Anschlag vor Champions-League-Spiel: Dortmund trotzt dem Angriff auf sein Heiligtum
Erstmals wird ein deutsches Fußballteam Ziel eines Anschlags. Die Fans reagieren besonnen, der Verein vielleicht ein bisschen zu geschäftsmäßig. Eindrücke eines aufwühlenden Abends.
Auf der Dortmunder Südtribüne schwenkt ein Mann eine große gelbe Borussia-Fahne. Es riecht nach frisch gemähtem Gras. Es ist Dienstag kurz vor 20.45 Uhr, Prime Time Champions-League. Normalerweise läuft nun die Hymne und die Zuschauer bekommen vor Aufregung eine Gänsehaut. Doch sie schauen gar nicht aufs Spielfeld, sondern auf ihr Handy oder in das ratlose Gesicht ihres Sitznachbarn. Wenn sie überhaupt noch da sind, denn manche sind längst gegangen.
Auf dem Rasen ist niemand, nur ein paar Fernsehleute stehen daneben. Die Spieler von Borussia Dortmund und dem AS Monaco, die eigentlich das Viertelfinalhinspiel austragen sollen, kommen nicht. Stattdessen stehen Hans-Joachim Watzke und Reinhard Rauball am Rand und müssen das schwer Erklärbare erklären.
Das Spiel fällt aus, weil kurz zuvor auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund auf dem Weg zum Stadion ein Anschlag verübt worden ist. Drei Explosionen hat es gegeben, teilt die Polizei später mit. Sie findet ein Bekennerschreiben und spricht von einem "gezielten Anschlag mit ernst zu nehmenden Sprengsätzen". Der Angriff verläuft zwar recht glimpflich, bis auf den spanischen Verteidiger Marc Bartra, der durch eine berstende Scheibe an der Hand verletzt wurde, und einen Polizisten, der ein Knalltrauma und einen Schock erlitt, soll niemand zu Schaden gekommen sein. Aber es bleibt ein Anschlag auf die Mannschaft von Borussia Dortmund. Wenn nicht alles täuscht, ein Mordanschlag.
Paris, Hannover, Dortmund
Der Fußball hat Erfahrung mit Attentaten. In Paris sprengte sich im November 2015 ein islamistischer Selbstmordattentäter während des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland in die Luft. Kurz darauf musste in Hannover ein weiteres deutsches Spiel wegen einer Terrorwarnung abgesagt werden. Nun könnte erstmals eine deutsche Fußballmannschaft als politisches Ziel attackiert worden sein. Nicht irgendeine, sondern Borussia Dortmund. Gemessen daran erträgt Dortmund den Angriff auf sein Heiligtum beeindruckend, fast schon besorgniserregend stoisch.
Noch einmal: Es ist ein gezielter Anschlag auf Borussia Dortmund. Vielleicht ist diese Nachricht für viele BVB-Fans so groß und schwer zu fassen, womöglich begreifen sie das erst allmählich in den nächsten Tagen. "Watt en Dreck!", ruft ein junger Fan, als er das Stadion verlässt. Wie viele andere will er Fußball sehen, doch es gibt heute keinen Fußball in Dortmund.
Auch in der Stadt wirken die Leute gelassen. Eine saarländische schwarzgelbe Reisegruppe holt sich bei Rossmann am Hauptbahnhof flüssige Verpflegung für die Fahrt zum Hotel. Pegida-Parolen hört man nicht. In der Katharinenstraße stadteinwärts trösten sich andere mit Brinkhoff's aus Halbliterflaschen und dem anderen Fußballspiel an diesem Abend, dem 3:0-Sieg von Juventus über Barcelona. Ein paar Männer mit ostdeutschem Akzent beratschlagen, ob sie einen Tag länger bleiben, um sich das Spiel anzuschauen.
Das wird nämlich am Mittwoch nachgeholt. Noch im Stadion haben sich die BVB-Chefs Watzke und Rauball beeilt, das zu verkünden. Man dürfe nicht klein beigeben, sagen sie, sonst hätten "die" gewonnen. "Die", damit sind die Täter gemeint. Sich nicht beugen, weiterleben, weitermachen – es ist fast schon routinierte Reaktion auf solche Anschläge. Auf die Frage, ob seine Spieler zu spielen überhaupt in der Lage wären, sagt Rauball: "Das sind Profis, ich bin der Auffassung, dass sie das wegstecken können."
Der Ball soll weiterrollen
Vielleicht ist das ein bisschen zu geschäftsmäßig, zu sehr auf Show must go on. Aber wer will es den beiden verdenken, wer findet schon in solchen Momenten die richtigen Worte? Ihre bleichen Gesichter verraten auch etwas anderes: Sie sind tief getroffen. "Ich hoffe, dass die Spieler das einigermaßen wegstecken können", sagt Watzke dann doch noch. Die Mannschaft stehe unter Schockstarre. "Solche Bilder kriegst du so schnell nicht aus dem Kopf."
Das denkt auch Jürgen, ein BVB-Fan aus Unna. Beim Verlassen des Stadions spricht er mit einer Platzanweiserin. "Wie kann man so schnell entscheiden, dass morgen gespielt wird? Es geht nur um Geld. Wer denkt an die Spieler?" Er ist nicht der einzige, der so denkt.
Doch die meisten halten es wohl mit Gunnar aus Kleve. "Dann gehen wir halt morgen", sagt er. Er hofft auf eine solidarische Fan-Aktion, eine Choreo oder gar einen Marsch durch die Stadt für ihre Mannschaft. "Man darf sich nicht kleinkriegen lassen."
"Dortmund, Dortmund"
"Borussia Dortmund ist ein Verein, bei dem immer dann, wenn die Situation besonders schwierig ist, die Mannschaft besonders stark reagiert." Für diesen schönen Satz erhält Watzke im Stadion den meisten Applaus. Es ist sanfter Applaus. Noch in der S-Bahn nach Dorstfeld reicht ein Fan einen Handyclip mit Watzkes Statement rum.
Das Spiel am Mittwoch wird ein besonderes, auch wegen Monacos Fans. Im Stadion singen sie hundertfach "Dortmund, Dortmund". Die Dortmunder reagieren nicht sofort, nehmen aber später nach einem Aufruf des Vereins Gästefans bei sich zu Hause auf. Sie posten Pics davon auf Twitter und Facebook.
Es sind fröhliche Bilder. Sie trotzen den grässlichen, die die Täter in die Welt senden wollten. Der Abend hätte natürlich ganz anders, viel schlimmer ausgehen können. Das dürfte langsam jedem klar werden, auch wenn die naheliegende Vorstellung kaum einer ausspricht: das, was gewesen wäre und was es für Dortmund und die Fußballwelt bedeutet hätte, wenn die Täter ihr mutmaßliches Ziel erreicht hätten.