Sinkende Inzidenz nur vorübergehend?: Drosten rechnet wegen „übler“ Impfzahlen mit baldiger Corona-Welle
Der Virologe Drosten bezeichnet die Impfzahlen als „übel“. Wie der SPD-Politiker Lauterbach warnt er deshalb vor bald steigenden Infektionszahlen.
Der Virologe Christian Drosten hält die derzeitige Beruhigung der bundesweiten Corona-Infektionszahlen für ein vorübergehendes Phänomen. Es sei schon zu sehen, dass in ostdeutschen Bundesländern die Inzidenz offenbar unabhängig vom Ferienende wieder Fahrt aufnehme.
„Ich denke, da deutet sich jetzt die Herbst- und Winterwelle an, die wir im Oktober wohl wieder sehen werden“, sagte der Wissenschaftler von der Berliner Charité am Dienstagabend in einem Auszug aus dem Podcast „Coronavirus-Update“ bei NDR-Info.
Ähnlich hatte sich bereits am vergangenen Mittwoch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach gegenüber dem Tagesspiegel geäußert. Demnach befinde sich Deutschland aktuell noch in „in einer Zwischenphase“. Doch er „gehe von wieder steigenden Zahlen aus, wenn sich das Leben wieder mehrheitlich in die Innenräume verlagert“, sagte Lauterbach.
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Drosten erklärte nun, der vorherige Anstieg der Inzidenz sei insbesondere auf das Testen an Schulen nach Ende der Sommerferien und eingeschleppte Fälle zurückzuführen gewesen - und war nach seiner Einschätzung noch nicht unbedingt der Beginn der Winterwelle.
Angesichts der gegenwärtigen Quote von rund 64 Prozent vollständig Geimpften in der Bevölkerung gehe er in diesem Jahr von deren Losrollen zu einem Zeitpunkt wie im Vorjahr aus, sagte der Corona-Experte dem Sender. Damals sei es in der zweiten Oktoberhälfte eindeutig gewesen, „dass wir wieder in einen exponentiellen Anstieg gehen“.
Das Schließen der Impflücken müsse gesamtgesellschaftliches Ziel sein, betonte Drosten weiter. Es gelte, noch Ungeimpfte zu überzeugen oder anderweitig dazu zu bringen, sich impfen zu lassen. Dies sei keine wissenschaftliche Aufgabe mehr, sondern eine politische.
Den derzeitigen Impffortschritt wertete der Virologe als unzureichend. „Die Zahlen sehen übel aus.“ Dänemark etwa sei in einer deutlich besseren Position als Deutschland. Drosten verwies zwar auf die Unsicherheit, dass sich hierzulande möglicherweise bereits mehr Menschen impfen ließen als bislang im Meldesystem erfasst. Dies sei im Moment eine „schöne Hoffnung“, dürfe aber nicht Basis für Entscheidungen und Planungen sein.
Monoklonale Antikörper als „schlechtere“ Impfalternative
In Bezug auf die Behandlung von Covid-19 wies der Virologe darauf hin, dass es bei schweren Verläufen zwar inzwischen bessere Möglichkeiten gebe. Im Anfangsstadium der Ansteckung jedoch stünden allenfalls sogenannte monoklonale Antikörper zur Verfügung.
Diese relativ teuren, laut Drosten nicht sehr breit verfügbaren Präparate könnten frisch infizierte Ungeimpfte mit bestimmten Risikofaktoren erhalten. Mit diesen Mitteln soll die Entwicklung eines schweren Krankheitsverlaufs verhindert werden.
Er sehe monoklonale Antikörper eher als vorbehalten für die wenigen Patienten, die nicht geimpft werden können oder die nicht auf die Impfung reagieren, schilderte Drosten. Auch eine vorbeugende Anwendung bei hoch gefährdeten Patienten sei denkbar. „Aber das ist alles keine Lösung, die man allgemein empfehlen würde. Und das ist in Konkurrenz zur Impfung einfach immer die schlechtere Lösung.“
Lauterbach pocht auf „verlässliche Modellierungen“
Auch der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach hob vergangene Woche im Gespräch mit dem Tagesspiegel die Bedeutung der Impfungen hervor. „Wie stark sich die Dynamik entwickelt, wird von der Impfwirkung bei den bereits Geimpften abhängen“, sagte er. Von einem Ende der vierten Infektionswelle wollte auch er nicht sprechen. „Das Coronavirus ist noch nicht bekämpft“, betonte er.
Als Priorität im Kampf gegen die Pandemie benannte Lauterbach die Fokussierung auf Menschen ohne Immunisierung – aktuell sind das laut RKI 32,1 Prozent, also immer noch fast ein Drittel der Bevölkerung. „Wir müssen die Ungeimpften schützen“, sagte Lauterbach.
Deutliche Kritik äußerte Lauterbach zudem an der wissenschaftlichen Vorbereitung auf die bevorstehende pandemische Entwicklung in der kühleren Jahreszeit. „Es hätte längst Modellierungen für den bevorstehenden Herbst geben müssen.“ Diese seien technisch zweifelsohne möglich, sagte der Gesundheitspolitiker. Es bedürfe jedoch akribischer Analysen, um sichere Modellierungen erstellen zu können. „Wir brauchen dringend verlässliche Modellierungen für Deutschland“, bekräftigte er.
Seit der Überschreitung der 60-Prozent-Marke vor etwas mehr als einem Monat hat die Rate an komplett Geimpften in Deutschland lediglich um vier Prozent zugelegt. Zugleich folgt die Sieben-Tage-Inzidenz einem Abwärtstrend und liegt knapp über dem Wert von 60 neu registrierten Covid-19-Fällen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. (Tsp, dpa)