit-Befürworter im Kabinett - und für die Kanalinseln und die Insel Man der Justizminister David Lidington, ein früherer Remainer, der aber im Sommer den Glauben wechselte und ins Lager der EU-Gegner wechselte. All diese Gebiete gehören irgendwie zu Großbritannien und bieten wie das Mutterland die Rechtssicherheit einer stabilen parlamentarischen Demokratie mit einem soliden Justizwesen. Aber alle (bis auf Gibraltar) gehören nicht zur Europäischen Union, fallen also nicht zwangsläufig unter deren Regulierungen.
So kann es sein, dass Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton an der Zahlung von Einfuhrumsatzsteuer für seinen in Kanada erworbenen Bombardier-Privatjet herumkam, den er über die Isle of Man einführte. Ob der Deal legal war, prüfen nun - nach den Berichten im Rahmen der "Paradise-Paper-Leaks" - Behörden auf Man und in Großbritannien. Doch meist sind diese Transaktionen legal. Auch werden internationale Abkommen, wenn es sich nicht mehr umgehen lässt, von den Steueroasen befolgt. Aber im britischen Offshore-System hat man es damit nicht unbedingt eilig. In der Koalitionsregierung mit den Liberalen deutete der frühere Premier David Cameron zwar mehr Kontrolle und Kooperation mit der EU und den G20 im Kampf gegen das Steueroasenwesen an, aber seit die Tories wieder allein regieren, geschieht praktisch nichts mehr.
Das Beispiel Ashcroft
Der Geschäftsmann Michael Ashcroft, einer der Top-Finanziers der Tories und ein führender und einflussreicher Brexit-Befürworter, ist ein gutes Beispiel dafür, wie britische Reiche dieses System nutzen. Ashcroft war jahrelang nicht Bürger des Königreichs, sondern residierte in dem Steuerparadies Belize. Das hieß früher Britisch-Honduras und gehört, wie auch die Seychellen und Mauritius zu den bis heute mit London eng verbundenen Commonwealth-Staaten, die man ebenfalls zum Offshore-System zählen kann. So musste Ashcroft seine Milliarden-Einnahmen jahrelang nicht versteuern, auch wenn er in England lebte und sein Geld verdiente. Die „Paradise Papers“ zeigen nun, wie er zumindest einen Teil seines Vermögens in Bermuda in einen Trust eingebracht hat, der für britische Reiche ein günstiges Vehikel ist, Vermögen steuersparend zu sichern und, wenn nötig, auch zu verschleiern.
In der Londoner City ist zwar nur eine Minderheit der Finanzfirmen für den Brexit (große Banken und Vermögensverwalter gehören meist nicht dazu), aber es gibt eine nicht zu unterschätzende Gruppe, welche Finanzmarktregulierung aus Brüssel verabscheut. Sie ist ein Störfaktor für das britische Offshore-System. Grund genug für EU-Skepsis und Austrittsgedanken. Viele Brexit-Hardliner vor allem bei den Konservativen sind Illusions-Künstler, die eine vergangenheitsorientierte Empire-Seligkeit geschickt in die Zukunft projizieren.
Das Offshore-System hat zu Empire-Zeiten begonnen, hat das Ende des Empire überlebt, hat sich modernisiert und angepasst und funktioniert noch wie einst: Es gibt das imperiale Zentrum in London, wo Tausende von Geldverwaltern, Anlageberatern und Rechtskanzleien davon gut leben, und es gibt die kleinen Satelliten an der Peripherie, wo sich das Geld digital sammelt. Wobei die Digitalisierung das britische Offshore-System nicht transparenter, aber auf jeden Fall effizienter gemacht hat.
Freihandel mit Geld
Es außerhalb der EU so gut und so lange wie möglich zu erhalten, dürfte auf dem Brexit-Flügel der Tories (der weniger konservativ denn marktliberal, wenn nicht marktradikal ist) zu den Kernzielen des EU-Ausstiegs zählen. Wenn man dort von globalem Freihandel redet, dann meint man nicht Waren – sondern Geld, Finanzströme, das Offshore-System. In dieses soll nicht zuletzt auch das Geld der neuen Reichen in den Schwellenländern fließen, aus China, Indien, Brasilien, Russland, der Türkei. Es sind allesamt Länder, in denen wirtschaftliche Freiheit geringer veranschlagt wird als in Großbritannien. Diesen Vermögenden bietet das Vereinigte Königreich das hohe Gut der Rechtssicherheit bei attraktiven Anlagebedingungen. Griechische Schiffseigner oder russische Oligarchen nutzen das schon länger. Dieses Geschäftsmodell ist sogar nachvollziehbar, denn Großbritannien ist wie keine der großen Wirtschaftsnationen in den vergangenen Jahrzehnten ökonomisch von der Finanzbranche abhängig geworden. Unterstützt wurde das durch eine eher laxe Regulierungspraxis aller britischen Regierungen seit Margaret Thatcher (also auch Labour), die letztlich mitverantwortlich war für die labile internationale Finanzarchitektur, welche zur globalen Finanzkrise nach 2007 führte.
Kommt die Schwarze Liste der EU?
Ob das Vorhaben, das Offshore-System durch den Brexit zu retten, auch aufgeht, ist freilich unklar. Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im Europa-Parlament, hält es für eine Illusion. Die internationale Staatengemeinschaft werde einen solchen Alleingang Großbritanniens außerhalb der EU nicht mitmachen. Er fordert: „Wir müssen die Brexit-Verhandlungen nutzen, um die britischen Steueroasen zu schließen.“ Innerhalb der EU bremse die britische Regierung seit Jahren den Kampf gegen Steuervermeidung und Geldwäsche. Einer schwarzen EU-Liste von Steueroasen stehe London besonders skeptisch gegenüber.
"Man braucht schon besonders viel britischen Humor, um zu verstehen, dass Karibikinseln mit einem Unternehmenssteuersatz von null Prozent laut EU-Definition keine Steueroasen sein sollen", sagt Giegold. Er glaubt, dass mit der bisher gezeigten Einigkeit aller EU-Staaten gegenüber London das Ziel auch erreicht werden kann. Ansetzen solle man bei den Überweisungen in die Steuerparadiese, sie sollten vorher besteuert werden. Zudem müsse Druck gemacht werden, die Nullbesteuerung von Unternehmen weltweit aufzuheben. Seiner Meinung nach wird die Londoner City das auch mittragen – weil sie kein Interesse an einer Verschlechterung der Geschäftsbeziehungen mit der EU habe.
Ein kleiner Schlag gegen das Offshore-System wäre die von der EU-Kommission bis zum Jahresende in Aussicht gestellte Schwarze Liste mit Steuerparadiesen. Der geschäftsführende Bundesfinanzminister Peter Altmaier (CDU) ist dafür, beim nächsten Treffen der EU-Finanzminister entsprechende Vorschläge zu verabschieden. Nötig sei "ein klares Ergebnis mit Signalwirkung". Der Beschluss ist eine Reaktion auf die "Paradise Papers".