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Ostpolitik: Jedes Ding hat seine Zeit

Egon Bahr über Wandel durch Annäherung – und wann es zu spät sein kann.

Eine als Festveranstaltung deklarierte Ehrung von Egon Bahr wird weder steif noch zeremoniell, sondern eine politische Lehrstunde. Dafür sorgt schon der 90-Jährige selbst, der am Dienstagabend von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP, gefeiert wurde.

Gefeiert für ein politisches Leben, in dem er, meist aus der zweiten Reihe, der Ost- und Deutschlandpolitik jene Richtung gab, an deren Ende letztlich die Wiedervereinigung stand.

Wenn Egon Bahr über Wandel durch Annäherung spricht, jenes Zauberwort, hinter dem sich so viel hartes politisches Werben versteckt, werden die 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wieder lebendig. Am Anfang stand nach dem Mauerbau die Botschaft von US-Präsident John F. Kennedy an Willy Brandt, den Regierenden Bürgermeister: Niemand ist bereit, wegen Berlin einen Krieg anzufangen; die USA und die UdSSR wollen nur Stabilität. Bahrs Analyse der Rede lautete: das Machbare verhandeln, das Nichtlösbare hintanstellen. Machbar, das waren menschliche Erleichterungen, ein Passierscheinabkommen für die geteilte Stadt, später das Transitabkommen über den ungehinderten Zugang nach Berlin auf dem Landweg, die als Zwei-plus-Vier deklarierten Verträge mit den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges – ein Begriff, der 20 Jahre später in der nun plötzlich lösbaren Wiedervereinigungsfrage, umgekehrt, als Zwei-plus-Vier-Vertrag neu auftauchte, um das Wort „Friedensvertrag“ zu vermeiden. Der wäre unweigerlich mit gewaltigen Reparationsforderungen an das vereinte Deutschland verbunden gewesen.

Es war eine kluge Entscheidung der DGAP, Egon Bahr mit dem langjährigen Solidarnosc-Sprecher Janusz Onyszkiewicz über „Wandel durch Annäherung“ diskutieren zu lassen. Der machte deutlich, dass die demokratischen Kräfte im kommunistischen Polen die deutschen Regierungskontakte mit dem Regime in Warschau voller Misstrauen verfolgten, weil ihrer Ansicht nach so die Eliten stabilisiert wurden. Nicht anders hat ja die Opposition in der DDR die westdeutschen Kontakte mit der SED-Spitze eingestuft.

Bahr bestreitet das Janusköpfige der deutschen Ostpolitik nicht, verteidigt sie, sagt aber burschikos: „Wir haben doch gewusst, was das für Sch...regime waren!“ Und schlägt dann den Bogen in die Jetztzeit und erläutert die Funktionsweise des Prinzips „Wandel durch Annäherung“ an der aktuellen Politik.

Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft handele doch nach der Maxime, wenn er weder über Ideologien noch über Menschenrechte streite. Und: „Wenn Angela Merkel die strategische Partnerschaft mit Moskau propagiert, wenn sie das in China tut, dann lasst uns doch bitte auf der Erde bleiben und Wandel durch Annäherung machen, der nur auf dieser Basis geht“.

Am Ende eine nüchterne Erkenntnis: „Wir haben Glück gehabt, dass wir gerade noch wiedervereinigt wurden. Eine Generation später hätte das nicht mehr geklappt“ – weil das Thema kaum noch interessiert hätte.

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