SPD-Politiker: Egon Bahr ist tot
Der SPD-Politiker Egon Bahr ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Parteichef Sigmar Gabriel und Bundespräsident Joachim Gauck würdigten den Gestalter der Ostpolitik und Vertrauten Willy Brandts.
Der SPD-Politiker Egon Bahr ist tot. Der frühere enge Vertraute des SPD-Kanzlers Willy Brandt und Ex-Bundesminister starb im Alter von 93 Jahren. „Mit großer Bestürzung und tiefer Trauer haben wir in der letzten Nacht vom Tode Egon Bahrs erfahren“, sagte Parteichef Sigmar Gabriel am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur.
Die deutsche Sozialdemokratie und viele Menschen in Europa trauerten um einen „mutigen, aufrichtigen und großen Sozialdemokraten, den Architekten der deutschen Einheit, Friedenspolitiker und Europäer“, sagte Gabriel. Bahr galt zusammen mit Brandt als Architekt der deutschen Ostpolitik, die anfangs durchaus umstritten war. Die Annäherung an Moskau und die DDR war eine wichtige Voraussetzung zur späteren Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas. Es gab kaum eine wichtige Verhandlungsrunde des damaligen Ost-West-Dialogs, an der Bahr nicht beteiligt war. Und er prägte auch ihren visionären Leitspruch "Wandel durch Annäherung" - bereits 1963 als Überschrift einer Rede an der Evangelischen Akademie Tutzing. Als Journalist in Berlin hatte er unter anderem für den Tagesspiegel und den Rias gearbeitet.
Als Freund und Ratgeber wird er fehlen
Bahr sei ein großer Vordenker mit einzigartiger politischer Tatkraft gewesen. „Er vertraute wesentlich auf die Macht der Freiheit und die Kraft des Gesprächs, das war die Grundlage für den „Wandel durch Annäherung““, sagte Gabriel. Bis zuletzt sei Bahr stets ein loyaler und unermüdlicher Ratgeber der SPD gewesen. „Wir werden seine analytische Brillanz, seine Rationalität und Leidenschaft, aber auch sein Temperament und seinen liebenswürdigen Humor sehr vermissen“, betonte Gabriel. „Ich werde Egon auch als Freund und Ratgeber sehr vermissen.“
Bundespräsident Joachim Gauck hat den verstorbenen SPD-Politiker Egon Bahr als einen "bedeutenden politischen Akteur der deutschen Nachkriegsgeschichte" gewürdigt. Mit seinem Einsatz für eine Aussöhnung mit den Ländern des Ostens habe Bahr gezeigt, "dass uns Deutschen Geschichte gelingen kann", schrieb Gauck am Donnerstag in einem Kondolenzbrief an Bahrs Witwe Adelheid.
Als einer der Architekten der neuen Ostpolitik in den 1960er und 1970er Jahren habe Bahr das Verhältnis der Bundesrepublik zur DDR und zu anderen Ländern des Warschauer Pakts "gestaltet und geprägt", schrieb Gauck weiter. "Er handelte aus der festen Überzeugung, dass eine weltweite Sicherheits- und Friedenspolitik möglich ist und dass wir alle mit Nachdruck daran arbeiten müssen."
Gauck hob besonders die Überzeugungskraft, die analytischen Fähigkeiten und die Bereitschaft zum demokratischen Streit hervor, die Bahrs Persönlichkeit geprägt hätten. "Die unverwechselbare Deutlichkeit seiner Worte war Ausdruck eines Geistes, der stets in langfristigen Perspektiven dachte und Politik als geschichtliche Aufgabe begriff", schrieb Gauck.
Viele Politiker reagierten auf den Tod des Sozialdemokraten:
Architekt der neuen deutschen Ostpolitik
Bahr wandte sich schon in den 1960er Jahren gegen das bis dahin geltende Postulat einer "Politik der Stärke" des Westens gegenüber dem "Ostblock" unter Führung Moskaus. Er war überzeugt, Veränderungen auf der "anderen Seite" könnten nur langfristig in Form vieler kleiner Schritte und in einem Klima der Entspannung erfolgen, vor allem aber nur mit Billigung Moskaus.
Ab 1970 mündete diese Politik in den Verträgen der Bundesrepublik zunächst mit der Sowjetunion, dann mit anderen osteuropäischen Staaten und schließlich im Grundlagenvertrag mit der DDR. Viele Historiker sehen in dieser Politik, deren weltpolitisches Pendant die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) war, einen wichtigen Baustein für die spätere Perestroika-Politik Michail Gorbatschows in Moskau und dann die Wende in der DDR 1989 - von der sich Bahr selbst allerdings eher überrascht und zunächst beunruhigt zeigte.
Seine Karriere begann in Berlin
Begonnen hatte die politische Karriere Bahrs, als 1960 der damalige Berliner Regierende Bürgermeister Brandt ihn zu seinem Senatssprecher machte. Mit dem Eintritt der SPD in die Bundesregierung 1966 als Partner von CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger folgte Bahr seinem Mentor als Sonderbotschafter und de facto Leiter des Planungsstabs ins Auswärtigen Amt. Nach Brandts Wahl zum Bundeskanzler 1969 berief er Bahr zunächst zum Staatssekretär im Kanzleramt, 1972 dann zum Bundesminister für besondere Aufgaben.
Nicht mehr so eng war Bahrs Verhältnis zu Helmut Schmidt, der Brandt nach dessen Rücktritts wegen der Guillaume-Spionageaffäre als Kanzler nachfolgte. Zwar holte Schmidt den Vertrauten des Parteichefs erneut ins Kabinett, als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit stand dieser jedoch nicht mehr im Zentrum des Geschehens.
Dies hielt Bahr allerdings nie davon ab, sich auch kritisch immer wieder zu Wort zu melden, auch in seiner Zeit von 1976 bis 1981 als Bundesgeschäftsführer der SPD. Anfang der 1980er Jahre zählte er zu den Gegnern des von Schmidt vehement befürworteten Nato-Doppelbeschlusses.
Haltung zu aktuellen politischen Themen
Noch mit mehr als 90 Jahren versuchte Bahr vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts sein altes Konzept gegenseitigen Respekts auf das aktuelle Verhältnis zu Russlands zu übertragen, was ihm den Vorwurf unkritischer Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin eintrug. Bahr argumentiere aus seinen Erfahrungen "in einer ganz anderen Situation", wies ihn der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zurecht. Heutzutage könne nicht mehr einfach hingenommen werden, wenn "Grenzen willkürlich verändert und Völkerrecht verletzt" werden.
Egon Bahr wurde am 18. März 1922 im thüringischen Treffurt an der Werra geboren. Die ursprünglich aus Schlesien stammende Lehrerfamilie zog 1928 zunächst nach Torgau und 1938 nach Berlin. Zuvor war Bahrs Vater aus dem Schuldienst entlassen worden, weil er sich nicht von seiner Frau, deren Mutter Jüdin war, trennen wollte.
Beeinflusst durch jüdische Wurzeln
Auch Bahrs beruflicher Werdegang wurde durch die jüdischen Wurzeln eines Teils seiner Familie beeinflusst. Nachdem ihm die Nationalsozialisten die Studienerlaubnis verweigerten, begann er zunächst eine Lehre als Industriekaufmann. Nach Kriegsende arbeitete Bahr in Berlin als Journalist für verschiedene Zeitungen sowie später den Sender RIAS, bis ihn dann Brandt - nach einer Zwischenstation als Presseattaché der deutschen Botschaft in Ghana - in die Politik holte. Bahr war erst Ende Juli noch in Moskau und hatte sich dort zusammen mit dem Ex-Sowjetpräsidenten Michail Gorbatschow für ein Ende der Entfremdung zwischen Deutschland und Russland in der Ukrainekrise ausgesprochen. (Tsp/dpa)
Lesen Sie hier noch einmal sein Berlin-Plädoyer nach, das der SPD-Politiker vor einem Jahr im Tagesspiegel veröffentlicht hat.
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