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Kanzler Olaf Scholz.
© Phill Magakoe / AFP

Blockiert Scholz Panzer für die Ukraine?: Der Kanzler und die informelle Nato-Absprache

Bisher unbekannte Nato-Absprachen bringen Kanzler Scholz unter Zugzwang. Die Union fordert Aufklärung, warum er die Lieferung von 100 Marder-Panzern blockiert.

Der Kanzler bekommt diese Debatte nicht in den Griff, trotz aller Kommunikationsoffensiven. Auch weil Olaf Scholz nicht alles so offen aussprechen kann, wie einige es gerne hätten.

Alles dreht sich um die Frage, was er auf Chefebene im Kreis der Nato-Staaten vereinbart hat, ob es eine Absprache gibt, keine Kampf- und auch keine Schützenpanzer westlicher Bauart der Ukraine zu liefern - um den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht so zu provozieren, dass man selbst Kriegspartei wird. Also ob man hier eine eigene rote Linie eingezogen hat, es aber der Öffentlichkeit lieber verschweigt.

Die Parlamentarische Verteidigungs-Staatssekretärin Siemtje Möller hatte im ZDF gesagt, es sei die „einheitliche Position“ der westlichen Nato-Mitgliedsstaaten, keine Schützenpanzer oder Kampfpanzer westlichen Modells zu liefern. Zwar gab es zunächst die Aussage eines Nato-Sprechers, dass die Entscheidungen über die Lieferungen eine nationale Angelegenheit seien. Doch es verfestigt sich der Eindruck, dass Möller womöglich ausgeplaudert hat, was Scholz intern klargemacht hat.

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Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Verteidigungsausschuss-Vorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Frage, was er in der Sondersitzung am 13. Mai zu Panzerlieferungen gesagt und nicht gesagt hat, wird nun zum Politikum.
Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Verteidigungsausschuss-Vorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Frage, was er in der Sondersitzung am 13. Mai zu Panzerlieferungen gesagt und nicht gesagt hat, wird nun zum Politikum.
© Michael Kappeler/dpa

Von Seiten der Bundesregierung wird eingeräumt, dass es informelle Gespräche gegeben hat, was man liefert und was besser nicht. Zur zweiten Kategorie gehören eindeutig deutsche Leopard-2-Panzer, weil sie anders als die T62- oder T72-Panzer sowjetischer Bauart, die etwa Polen und Tschechien in großer Zahl der Ukraine überlassen, nach Auffassung von Experten ein echter Gamechanger sein könnten im Krieg gegen russische Panzer.

Was Scholz im Verteidigungsausschuss sagte - und was nicht

Ausgangspunkt der Debatte ist die Sondersitzung des Verteidigungsausschusses am 13. Mai gewesen, bei der Scholz rund 40 Minuten den Stand der Dinge erläutert hat. Da das Ganze aber überschattet wurde vom vorzeitigen Verlassen der Sitzung durch mehrere FDP-Abgeordnete, die nicht zufrieden waren mit den Aussagen des Kanzlers, ging ein entscheidender Punkt etwas unter.

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Scholz hat dort intern deutlich gemacht, dass unter anderem mit Großbritannien, Frankreich und den USA verabredet worden sei, vorerst keine eigenen Kampfpanzer direkt an die Ukraine zu liefern.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) , hier auf Truppenbesuch in Niger, wo die Bundeswehr Mitglieder der Nigrischen Armee ausbildet.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) , hier auf Truppenbesuch in Niger, wo die Bundeswehr Mitglieder der Nigrischen Armee ausbildet.
© Michael Kappeler/dpa

Der SPD-Obmann im Verteidigungsausschuss, Wolfgang Hellmich, sagte dies anschließend auch öffentlich vor der Tür des Saales, damit sei klar, dass zum Beispiel keine Leopard-Kampfpanzer geliefert werden.

Aber es wurde davon kaum Notiz genommen, wegen des von Marcus Faber, dem verteidigungspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion, initiierten Eklats, der auf Druck der Partei- und Fraktionsführung zu dessen Rücktritt führte. 

Gilt der Lieferausschluss auch für den Marder-Panzer?

Aber das Wort „Schützenpanzer“ ist hier laut Teilnehmern in der Sitzung nicht gefallen – daher steht nun die Frage im Raum, ob es weitere Absprachen gibt, auf die Scholz im Nato-Kreis gedrungen hat? Gerade in seiner SPD gibt es viele Skeptiker, was schwere Waffenlieferungen anbelangt. „Er ist hier zur vollständigen Offenlegung verpflichtet“, wird in der Union betont, dass das Ganze ein Nachspiel für den Kanzler haben könnte.

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Der will um jeden Preis verhindern, dass Deutschland und andere Nato-Staaten von Wladimir Putin als Kriegspartei eingestuft werden könnten. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hat er gemahnt, Russland sei aus seiner Sicht eine „nuklear hochgerüstete Großmacht“. Beim Kanzler kommt zudem noch hinzu, dass er parallel auf allen Kanälen, auch durch direkte Gespräche mit Putin, versucht, einen Waffenstillstand zu erreichen. Er pocht auf einen abwägenden Kurs.

Das Kanzleramt windet sich bei klaren Antworten

In Regierungskreisen wird nur sehr vage geantwortet, auf eine Tagesspiegel-Anfrage zu Absprachen im Nato-Kreis und der internen Kommunikation darüber. „Zwischen Partnern und Alliierten gibt es ein gemeinsames Verständnis, dass nationale Waffenlieferungen der Ukraine möglichst rasch und effektiv bei der Verteidigung des Landes unterstützen sollen“, wird betont.

„Ebenso gibt es ein gemeinsames Verständnis, dass über Waffenlieferungen keine Einbeziehung in den Konflikt mit Russland erfolgen darf.“ Das deutet aber dann in der Tat darauf hin, dass es entsprechende informelle Absprachen gibt.

Die Ukraine hätte vor allem gerne 100 Schützenpanzer vom Typ Marder, die der Rheinmetall-Konzern schrittweise liefern könnte. Aber obwohl nach Tagesspiegel-Informationen Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dafür sind, gibt es hierzu bisher keine Entscheidung des Bundessicherheitsrats, dem Kanzler Scholz vorsitzt.

Eine Anfrage an das Bundespresseamt, ob es auf Chefebene im Nato-Kreis auch Absprachen gegeben hat, neben Kampfpanzern auch keine Schützenpanzer der Ukraine zu liefern, bleibt unbeantwortet.

 Union: Wie lange schauen sich FDP und Grüne das noch an?

Die Union ist zunehmend empört, zumal es einen gemeinsamen Bundestagsbeschluss gibt, auch solche schweren Waffen zu liefern, der nun durch informelle Kanzler-Absprachen im Nato-Kreis ausgehebelt werden könnte.

„Die Bundesregierung gibt ein chaotisches Bild von Entscheidungen und Kommunikation ab“, sagte Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU) auf Tagesspiegel-Anfrage. „Und das an Tagen, wo Russland 40 ukrainische Städte bombardiert. Der Kanzler ist offensichtlich der Gefangene seiner Fraktion und überfordert, den politischen Kurs zu bestimmen.“

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Wer Flakpanzer mit 30 Millimeter-Zwillingskanonen liefere – Wadephul meint hier die genehmigte Lieferung von rund 30 Gepard-Flugabwehrpanzern – könne auch Marder mit einer 20 mm Bordkanone liefern. „Es ging und geht die ganze Zeit um diese etwa 100 Schützenpanzer, die Rheinmetall längst hätte liefern können. Wie lange schauen Grüne und FDP sich das noch an?“, meint Wadephul.

Leopard-Panzer nur im Ringtausch

Was sich abzeichnet: Leopard-Kampfpanzer sollen auf keinen Fall an die Ukraine geliefert werden. Leopard-Panzer sollen von Bundeswehr (die aber kaum welche abzugeben hat) und Industrie nur im Rahmen der Ringtausch-Geschäfte mit osteuropäischen Partnern abgegeben werden, die dafür ihre Panzer, etwa vom Typ T72, der Ukraine überlassen.

Der Panzer von Typ Leopard 2 A4 soll nur an östliche Nato-Partner, nicht aber an die Ukraine abgegeben werden.
Der Panzer von Typ Leopard 2 A4 soll nur an östliche Nato-Partner, nicht aber an die Ukraine abgegeben werden.
© dpa

„Die wollen keine Schützenpanzer“, heißt es in Koalitionskreisen. Da aber Deutschland bisher kaum etwas geliefert hat, ist vor allem Polen sauer, Präsident Andrzej Duda wirft Scholz Wortbruch vor – hier bisher keine Panzer aus Deutschland eingetroffen seien.

Frust über „Kakophonie“ in der Ampel

„Es gibt eine unfassbare Kakophonie“, ist aus Reihen der Ampel-Koalition zu hören. Es brauche dringend klare Ansagen. Der Bau eines Leopard-Panzers dauert drei Jahre, es steht nun auch die Frage im Raum, bis wann Polen wie viele Ersatzlieferungen zugesagt worden sind.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), pocht nun umso energischer auf einen zentralen Waffen- und Panzer-Koordinator im Kanzleramt, der möglichst unabhängig ist, um die Wünsche der Ukraine, die Ringtauschgeschäfte und die Anträge der Industrie zu koordinieren und Lieferzeiten plus Details für die Ausbildung ukrainischer Soldaten festzulegen. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel betont Strack-Zimmermann, dass man da jetzt nicht noch mehr Zeit verlieren dürfe. „Wir brauchen endlich jemanden, der das federführend in die Hand nimmt.“

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