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Demonstration für Deniz Yücel im März 2017 in Hamburg
© Axel Heimken/dpa

Deniz Yüzel: Ein Jahr ohne Anklage

365 Tage wird der Journalist Deniz Yücel am Dienstag in der Türkei ohne Anklage in Haft festgehalten. Wieviel Hoffnung gibt es auf seine Freilassung?

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Die vermeintlich gute Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Als das türkische Verfassungsgericht im Januar die Freilassung von zwei inhaftierten Journalisten anordnete, da glaubten Freunde, Anwälte und Kollegen von Deniz Yücel, jetzt werde auch der deutsch-türkische Reporter der „Welt“ bald seine Zelle im Gefängnis von Silivri bei Istanbul verlassen können. Schließlich gab es nicht nur die höchstrichterliche Anweisung, die als Präzedenz-Entscheidung galt. Kurz vor dem Urteil hatte auch die türkische Regierung gegenüber deutschen Politikern signalisiert, sie wolle den Fall Yücel lösen. Alle warteten gespannt auf den Moment, in dem Yücel aus dem Gefängnistor kommen würde. Aber der Moment kam nicht.

Wie begann der Fall Yücel?

Seit einem Jahr sitzt Yücel hinter Gittern. Weil die türkische Justiz hinter ihm her war, hatte sich der Türkei-Korrespondent Ende Dezember 2016 in der Istanbuler Sommerresidenz der deutschen Botschaft am Bosporus in Sicherheit gebracht. Yücel wurde offenbar wegen seiner Berichte über private E-Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak, eines Schwiegersohns von Präsident Recep Tayyip Erdogan, gesucht. Zudem wird ihm vorgeworfen, mit einem Interview mit Cemil Bayik, einem Anführer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die Propaganda einer Terrororganisation verbreitet zu haben.

Vertrauliche Versuche deutscher und türkischer Stellen, den Fall des Journalisten diskret zu lösen, brachten kein Ergebnis. Deshalb stellte sich Yücel schließlich am 14. Februar den türkischen Behörden, kam zunächst in Polizeigewahrsam und schließlich in Untersuchungshaft.

Was wird ihm konkret vorgeworfen?

Eine Anklageschrift gegen den 44-Jährigen gibt es bis heute nicht, wohl aber eine Vorverurteilung von höchster Stelle: Yücel habe sich als „PKK-Repräsentant“ und als „deutscher Agent“ in der Sommerresidenz versteckt, sagte Präsident Erdogan kurz nach Yücels Festnahme. Aus Sicht der türkischen Regierung passt Yücel in das Muster staatsfeindlicher Aktivisten. Erdogan nennt unbotmäßige Journalisten die „Gärtner“ des Terrorismus, die mit ihren Artikeln kurdische Gewalttäter oder die angeblichen Putschisten aus der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen anstiften. Rund 150 Journalisten sitzen in der Türkei in Haft, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Vielen wird vorgeworfen, gleich mehrere Terrororganisationen unterstützt zu haben. Bei Yücel gibt es bis heute nichts Schriftliches von der Anklagevertretung.

Was kann die Bundesregierung für Deniz Yücel tun?

Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ihn um Freilassung des Reporters gebeten, doch er habe auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz verwiesen, betonte Staatschef Erdogan. Schon wenig später fügte er hinzu, so lange er im Amt sei, werde Yücel nicht nach Deutschland heimkehren. Wenn Erdogan die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr gewinnt, könnte er bis zum Jahr 2029 Staatschef bleiben. Damit war die Tür zu Yücels Zelle fest verschlossen.

Weil der Reporter neben dem deutschen auch einen türkischen Pass hat, liegt sein Fall anders als der des Berliner Menschenrechtlers Peter Steudtner, der im Sommer wegen angeblich staatsfeindlicher Umtriebe in Haft kam, beim ersten Gerichtstermin im Oktober aber freigelassen wurde. Yücel wurde dagegen wie ein Schwerverbrecher in Einzelhaft festgehalten, während Ankara alle Appelle zur Freilassung des Journalisten immer wieder zurückwies.

Wie geht es ihm in der Haft?

Laut Yücels eigenen Berichten aus Silivri und nach Einschätzung von Besuchern geht es dem Reporter im Gefängnis einigermaßen gut. Seit einigen Monaten ist er nicht mehr abgeschottet, sondern darf sich tagsüber auf dem Hof vor seiner Zelle mit dem türkischen Journalisten Oguz Usluer treffen – der war Nachrichtenchef des Fernsehsenders Habertürk und sitzt wegen des Verdachts der Nähe zur Gülen-Bewegung in Haft. Er weiß ebenso wenig wie Yücel, wann er mit einem Urteil oder der Freilassung rechnen kann. Immerhin konnte sich Usluer schon vor Gericht gegen die Vorwürfe der Anklage verteidigen. Yücel frühstückt mit Usluer und absolviert mit ihm den Hofgang. Seine Frau Dilek darf er nur einmal pro Woche sehen – und zwar nur unter Beobachtung von Vollzugsbeamten.

#FreeDeniz als Aufkleber - am Mittwoch 14.2.2018 wird wieder für Deniz Yücels Freilassung demonstriert.
#FreeDeniz als Aufkleber - am Mittwoch 14.2.2018 wird wieder für Deniz Yücels Freilassung demonstriert.
© Andreas Arnold/dpa

Deniz Yücel verbringt seine Tage mit Lesen – er hat elf türkische Tageszeitungen abonniert – und mit Schreiben. Er hat einen Fernseher und kann sich im Gefängnisladen Stifte und Papier kaufen - in dieser Woche erscheint ein Buch, das auch zwei im Hochsicherheitsgefängnis verfasste Texte von Yücel enthält.

Dass es Yücel zumindest gesundheitlich gut geht, ist in Silivri keine Selbstverständlichkeit. Sein ebenfalls dort inhaftierter türkischer Kollege Ahmet Sik, ein Investigativreporter der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, ist bereits seit mehr als 13 Monaten im Gefängnis und dort so krank geworden, dass er an seinem jüngsten Prozesstermin selbst nicht teilnehmen konnte.

Wann und wie könnte Yücel freikommen?

Hoffnung keimte im Zuge der deutsch- türkischen Wiederannäherungsversuche der vergangenen Monate auf. Die Außenminister Mevlüt Cavusoglu und Sigmar Gabriel sprachen häufig und lange über die diversen Streitpunkte in den Beziehungen. Als Cavusoglu betonte, er sei nicht erfreut über das Ausbleiben einer Anklageschrift gegen Yücel, ließ das Beobachter aufhorchen: Auch Steudtners Freilassung im vorigen Jahr war sachte Kritik von Cavusoglu an der Justiz vorausgegangen.

Gabriel deutete unterdessen einen Zusammenhang zwischen einer Genehmigung für deutsche Rüstungslieferungen an die Türkei und Yücels Freilassung an. Auch wenn solche Überlegungen vielfach kritisiert wurden, entstand der Eindruck, dass die Dinge in Bewegung kämen. Yücel selbst hatte der Nachrichtenagentur dpa erklärt, für seine Freilassung lehne er „schmutzige Deals“ ab. Er wolle seine Freiheit nicht „mit Panzergeschäften von Rheinmetall oder dem Treiben irgendwelcher anderen Waffenbrüder befleckt wissen“ und auch nicht gegen Anhänger der Gülen-Bewegung ausgetauscht werden, nach denen die Türkei fahndet.

Daher sorgte auch das Verfassungsgerichtsurteil zur Freilassung der türkischen Journalisten Sahin Alpay und Mehmet Altan – die auch in Silivri einsitzen – für Aufsehen. Die obersten Richter sahen in den langen Untersuchungshaftzeiten eine Verletzung ihrer Grundrechte. Auch für Yücel, der sich ebenfalls an das oberste Gericht gewandt hatte, könnte sich hier ein Weg zur Freiheit auftun, war die Vermutung. Doch die Vorfreude währte nur kurz: Untergeordnete Gerichte weigerten sich, die Anweisung der Verfassungsrichter umzusetzen und erhielten dafür ausdrücklich Beifall von der Erdogan- Regierung. Anfang Februar nahm die Justiz auch die zunächst angeordnete Haftentlassung des Menschenrechtlers Taner Kilic wieder zurück.

Was kann Yücel derzeit Hoffnung machen?

Alle Hoffnungen von ihm und anderen Inhaftierten richten sich jetzt auf den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg. Als Ober-Aufseher fällt den Richtern die Aufgabe zu, Grundsatzurteile für den Umgang der Türkei mit gewaltfreien Kritikern zu fällen. Zumindest theoretisch muss sich die Türkei als Mitglied des Europarates Urteilen aus Straßburg auch beugen. Und dort wächst inzwischen der Druck. Die deutsche Bundesregierung betonte in einer Stellungnahme für das Europa-Gericht zum Fall Yücel, der Reporter sei allein wegen seiner kritischen Berichterstattung in Haft. Straßburg will bis zum Sommer dieses Jahres über Yücels Schicksal entscheiden.

„Wir sind ja nicht zum Spaß hier“

Was planen seine Unterstützer?

Ein Jahr nach der Festnahme von Deniz Yücel wird in Berlin wieder für seine Freilassung aus türkischer Haft demonstriert: Für Mittwoch sind ein

Autokorso und eine Lesung mit Texten von Yücel durch Herbert Grönemeyer, Hanna Schygulla, Anne Will, Mark Waschke und Gustav Seibt geplant. Der „Korso der Herzen“ soll am Festsaal Kreuzberg starten und auch dort enden, anschließend ist dort die Lesung geplant.

Gleichzeitig erscheint bei der Edition Nautilus das Buch „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ mit Reportagen, Satiren, Polemiken, Kommentaren und anderen „Gebrauchstexten aus dem Handgemenge“, wie es im Untertitel heißt – darunter zwei im Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9 verfassten Texten und ein Beitrag seiner Frau, der Fernsehproduzentin und Lyrikerin Dilek Mayatürk Yücel. Das Buch hat der „Welt“-Reporter in mühsamer Kommunikation über seine Anwälte mit seiner langjährigen Freundin, der „taz“-Redakteurin Doris Akrap, selbst zusammengestellt. Deniz Yücel schildert darin auch, wie er trotz Verbot von Papier und Stift begann, mit einer Plastikgabel und Tomatensoße in einen Roman und später in ein türkisches Exemplar von „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry zu schreiben, dem er für den „um seine Zeichnungen, aber auch um den Text herum so üppigen Weißraum“ dankt. In älteren Texten aus den vergangenen 13 Jahren geht es unter anderem um Journalismus („Scheißefinden und Besserwissen“), um „Biokoks und Surenbingo“ – und um die politische Lage in der Türkei: „Der Chef, der Putsch und der Park“. (mit dpa)

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