NRW und Hessen: SPD-Landesverbände stellen Bedingungen für neue Groko
Die wichtigen SPD-Landesverbände in Hessen und NRW fordern einem Bericht zufolge „substanzielle Verbesserungen“ des Sondierungsergebnisses mit der Union.
Zwei Tage vor der SPD-Entscheidung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen hat Parteichef Martin Schulz bei den Mitgliedern noch einmal eindringlich für diesen Weg geworben. Schulz wandte sich am Freitag in einem Rundschreiben per Mail an die SPD-Mitglieder. Dies liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Der Parteivorsitzende mahnt darin, die Entscheidung beim Bundesparteitag am Sonntag in Bonn sei "von enormer Bedeutung für die Zukunft in Deutschland (...), in ganz Europa - und für die SPD". Er betonte: "Ich selbst bin überzeugt, dass es sich lohnt, mit CDU und CSU Koalitionsverhandlungen aufzunehmen."
Die SPD habe in den Sondierungen mit der Union viel erreicht, für Eltern und ihre Kinder, für Arbeitnehmer und das Leben in der Stadt und auf dem Land. Die Wähler hätten einen Anspruch auf ein besseres Leben. "Einlösen können wir ihn aber nur, wenn wir gemeinsam Verantwortung übernehmen." Es gehe darum, das Land moderner zu machen und einen Aufbruch in Europa einzuleiten.
Er wolle in den kommenden Tagen "und natürlich auch auf dem Parteitag selbst" viele noch überzeugen, schreibt Schulz weiter. "Wir wollen unser Land dort, wo es nicht modern ist, erneuern. Wir wollen Vertrauen zurückgewinnen. Darum geht es."
Landesverbände in Hessen und NRW stellen neue Bedingungen
Die einflussreichen SPD-Landesverbände aus Hessen und Nordrhein-Westfalen dringen der „Süddeutsche Zeitung“ (Wochenendausgabe) zufolge vor dem Bundesparteitag auf „substanzielle Verbesserungen“ des Sondierungsergebnisses mit der Union. Dies berichtete die Zeitung unter Berufung auf einen ihr vorliegenden Entwurf eines gemeinsamen Antrags, den die beiden Landesverbände beim Parteitag am Sonntag einbringen wollen.
Konkret gehe es um die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen, die Angleichung der Honorarordnungen für gesetzlich und privat Krankenversicherte sowie eine Härtefallregelung für den Familiennachzug bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus, heißt es.
Am Sonntag sollen die SPD-Delegierten in Bonn darüber abstimmen, ob das Ergebnis der Sondierungen von Union und SPD ausreicht und ihre Partei in förmliche Vertragsverhandlungen mit CDU und CSU einsteigen soll. Die SPD ist in der Frage gespalten. Der NRW-Landesverband schickt die meisten Delegierten zu dem Parteitag, der hessische die viertmeisten.
Platzeck zitiert Fontane
Der frühere sozialdemokratische Vorsitzende Matthias Platzeck hat die Delegierten des SPD-Parteitags aufgefordert, sich Verhandlungen über eine große Koalition nicht zu verschließen. Dem Tagesspiegel sagte Platzeck am Freitag, es lohne sich doch, "das Erreichte zu verteidigen". Er bezog sich dabei auf die jüngsten Sondierungen, aber auch auf die Ergebnisse der großen Koalition in der vergangenen Wahlperiode. "Wer sich selbst nicht mag, kann nicht erwarten, dass ihn andere mögen", sagte der ehemaligen Brandenburger Ministerpräsident. "Ansonsten gilt Fontane: Am Mute hängt der Erfolg. Also: Vorwärts, Genossen."
SPD-Vize Malu Dreyer warb erneut für Koalitionsverhandlungen mit der Union. "Oppositionsromantik ist auch keine Lösung", sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) dem "Spiegel". Zwar stehe für sie außer Frage, dass sich die Partei erneuern müsse. Dies sei aber "auch als Teil einer Regierung möglich". Auch Dreyer stand der großen Koalition lange skeptisch gegenüber. "Wir waren entschlossen, in die Opposition zu gehen. Aber dann ist Jamaika gescheitert. Und in den Sondierungen hat die Union einer Minderheitsregierung eine klare Absage erteilt", sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende. Deshalb sei ihre Partei in einer neuen Lage.
Dreyer warnt vor "Oppositionsromantik"
Trotz der konträren Ansichten in der SPD über Koalitionsverhandlungen mit der Union droht der Partei nach Einschätzung von Juso-Chef Kevin Kühnert kein Auseinanderbrechen. Die Sozialdemokraten seien "nun wirklich meilenweit von der Spaltung entfernt", sagte er am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". Man streite in der Sache, lasse sich aber nicht auseinandertreiben. Parteivize Manuela Schwesig hatte zuvor vor einer Spaltung der SPD gewarnt.
Kühnert ist einer der Wortführer der GroKo-Gegner. Er wirbt dafür, dass die 600 Delegierten beim SPD-Sonderparteitag am Sonntag in Bonn gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der Union stimmen. Die SPD ist in der Frage zerrissen. Seit Tagen wirbt die SPD-Führung bei der Basis um ein Ja - allen voran Parteichef Schulz. Fraktionschefin Andrea Nahles gab die Einschätzung ab, ein Drittel der Delegierten sei noch unentschlossen.
Erneut erläuterte Kühnert seine Bedenken: Viele zentrale Forderungen der SPD seien in den Sondierungsgesprächen nicht durchgesetzt worden. Die SPD werde nicht als "Korrekturbetrieb in der Bundesrepublik" gebraucht, sondern als "die starke linke Volkspartei, die eigene Ideen für die Zukunft unserer Gesellschaft entwickelt".
Breiter Aufruf für GroKo
Angesichts des ungewissen Ausgangs der Abstimmung über Koalitionsverhandlungen mit der Union werben rund 40 SPD-Politiker aller Flügel für die Aufnahme solcher Gespräche - "aus Verantwortung für Deutschland, Europa und die SPD". Der Aufruf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, wird getragen von Sozialdemokraten aller Regionen und Strömungen aus Bund und Ländern. Auch die ehemaligen Juso-Vorsitzenden Niels Annen und Björn Böhning beteiligen sich daran.
Mit dem Aufruf wollen die 40 SPD-Politiker das Lager der Befürworter von Verhandlungen stärker zur Geltung bringen und Unentschlossene unter den 600 Delegierten beim SPD-Sonderparteitag am Sonntag in Bonn zu überzeugen.
Zu den Unterzeichnern gehören auch Ex-SPD-Chef Matthias Platzeck und die frühere Bundespräsidentschaft-Kandidatin Gesine Schwan. "Die SPD hat gerade in ihrem zentralen Kompetenzfeld der sozialen Gerechtigkeit einiges erreichen können", wird zum Beispiel mit Blick auf die geplante Stabilisierung des Rentenniveaus und die Bürgerentlastung bei den Krankenversicherungsabgaben betont.
Die SPD-Vizevorsitzende Schwesig wäre lieber in die Opposition gegangen, will die Kritiker aber noch von einer großen Koalition überzeugen. „Ich halte die Entscheidung vom Wahlabend nach wie vor für richtig und hätte es auch gut gefunden, wenn die SPD in die Opposition gegangen wäre“, sagte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Nach dem Scheitern von Jamaika hatten wir allerdings nur noch zwei Möglichkeiten: Neuwahlen, für die es keine Mehrheiten gab und auf die wir nicht ausreichend vorbereitet waren. Oder eben sondieren, was gemeinsam möglich ist.“ Das Ergebnis sei für sie „ein großer Erfolg für die SPD“. (Tsp/dpa, AFP)