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Franz Müntefering, ehemaliger SPD-Parteivorsitzender
© Paul Zinken/dpa

Früherer SPD-Chef Müntefering: "Ein bitterer Eintrag im Geschichtsbuch der deutschen Sozialdemokratie"

Entscheidet sich die SPD am Sonntag gegen die GroKo, ist das der Einstieg zum Abstieg in die Bedeutungslosigkeit der Sozialdemokraten in Deutschland. Ein Gastbeitrag.

Es gab 1959 schon einmal einen Parteitag in Bonn (-Bad Godesberg), auf dem die SPD Weichen stellte. Damals in die richtige Richtung. „Wir streiten für die Demokratie. Sie muss die allgemeine Staats- und Lebensordnung werden, weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist.“ Und sie wurde zu einer „Partei des Volkes“ und bekannte sich zur Verantwortung fürs Ganze. Godesberg wurde der Einstieg in den Aufstieg der SPD. Am Sonntag ist wieder Parteitag der SPD in Bonn, und es geht wieder um viel: Über was wird entschieden?

1. Über den Einstieg der SPD in Koalitionsverhandlungen mit der Union, – ja oder nein. Bei Zustimmung wird in absehbarer Zeit in einem Mitgliederentscheid über das Ergebnis befunden. Bei Ablehnung von Koalitionsverhandlungen am Sonntag ergeben sich unmittelbar eine Reihe von Konsequenzen.

2. Das Nein zur Verhandlung ist ein hundertprozentiges Nein für die SPD-Spitze. Und die anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern werden für die SPD um einiges schwieriger. Die SPD-Fraktion verliert den Status des Zweiten in der Fraktionslandschaft.

3. Die SPD lässt sich von Europas Sorgen nicht beeindrucken. Sie wird eine derjenigen Sozialdemokratien werden, die in Europa keine Rolle spielen. Nächstes Jahr ist Europa-Wahl.

4. Die sozialdemokratische Initiative für eine lebendigere Arbeitsweise unserer Demokratie im Parlament und im Zusammenwirken mit der Bundesregierung wird von ihr beiseitegelegt. Aber vielleicht ist ja die Union klug genug, auch diese gute, bei den Sondierungen von der SPD forcierte Idee, auf ihr Guthabenkonto zu lenken. Und die SPD guckt neidisch zu.

5. Frau Merkel und die Union müssen, auf sich gestellt, eine Regierung ohne eigene Mehrheit bilden oder Neuwahlen auslösen. Neuwahlen sind unpopulär, also wird die Union lieber eine Alleinregierung beginnen. Beides hebt ihre Popularität. Die SPD aber wird keinen vereinbarten Einfluss auf die Regierungsarbeit haben und eine Oppositionspartei unter mehreren sein.

6. Die Wahl 2021 wird präjudiziert. Die Lage in Deutschland ist zur Zeit recht gut und stabil. Die Alleinregierung wird funktionieren, denn im Bundestag sind mehrere demokratische Fraktionen vertreten, die außer Opposition machen auch eigene Ziele durchsetzen wollen und der Regierung wechselweise zu Mehrheiten verhelfen oder als Verhinderer gelten. Die Union wird rechtzeitig 2021 in Ruhe die Nachfolge von Frau Merkel in einer Siegesfeier vollziehen.

7. Die SPD gibt ein Spiel verloren, ohne wirklich bis zur 90. Minute nach besten Kräften gekämpft zu haben. Das ist elender als eine Niederlage.

Fazit: Der 21. Januar 2018 wird ein bitterer Eintrag im Geschichtsbuch der deutschen Sozialdemokratie werden. Aber – vielleicht – gibt es doch Verhandlungen mit dem Ziel des Regierens. Wissend, dass das kein reinrassig sozialdemokratisches Regierungsprogramm werden kann, aber doch eines, auf das die SPD wesentlichen Einfluss hat. Ganz im Sinne von Willy Brandts Wort, „... dass man auf der Regierungsbank in aller Regel mehr erreichen kann für die Menschen, denen man sich verantwortlich fühlt. Es mag ja sein, dass Macht den Charakter verderben kann, – aber Ohnmacht meinem Eindruck nach nicht minder“.

Und weshalb sollte die SPD freiwillig ohnmächtig werden?

Der Autor war von 2004 bis 2005 sowie von 2008 bis 2009 Parteivorsitzender der SPD.

Franz Müntefering

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