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Wenig Gemeinsamkeiten gibt es derzeit zwischen der Türkei und der Europäischen Union.
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Update

EU und Türkei: Drohung mit der Wirtschafts-Keule

Luxemburgs Außenminister Asselborn bringt Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei ins Spiel. Doch die Reaktion in Brüssel und Berlin ist verhalten.

Das harte Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Opposition hat eine Diskussion über mögliche Wirtschaftssanktionen gegen Ankara ausgelöst. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn erinnerte im Deutschlandfunk an die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der EU und der Türkei: „50 Prozent der Exporte der Türkei gehen in die Europäische Union.“ Und 60 Prozent der Investitionen in der Türkei kämen aus der Europäischen Union. Dies sei „ein absolutes Druckmittel“, sagte Asselborn. „Und in einem gewissen Moment kommen wir nicht daran vorbei, dieses Druckmittel einzusetzen, um die unsägliche Lage der Menschenrechte zu konterkarieren.“

Weber: EU darf nicht erpressbar sein

Aus Sicht des CSU-Europapolitikers Manfred Weber muss sich die EU für den Fall rüsten, dass der Flüchtlingspakt mit der Türkei platzt. „Wir vertrauen darauf, dass die türkische Regierung vertragstreu ist, aber Europa darf auch nicht erpressbar sein“, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. „Deshalb müssen wir auf alle Fälle vorbereitet sein.“ Die EU-Staaten müssten mehr Ressourcen für den Schutz ihrer Außengrenze in Griechenland mobilisieren, forderte der Europaparlamentarier. „Der Außengrenzenschutz muss bei einer veränderten Situation in der Türkei genauso funktionieren wie zügige Rückführungen illegaler Migranten.“ Europa dürfe in der Migrationspolitik nicht von Dritten abhängig sein.

Am vergangenen Freitag waren die beiden Chefs der pro-kurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sowie weitere Abgeordnete festgenommen worden. Ihnen wird Förderung des Terrorismus vorgeworfen. Zuvor hatte eine Verhaftungswelle bei der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ international Kritik ausgelöst.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt sich davon nicht beirren. Die Kritik an seinem Vorgehen gehe „zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus“, hatte der Staatschef am vergangenen Wochenende gesagt.

Vergleich mit dem Nazi-Regime

Asselborn zog indes am Montag einen Vergleich zwischen dem Vorgehen der türkischen Regierung und dem Nationalsozialismus: „Das sind Methoden, das muss man unverblümt sagen, die während der Nazi-Herrschaft benutzt wurden.“

Brok hält Sanktionen für nicht angebracht

In Brüssel fielen die Reaktionen auf Asselborns Forderung nach Sanktionen gegen die Türkei allerdings verhalten aus. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), hielt einen solchen Schritt für nicht angebracht: „Sanktionen können notwendig sein, wenn ein Land ein anderes überfällt. Sanktionen zu verhängen, weil uns innenpolitische Entwicklungen nicht passen, das ginge in die falsche Richtung“, sagte Brok dem Tagesspiegel. Die EU verhänge auch keine Sanktionen gegen Länder wie China oder Ägypten, wo innenpolitische Maßnahmen bei den Europäern auch immer wieder umstritten seien. Ein deutliches Signal gegenüber der Türkei bei den Beitrittsverhandlungen hielt er aber für angebracht: „Die EU-Beitrittsverhandlungen sollten unter den derzeit gegebenen Umständen nicht weitergehen“, sagte der CDU-Politiker.

Der Chef der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, Udo Bullmann, plädierte dafür, Maßnahmen gegen die türkische Regierung zu prüfen. „Wenn der türkische Präsident weiter die freie Presse abschafft, demokratisch gewählte Abgeordnete verfolgen lässt und den Rechtsstaat Schritt für Schritt abbaut, müssen die Entscheidungsträger in Europa auch über eine geeignete Antwort der Europäischen Union nachdenken.“ Auch Bullmann thematisierte Wirtschaftssanktionen: „Erdogan muss wissen: Die Hälfte der Exporte der Türkei geht in die Europäische Union. Mehr als die Hälfte der Investitionen in der Türkei kommt aus der Europäischen Union.“ Er forderte jedoch, dass mögliche Maßnahmen gegen Ankara sich nicht gegen die türkische Bevölkerung richten dürften. Die Menschen in der Türkei seien „selbst Opfer der Mehrheitstyrannei aus Ankara“, sagte der SPD-Abgeordnete am Montag dem Tagesspiegel.

Die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms, forderte, dass die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, dringend einen Sondergipfel der EU-Außenminister einberufen müsse. Angesichts der „abenteuerlichen Geschwindigkeit“, mit der die Türkei abdrifte, sei es wichtig, dass sich die EU auf eine gemeinsame Linie verständigt.“ Es sei „unverantwortlich“, die Diskussion in der EU laufen und Statements des luxemburgischen Außenministers Asselborn im Raum stehen zu lassen, so Harms weiter. Im Hinblick auf mögliche Sanktionen zeigte sie sich zurückhaltend. „Grundsätzlich sollte die EU bereit sein, ihr wirtschaftliches Gewicht stärker in die außenpolitischen Beziehungen einzubringen“, sagte die Grünen-Abgeordnete. „Wirtschaftssanktionen müssen aber gut überlegt sein, das Beispiel Russland zeigt doch, dass die EU sie nur dann anwenden sollte, wenn man sie auch länger durchhalten kann.“

Steinmeier hatte indirekt mit Ende der Beitrittsverhandlungen gedroht

In Berlin wollte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht ausschließen. „Ein Land, das die Opposition ins Gefängnis steckt, kann nicht erwarten, dass die EU-Verhandlungen offen weitergeführt werden“, sagte er.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, dass sich die Bundesregierung an einer Debatte über mögliche Wirtschaftssanktionen „jetzt nicht“ beteiligen werde. „Was wir brauchen, ist eine klare und gemeinsame europäische Haltung“, sagte er.

Nach den Worten des Sprechers des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, setzt Berlin darauf, dass die Hinwendung der Türkei zu Europa erhalten bleibt. Allerdings hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach den Verhaftungen der führenden HDP-Politiker schon indirekt mit einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen gedroht: „Es ist jetzt an den Verantwortlichen in der Türkei, sich darüber klar zu werden, welchen Weg ihr Land gehen will und was das bedeutet für die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union“, hatte Steinmeier gesagt.

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