EU-Entsenderichtlinie: Ein Etappensieg gegen Sozialdumping - und den Populismus
Mit der Überarbeitung der Arbeitnehmer-Entsenderichtlinie zeigen EU-Kommission und Europas Mitgliedstaaten, dass sie lernfähig sind. Ein Kommentar.
Europas Mühlen mahlen langsam. Aber jetzt haben sie einen Kompromiss zu Stande gebracht, der dem Lohn- und Sozialdumping in der Europäischen Union Einhalt gebieten soll. Das ist gut so. Denn in der Praxis könnte sich die Entscheidung der EU-Sozialminister, die sich in der Nacht zum Dienstag auf eine Revision der so genannten Arbeitnehmer-Entsenderichtlinie einigten, als wirksamer erweisen als manche flammende Anti-AfD-Rede im Bundestag.
Hunderttausende Beschäftigte in der EU werden von Firmen in andere EU-Staaten entsandt. Dort erhalten sie zwar den jeweiligen Mindestlohn, aber in der Regel nicht andere im Aufnahmeland geltende Lohnbestandteile wie Weihnachtsgeld, Prämien oder Schlechtwettergeld. Seit der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 klagen deshalb Firmen in Westeuropa immer wieder über Konkurrenz von Unternehmen aus Osteuropa. Sie machen Gebrauch von der bislang geltenden Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996. Betroffen sind unter anderem das Baugewerbe, Schlachtbetriebe, die Gebäudereinigung und der Pflegebereich.
Kampf gegen Missbrauch
Der Umgang mit der Konkurrenz von Firmen, die heimische Unternehmen unterbieten, ist ein heikles Thema. Einerseits ist der freie Wettbewerb im EU-Binnenmarkt legitim. Dass sie vergleichsweise niedrige Sozialabgaben zahlen, ist für viele osteuropäische Unternehmen ein wichtiger Pluspunkt auf dem freien Binnenmarkt. Hinter der Klage über die „polnischen Klempner“, die lautstark in Frankreich nach der EU-Osterweiterung erhoben wurde, verbirgt sich allzu oft nichts weiter als Besitzstandswahrung und knallharter Protektionismus. Problematisch wird es aber dann, wenn heimische Beschäftigte in manchen Branchen – beispielsweise im Schlachtgewerbe – systematisch von entsandten Arbeitnehmern unterboten werden. Derartige Fehlentwicklungen stärken Rechtsextreme und Populisten wie den Front National in Frankreich und die AfD in Deutschland.
In dieser schwierigen Situation haben die EU-Kommission und Europas Mitgliedstaaten den Beweis erbracht, dass sie lernfähig sind. Künftig müssen entsandte Arbeitnehmer auch Weihnachtsgeld, Prämien und Schlechtwettergeld erhalten wie ihre heimischen Kollegen auch. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – diesen Grundsatz haben die EU-Sozialminister bei ihrer Entscheidung in Luxemburg beherzigt.
Macron setzt sich durch
Gleichzeitig hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seine erste echte Bewährungsprobe auf europäischer Ebene bestanden. Anders als die EU-Kommission hatte Macron darauf beharrt, dass die Entsendung künftig höchstens auf ein Jahr begrenzt werden muss. Im Grundsatz hat sich Frankreichs Präsident mit seiner Forderung durchgesetzt, auch wenn in Ausnahmefällen eine Dauer von 18 Monaten bei der Entsendung möglich sein soll. Für Macron ist es jedenfalls schon einmal ein Etappensieg im Kampf gegen die Populisten auf der Linken und der Rechten des französischen Spektrums.
Dabei wäre es verkürzt, wenn wenn den Kompromiss von Luxemburg lediglich als einen Erfolg westeuropäischer Protektionisten deuten würde. Nicht nur Ungarn, Litauen, Lettland und Polen lehnten den Kompromiss ab. Auch in etlichen westeuropäischen Staaten wie Großbritannien, Irland, Spanien und Portugal gibt es die Befürchtung, dass die Neuregelung einen Wettbewerbsvorteil im Transportsektor zunichte machen könnte. Die Folge: Der Einsatz von Billiglöhnern aus Osteuropa, die – gelegentlich auch von westeuropäischen Firmen – als Lkw-Fahrer eingesetzt werden, wird noch eine Weile weitergehen wie bisher. Die EU muss bis auf Weiteres damit leben, dass im Transportsektor derzeit vor allem eines herrscht: Das Gesetz des Dschungels.