Sigmar Gabriel nach Nordkorea-Besuch: „Donald Trump handelt richtig”
Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel hat Nordkorea besucht. Im Interview berichtet er über seine Eindrücke und seine politische Einschätzung.
Herr Gabriel, ein deutscher Außenminister war noch nicht in Nordkorea, nun aber Sie als Ex-Außenminister. Wie ist es zu dieser ungewöhnlichen Reise gekommen?
Ich erhielt über den früheren Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt, Wolfgang Nowak, die Anfrage aus Nordkorea, ob ich das Land einmal besuchen wolle. Nowak war zu Zeiten Gerhard Schröders im Kanzleramt und hatte gemeinsam mit anderen europäischen Kollegen Kontakte nach Süd- und Nordkorea, die er bis heute pflegt. Die offizielle Einladung kam dann vom Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses in Nordkorea, der zur inneren Führung des Landes gehört.
Dennoch ist das ungewöhnlich. Wer war seitens der Bundesregierung vorab informiert?
Abgesehen von der Tatsache, dass man in Deutschland im Unterschied zu Nordkorea niemanden um Erlaubnis fragen muss, wenn man andere Länder besuchen will, habe ich das Auswärtige Amt informiert. Das freundliche Angebot, mich etwas auf die Reise vorzubereiten, habe ich natürlich angenommen.
Viel wichtiger waren für mich aber die Gespräche, die ich vorher mit den Botschaftern aus Nachbarregionen Nordkoreas führen konnte. Vor allem das Gespräch mit dem Botschafter Südkoreas in Deutschland war sehr interessant. Er unterstützte mich darin, diese Reise anzutreten. Südkorea möchte jede Möglichkeit nutzen, die Gesprächspartner im Norden dazu zu ermutigen, die Friedensgespräche auch nach dem Scheitern des Gipfels zwischen US-Präsident Trump und dem nordkoreanischen Führer Kim Jung Un in Hanoi fortzuführen. Die Sorge im Süden ist scheinbar groß, dass es wieder zu Rückschritten und erneuten Konfrontationen kommt.
Kann man von einem privaten Charakter einer Reise sprechen, wenn Sie etwa den Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses der Obersten Volksversammlung Nordkoreas, Ri Su Yong, treffen?
Alles andere als die Bezeichnung "Privatreise" wäre doch eine Anmaßung. Stellen Sie sich mal vor, ich hätte einen gegenteiligen Eindruck erweckt. Das hätte man mir dann aber zu Recht vorhalten müssen. Ich bin ich weder mit einem öffentlichen Auftrag nach Nordkorea geflogen, noch wurde die Reise von öffentlichen Stellen organisiert oder bezahlt.
Was waren Ihre ersten Eindrücke nach der Landung?
Es war ein merkwürdiger Kontrast zwischen einem modern anmutenden Flughafen, einer modernen Skyline in der Hauptstadt Pjöngjang einerseits und der relativen Stille des Landes andererseits. Wenn man andere Millionenstädte kennt, dann erwartet man ein quirliges Treiben auf den Straßen und Plätzen. Davon war nichts zu spüren. Dramatisch allerdings war der Unterschied zwischen der Hauptstadt und der ländlichen Umgebung. Ein paar hundert Meter nach der Stadtgrenze bekommt man ein sehr armes Land zu sehen. Die Menschen bearbeiten dort den Boden mit einfachsten Geräten und mit den Händen. Statt Traktoren sieht man Ochsen, die den Pflug ziehen. Und jeder Quadratmeter wird bearbeitet, weil das Land ständig in Gefahr ist, in einer Hungersnot zu landen. Der Kontrast zwischen dem relativen Wohlstand der Stadt und der Armut auf dem Land ist enorm.
Wie frei konnten Sie sich bewegen?
Die Reisewünsche, die ich hatte, wurden mir auch ermöglicht. Aber natürlich hatte ich immer Begleiter.
Was haben Sie als Geschenk für Machthaber Kim Jong Un überreicht?
Ich habe dem Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses, Herrn Ri, ein Buch meiner Heimatstadt Goslar überreicht und einen Band über die Preisträger des Kunstpreises für zeitgenössische Kunst meiner Heimatstadt. Denn zu denen gehört auch der südkoreanische Künstler Nam June Paik.
Was haben Sie vom Alltag der Menschen wahrgenommen, welche Sanktionen treffen die Menschen im Land besonders?
Die Sanktionen, die ja vor allem wegen der Verletzung des Vertrags gegen die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen in den letzten Jahren ausgeweitet wurden, verschärfen natürlich die wirtschaftliche Notlage des Landes. Ich vermute allerdings, dass auch ohne die Sanktionen die Armut im Land aufgrund des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems relativ hoch wäre. Trotzdem ist es natürlich wie meist bei Sanktionen: sie treffen am stärksten nicht die Mächtigen, sondern die Ohnmächtigen. Die Kinder, alte Menschen und alle die, die auf die Nahrungsmittel angewiesen sind, die sie selbst herstellen. Jede Dürre, jede Flut, jede Missernte kann in Nordkorea Menschenleben kosten.
Haben Sie das Thema Menschenrechtsverletzungen, Hinrichtungen angesprochen und was ist Ihnen erwidert worden?
Natürlich. Das tun sicher alle, die in solche Länder reisen. Und alle werden - wie ich auch - die gleiche Erfahrung machen: dass diese Vorwürfe weitgehend geleugnet werden. Die Frage ist doch eine andere: welche Möglichkeiten haben wir, darauf Einfluss zu nehmen. Derzeit gibt es quasi eine Kontaktsperre zwischen offiziellen Vertretern Europas und Deutschlands mit Vertretern der Partei- und Staatsführung in Nordkorea. Diese Kontaktsperre ist für uns einfacher durchzuhalten als mit anderen Ländern, weil uns mit Nordkorea keine wirtschaftlichen Interessen verbinden.
In Ländern, in denen es vergleichbare Menschenrechtsverletzungen gibt, an denen wir aber ein wirtschaftliches Interesse haben, gibt es derartige Kontaktsperren nicht. Das zeigt auch ein bisschen, dass wir durchaus mit unterschiedlichen Maßstäben an Menschenrechtsfragen herangehen. Die Frage ist nun, ob wir die Menschenrechtslage in Nordkorea mit dieser Kontaktsperre eigentlich verbessern oder nicht. Meine Vermutung ist eher, dass wir uns gut fühlen, wenn wir mit dem Regime in Nordkorea nichts zu tun haben wollen, dass wir aber de facto nicht damit erreichen.
In Zeiten, in denen sich Südkorea um Entspannung zu Nordkorea bemüht und sich sogar der US-Präsident Trump mit dem nordkoreanischen Führer trifft, sollten wir überlegen, ob wir Europäer nicht auch aktiver werden können. Wie wäre es, wenn wir mehr humanitäre Hilfe für die Landwirtschaft anbieten, das aber verbinden mit der Forderung nach Besuchsrechten europäischer Menschenrechtsbeauftragter oder des Internationalen Roten Kreuzes in den Gefängnissen und Straflagern des Landes? Dafür aber muss man vor allem eines: miteinander reden.
Gibt es jenseits der Gipfelshows von US-Präsident Donald Trump und Kim Jong Un Entspannungssignale, dass der wirklich sehr eiserne Vorhang etwas weniger eisern wird?
Ich finde es erst einmal richtig und mutig, dass der US-Präsident Donald Trump sich zu solchen Treffen bereit gefunden hat. Wir lieben es ja, Trump zu kritisieren. Aber ich finde, hier handelt er richtig. Nun scheint es so zu sein, dass beide Seiten zu hohe Erwartungen aneinander hatten. Kim Jong Un dachte, seine Bereitschaft auf Atomwaffentest zu verzichten und erste Anlagen abzubauen würde gleich mit dem Abbau von Sanktionen durch die USA beantwortet. Und der US Präsident glaubte offenbar, seine persönliche Überzeugungskraft reiche aus, um die Nordkoreaner zu einer sofortigen Übergabe aller Nuklearwaffen an die USA zu bewegen.
Tatsache ist doch aber, dass das Misstrauen in 70 Jahren immer mehr gewachsen ist. Das wird man nicht schnell überwinden können. Die deutsche Entspannungspolitik der 60er und 70er Jahre zeigt doch: es bedarf vieler kleiner Schritte, bevor der große Schritt möglich wird.
Aber wird die von die von US-Sicherheitsberater John Bolton vorgeschlagene libysche Lösung nicht den vorsichtigen Annäherungsprozess ausbremsen?
Die Nordkoreaner haben ja vor Augen, dass wenige Jahre nach der Übergabe der Nuklearanlagen Libyens der dortige Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi gestürzt wurde. Und auch die deutsche Wiedervereinigung wird eher ein warnendes Beispiel für Nordkorea sein, denn an deren Ende stand die völlig Ablösung der alten DDR-Parteieliten.
Und auch das Beispiel des Iran zeigt den Nordkoreanern doch, dass im Zweifel ein neuer US Präsident alle zuvor getroffenen Verabredungen wieder zurück ziehen kann. Die Entwicklung von Atomwaffen war für die Parteielite Nordkoreas doch quasi wie der Abschluss einer Lebensversicherung gegen einen Regime-Change-Versuch von außen. Ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass die Führung des Landes diese Lebensversicherung jetzt sehr schnell wieder kündigt.
Was könnte aus Ihrer Sicht ein gangbarer Weg sein und kann Deutschland irgendeine Rolle spielen?
Ich glaube, es wäre schon viel erreicht, wenn man erste Schritte zu Rüstungskontrolle und vor allem zur wirksamen Verhinderung der Pro-Lieferation von Nuklearwaffen schaffen könnte. Denn das ist doch die akute Gefahr, die von Nordkorea ausgeht: dass von dort atomwaffenfähiges Material in andere Länder geliefert wird. Das bedeutet nicht, dass es nicht das Ziel bleiben muss, die vollständige Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel zu verfolgen. Aber ich befürchte, dass es dafür Zeit und Vertrauensaufbau brauchen wird. Mein Eindruck ist zudem, dass Südkorea Spielräume innerhalb des internationalen Sanktionsregimes braucht, um seinerseits mit Nordkorea Vertrauen aufzubauen.
Die deutsche Entspannungspolitik nahm ihren ersten zaghaften Anfang, als der damalige Regierende Bürgermeister Westberlins, Willy Brandt, mit Ostberlin ein Passierscheinabkommen schloss, um wenigstens Besuchsmöglichkeiten für die Menschen der geteilten Stadt zu schaffen. Ob Deutschland und Europa eine Rolle spielen wollen oder können, vermag ich nicht zu beantworten. Klar ist jedenfalls, dass gerade unser Land sowohl von Nord- wie von Südkorea sehr geschätzt wird.
Sigmar Gabriel ist seit seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung Bundestagsabgeordneter und schreibt als Gastautor unter anderem auch für den Tagesspiegel.