Report über Polizei in US-Kleinstadt Ferguson: Ein Hort rassistischer Stereotype
Das US-Justizministerium hat bei der Untersuchung der Polizeiarbeit in Ferguson ein erschreckendes Fazit gezogen. In der Kleinstadt, in der es 2014 nach dem Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown schwere Ausschreitungen gegeben hatte, seien Rassismus und Polizeiwillkür an der Tagesordnung.
Polizeibeamte lassen einen Hund ohne Maulkorb auf einen strolchenden Jugendlichen los; Menschen werden verhaftet, weil sie nicht auf dem Bürgersteig gehen; Bürger sitzen in einer Gefängniszelle, weil sie widersprochen haben; Polizisten nehmen einen Vater fest, weil sein Kind an einen Busch gepinkelt hat, die Leute werden bedroht, verängstigt, eingeschüchtert und schikaniert. Die Bürger sind praktisch durchgehend schwarzer Hautfarbe, die Polizisten weiße Beamte des Polizeireviers in Ferguson.
Was US-Justizminister Eric Holder am Mittwochnachmittag in Washington über die Zustände bei der Polizei in dem kleinen Ort im US-Bundesstaat Missouri präsentiert hat, ist ein Report über einen Hort rassistischer Stereotype in einer Atmosphäre gewalttätiger Allmachtsfantasien. Als im vergangenen Jahr ein weißer Polizist den schwarzen Teenager Michael Brown in Ferguson erschoss, fegten teils gewalttätige Proteste den Alltag des Ortes weg. Viele Bewohner berichteten damals von Rassismus und Schikanen der Polizei. Nach einer halbjährigen Untersuchung hat das Justizministerium jetzt eine mehr als 100-seitige Untersuchung vorgelegt. Darin gibt Holder den Bewohnern nachträglich Recht.
„Verfassungswidrig und unzulässig grob“
Festgestellt wurden „Muster unnötig aggressiven und zu Teilen ungesetzlichen Verhaltens von Polizisten“. Aktionen der Beamten seien, heißt es im Bericht teilweise „verfassungswidrig und unzulässig grob“. Auf die 65 Prozent afro-amerikanischer Bevölkerung verteilten die fast ausnahmslos weißen Beamten 85 Prozent der Verkehrskontrollen, 90 Prozent der Verwarnungen und 93 Prozent der Festnahmen. Die statistische Abweichung sei auch nicht durch andere Faktoren wie Kriminalitätsrate oder demografische Zusammensetzung zu erklären. In jedem Fall übrigens, in dem ein Polizeihund zugebissen hatte und Daten über die ethnische Zugehörigkeit des Gebissenen vorhanden waren, hatte der Gebissene dunkle Haut. Zudem sei das Revier darauf fixiert gewesen, mit den Verwarnungsgeldern und Strafen Gewinn zu erzielen.
Das Justizministerium betrachtet die Situation auf dem Revier als von innen nicht reformierbar. Washington forderte die Stadt Ferguson deshalb auf, sein Strafrechtssystem zu überholen. Die Stadt habe derart viele Verfassungsbrüche begangen, dass dies nur durch einen völlig neuen Zugang zu Polizeiarbeit, eine Umschulung der Beamten und Angestellten und die Einführung einer neuen Aufsichtsstruktur korrigiert werden könne.
In diesem Kontext ist es nicht hart sich vorzustellen“, sagte Justizminister Holder, „wie ein einzelner tragischer Vorfall, die Stadt wie ein Pulverfass hochgehen lässt“. Holder nannte den Tod Michael Browns mit Bedacht einen tragischen Vorfall. Am selben Tag präsentierte das Justizministerium eine Untersuchung, derzufolge gegen den Schützen keine weitere Ermittlung des Ministeriums folgen soll. Es gebe keine klaren Beweise, die die Aussage des Polizisten widerlegten. Dieser hatte ausgesagt, aus Angst um seine eigene Sicherheit geschossen zu haben.
Kritik an Bürgermeister James Knowles
Mit Spannung war am Abend dann auf eine Stellungnahme des Bürgermeisters von Ferguson gewartet worden. James Knowles erklärte auf einer Pressekonferenz, die Stadt habe begonnen, Dinge zu verändern. Auf die konkreten Aufforderungen aus Washington ging er nicht ein. Der Report erlaube der Stadt, „Probleme nicht nur in unserem Polizeirevier, sondern in der ganzen Region St. Louis zu identifizieren“, sagte Knowles. „Nicht nur als Stadt, auch als Bundesstaat und als Land müssen wir besser werden. Wir müssen alle gegen Probleme der Rassenungleichheit in allen Bereichen der Gesellschaft arbeiten."
Bürgerrechter in Ferguson und im ganzen Land reagierten mit einer Mischung aus Unglauben und Ärger auf die Einlassung des Bürgermeisters. Dieser ließ bei seiner Erklärung keine Fragen zu. Immer wieder kam in TV-Diskussionsrunden am Abend zur Sprache, angesichts dessen, was der Report belege, habe man den Rücktritt des Poliziechefs von Ferguson erwartet. Und eine Entschuldigung.
Vom Weißen Haus gab es zumindest bis zum späten Abend noch keine Reaktion. Auch US-Präsident Barack Obama war im Muster von Ferguson rassistisch beleidigt worden. Wie Ermittler festgestellt haben, ließen Beamte rassistische Witze auf ihren Regierungsaccounts zirkulieren - offenbar ohne jegliche Angst vor Bestrafung. Eine schwarze Frau solle einen Kriminalitätspräventionspreis verliehen bekommen, wenn sie eine Abtreibung vornehmen lasse, hieß es in einem Schreiben. In einem anderen wurde Obama als Schimpanse dargestellt. Auch höhere Beamte waren in den Verteilerkreis dieser Emails involviert. Abmahnungen hat es nicht gegeben. Am Mittwoch sagte Bürgermeister Knowles aber, ein Beamter sei inzwischen für das Senden rassistischer Emails gefeuert worden, gegen zwei weitere liefen Untersuchungen.
Die Eltern von Michael Brown ließen am Mittwoch über ihren Anwalt erklären, die Entscheidung, nicht weiter gegen den Schützen zu ermitteln, enttäusche sie tief. Aber wenn der Report Veränderungen in Ferguson bringen könne, „dann wird unser Sohn nicht umsonst gestorben sein“.
Der Report im Detail
Beispiele aus dem Report, den Sie hier in voller Länge als PDF-Dokument einsehen können:
- Auf dem Weg zur Verhaftung eines anderen Mannes legt ein Polizist einem anderen Schwarzen auf dem Parkplatz vor dem Haus ohne jeden Verdacht Handschellen an und verfrachtet ihn ins Polizieauto zu Personalienüberprüfung. Es war der Vermieter des Gesuchten.
- Ein Beamter nimmt eine Ladenbesitzerin fest. Diese hatte der Festnahme ihres Angestellten widersprochen. Den Angestellten hatte der Officer festgenommen, als er in seiner Mittagspause auf dem Weg von der Bank in den Laden zurück „unsafely“ auf der Straße gegangen war. Der Chefin wurde Einmischung in Polizeihandeln vorgeworfen.
- Ein Paar geht mit seinen Kindern in den Park, ein Kind darf an einen Busch neben einem geparkten Auto pinkeln. Ein Officer hält die beiden fest und wirft ihnen vor, sie hätten zugelassen, dass sich ihr Kind entblöße. Vor den Kindern überprüft er den Vater auf offene Haftbefehle. Als sich die Mutter beschwert, sagt der Polizist zu ihrem Mann: „Du wanderst ins Gefängnis, weil Deine Frau nicht den Mund hält.“ Er nimmt ihn dann mit wegen des Vorwurfs einer Vernachlässigung der Aufsichtspflicht.
- Gegen eine Frau setzt ein Polizist in der Haft einen Elektroschocker ein, weil sie sich geweigert hat, ihre Armbänder abzulegen.
- Ein Officer lässt einen Polizeihund auf einen 14-jährigen Jungen (165 Zentimeter groß, 65 Kilo schwer) los, der sich nachts mit einem Freund in einem leeren Haus herumtreibt. Der Hund beißt den Jungen in den Arm. Wie in anderen Fällen begründet der Beamten sein Handeln damit, er müsse den Hund loslassen, um Leute aus Verstecken zu treiben.