Was wird aus der „Zeitenwende?“: Ein Kanzler unter Druck – Scholz muss Klarheit bei Waffenlieferungen schaffen
Die Kritik am Kanzler ist teils überzogen. Er muss eine entscheidende Woche nutzen, um offene Fragen zur Ukraine zu beantworten. Ein Kommentar.
Olaf Scholz zu verstehen, ist eine Wissenschaft für sich. Der Kanzler läuft Gefahr, dass sich teils unberechtigte Negativurteile über ihn festsetzen, die sich auch in seine Koalition hineinfressen. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt, die Kommunikation des Kanzlers und seines Teams ist und bleibt bisweilen unglücklich, zu unklar. Nun bietet sich Scholz eine große Chance, die Kritiker zu widerlegen.
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Und zu überraschen, wie in den Tagen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Wenn man so will, schließt sich in dieser ersten Juni-Woche im Bundestag ein Kreis. Am 27. Februar hat er seine jetzt schon historische Zeitenwende-Rede im Deutschen Bundestag gehalten, danach vermochte er es aber nicht, überzeugend zu liefern.
Am 28. April beschloss der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Koalition und der Union, dass der Ukraine auch schwere Waffen geliefert werden können. Danach passierte aber nicht viel, und Scholz geriet immer mehr in die Defensive.
Schafft Scholz nochmal eine große Rede?
Nun bietet sich Scholz an diesem Mittwoch in der Generaldebatte im Bundestag die große Chance, seine Kritiker zu widerlegen. Und zu überraschen, wie ihm das in den Tagen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gelungen war. Ein erster Erfolg ist es nun, dass mit der Union eine Einigung über das im Grundgesetz zu verankernde 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr und die weitere Verteidigungsfinanzierung erzielt werden konnte.
Denn für die Grundgesetzänderung braucht Scholz die Zwei-Drittel-Mehrheit. Damit bekommt die Bundeswehr die dringend notwendige Auf- und bessere Ausrüstung. Aber es muss auch das Beschaffungswesen reformiert werden – Scholz und seine Koalition werden daran gemessen werden, was nun wie schnell angeschafft werden kann. Er hält bisher daran fest, dass die überfordert wirkende Verteidigungsministerin Christine Lambrecht die Richtige dafür ist.
Wenn er dann bei der Generaldebatte eine Kanzler-Rede halten würde, die detailliert ausführt, was er an schweren Waffenlieferungen will und zusichern kann, mithin die Solidarität mit der Ukraine mit Taten ausbuchstabiert, könnte der Blick auf ihn ein anderer werden. Auch im Ausland.
Und Wladimir Putin könnte er zeigen, dass er sich von dessen jüngsten Warnungen im gemeinsamen Telefonat, Kiew keine weiteren Waffen zu liefern, nicht beeindrucken lässt und so Führung zeigt.
Die Methode Scholz
Zur Methode Scholz gehört, dass er sich nicht treiben lässt, dass er bockig sein kann – erinnert sei daran, wie er wochenlang vor dem Krieg das Wort Nord Stream 2 gar nicht mehr in den Mund nehmen wollte, weil er glaubte, es würde Putin vom Krieg abhalten, wenn der bewusst über das Ausmaß der Sanktionen im Unklaren gelassen werde.
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Zur Methode Scholz gehört aber auch, dass er erst, wenn Ergebnisse fest vereinbart sind, auch darüber informiert, nicht über Absichten und Zwischenstände. Das würde beim Thema Waffenlieferungen bedeuten, erst wenn Verträge fix sind. Der Methode folgend müsste im Schatten der schwierigen Scholz-Wochen jenseits der Öffentlichkeit intensiv verhandelt worden und mehr erreicht und verabredet worden sein, als bisher bekannt ist.
Bisher sind viele Fragen jedoch offen: Ist er bereit, auch Marder-Schützenpanzer zu liefern? Oder stehen dem angebliche informelle Nato-Absprachen entgegen? Was ist noch beim Thema Artillerie und Flugabwehr möglich? Hat man mehr Munition für den Flakpanzer Gepard auftreiben können, deren Weitergabe an die Ukraine bisher von der neutralen Schweiz, wo sie zentral hergestellt worden ist, blockiert wurde?
Die Ukraine verliert zunehmend an Boden
Auf dem Schlachtfeld ändern sich gerade deutlich die Gewichte zuungunsten der Ukraine, Stück für Stück macht die russische Armee im Donbass Geländegewinne. Wenn Scholz aber wieder nur eine Rede mit bekannten Positionen hält, noch dazu keine Einigung beim Sondervermögen erreicht wird, stehen ihm sehr komplizierte Wochen bevor.
Sicher, die Debatte hat seltsame Züge angenommen, als ob allein mit deutschen Waffenlieferungen für die Ukraine der Krieg zu gewinnen wäre. Nein, entscheidend sind die Lieferungen aller Nato-Staaten zusammen. Und es ist ein Fehler, die Debatte auf 100 Marder-Schützenpanzer zu verengen.
Zeigt sich doch gerade, dass die russische Armee zur Minimierung eigener Opferzahlen vor allem auf massiven Artilleriebeschuss und Raketenangriffe im Donbass setzt. Daher muss dringend die Flugabwehr der ukrainischen Armee gestärkt werden. Dazu können die rund 30 Gepard-Panzer ein guter Beitrag sein. Seit Wochen gibt es zudem Spekulationen, ob Deutschland auch moderne Flugabwehrsysteme liefern könnte, mit denen bedrohte Städte besser geschützt und russische Angriffe abgefangen werden könnten.
Gerade Luftverteidigungssysteme könnten die Opfer auf ukrainischer Seite verringern und der russischen Zerstörungsoffensive nachhaltig etwas entgegensetzen.
Eine Mehrheit der Bürger steht hinter Scholz’ abwägender Politik. Zugleich, das darf man nicht vergessen, sind die Inflations- und kriegsbedingten Preissteigerungen die größte Sorge vieler Menschen. Die Entlastungspakete vom Neun- Euro-Ticket bis zum Tankrabatt werden nicht reichen. Klar, der Staat kann nicht alles auffangen, aber die Bürger brauchen in diesen Zeiten einen Kanzler, der hier zusätzliche Lösungen aufzeigt. Diese Woche bietet Scholz eine gute Gelegenheit, mit seiner Kanzlerschaft wieder etwas mehr in die Offensive zu kommen.
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