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Gedenken an die Opfer vom Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin
© Reuters/Fabrizio Bensch

Innere Sicherheit und Terrorabwehr: Drei Gefährder sind vom Radar verschwunden

Nach dem Attentat am Breitscheidplatz beschäftigen sich Innenausschuss und Bundestag mit Fehlern im Fall Amri. Weil es weitere untergetauchte islamistische Gefährder gibt, drängt die Zeit.

Die Zahl ist klein – und erscheint dennoch groß: Von den 547 islamistischen Gefährdern, die die deutschen Behörden im Blick haben, sind aktuell drei verschwunden. Das berichtete der SPD- Abgeordnete Burkhard Lischka am Mittwoch aus der Sitzung des Bundestags-Innenausschusses. Dort hatte neben Bundesinnenminister Thomas de Maizière auch der Präsident des Bundeskriminalamts Holger Münch die Parlamentarier zum Fall Anis Amri unterrichtet.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wollte man Erkenntnisse darüber sammeln, wie es zu den Versäumnissen der Behörden im Bezug auf den Tunesier kam. Dieser konnte am 19. Dezember am Breitscheidplatz zwölf Menschen töten – obwohl es seit Monaten Hinweise auf Terrorpläne von ihm gab und er immer wieder Thema in deutschen Behörden war.

De Maizière will alle Gefährder überprüfen

Auch in der Aktuellen Stunde des Bundestages war am Mittwoch der Anschlag vom 19. Dezember Thema. Innenminister de Maizière räumte ein, dass alle Maßnahmen der Sicherheits- und Auslanderbehörden nicht ausgereicht hätten, um Amri zu stoppen. Im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) würden nun noch einmal alle bekannten Gefährder unter die Lupe genommen und geprüft, ob Abschiebungen erforderlich seien. Zudem solle das Bundeskriminalamt seine Risikobewertung verbessern und vereinheitlichen.

De Maizière kündigte schärfere Überwachungsmaßnahmen und die Fußfessel für Personen an, die die öffentliche Ordnung gefährden. Zudem sollen die Regeln für den Erlass von Abschiebehaft verschärft werden. Eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit sei dann ausreichend. Wenn eine Abschiebung nicht zeitnah erfolgen könne, müssten Gefährder in Untersuchungshaft genommen werden.

„Täglich kommen neue skandalöse Details heraus“

Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz warf de Maizière vorschnelles Handeln vor: „Sie fangen schon ohne Diagnose an zu operieren.“ Zunächst brauche es eine rückhaltlose Aufklärung der Fehler, die gemacht wurden. „Täglich kommen derzeit neue skandalöse Details heraus“, sagte Notz. Eine Chronologie der Ereignisse sei den Parlamentariern zunächst vorenthalten und später in veränderter Form zugänglich gemacht worden. Sie sei voller Ungereimtheiten und Lücken. „Warum wurde trotz aller bekannter Straftaten Amris kein Strafverfahren durchgezogen? Woher hatte Amri seine Schusswaffe und wieso ist die Besorgung niemandem aufgefallen?“, fragte er.

Hanan Amri, die Schwester des Berliner Attentäters, hält ein Bild ihres Bruders.
Hanan Amri, die Schwester des Berliner Attentäters, hält ein Bild ihres Bruders.
© Faouzi Dridi/AFP

Die grüne Bundestagsfraktion hat eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um Antworten auf solche Fragen zu erhalten. Die Rückmeldung soll kommende Woche vorliegen. Dass die Aufklärung der Geschehnisse nun in einer Taskforce unter Ausschuss der Öffentlichkeit stattfinden soll, kritisieren die Grünen. Ein Untersuchungsausschuss gilt bei Linken und Grünen nicht als ausgeschlossen – auch wenn dieser auf Grund der knappen Zeit bis zur Bundestagswahl wohl kaum seine Arbeit abschließen könnte.

Auch Amri war vor Anschlag vom Radar verschwunden

„Wir haben keine Zeit“, drängte der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster nach der Sitzung des Innenausschusses. Unter den 547 islamistischen Gefährdern im Visier der Ermittlungsbehörden ist derzeit offenbar ungefähr die Hälfte im Ausland, 88 sind in Haft. „Aber ungefähr 160 Gefährder laufen in 16 Bundesländern unter 16 verschiedenen Zuständigkeiten noch im Land herum.“ Und bei dreien weiß man offenbar nicht, wo sie sind. Bedenklich, denn auch Amri war vor dem Anschlag vom Radar verschwunden.

Seine Aufenthaltsorte, Nordrhein-Westfalen und Berlin, sind auch die Hauptanziehungspunkte für Gefährder. Aus NRW komme etwa ein Drittel, in Berlin halte sich eine „deutlich zweistellige Zahl“ auf, erklärte der CSU-Innenexperte Stephan Mayer.

„Ist der Rechtsstaat wirklich an seine Grenzen gegangen?“

NRW und Berlin müssen sich nun im Fall Amri Fragen gefallen lassen – sie waren für den Tunesier zuständig. Der CDU-Politiker Stephan Harbarth kritisierte die Aussage von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), nach der man im Bezug auf Amri an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen sei. „Identitätstäuschung, Sozialbetrug, Drogenhandel, Körperverletzung. Ist der Rechtsstaat wirklich an seine Grenzen gegangen?“ Es sei schwer nachvollziehbar, dass man auf Länderebene dagegen nicht eingeschritten sei. Auch SPD-Politiker Lischka forderte, dass strafrechtliche Delikte bei Gefährdern für eine Untersuchungshaft genutzt werden müssten.

Im Mittelpunkt der Kritik stand am Mittwoch außerdem das gemeinsame Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern. Dieses sei geschaffen worden, damit Länder Entscheidungen über Gefährder nicht allein treffen müssten, sagte SPD-Mann Lischka. „Das können wir uns aber sparen, wenn dort nur Zuständigkeiten festgelegt werden.“ Auch die Grünen-Politikerin Irene Mihalic sagte: „Es darf keine organisierte Verantwortungslosigkeit geben.“ Sie sieht auch eine erhebliche Mitverantwortung bei den Behörden des Bundes.

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