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Angela Merkel und Martin Schulz bei der Pressekonferenz zum Koalitionsvertrags.
© imago/Emmanuele Contini

Große Koalition: Dieser Vertrag ist ein Dokument des Misstrauens

Union und SPD legen ihre Politik bis ins letzte Detail fest. Schulz gibt seinen Parteivorsitz an Nahles ab. Ob das der SPD-Basis reicht? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wenn sie doch wenigstens jetzt eine tolle Überschrift hätten über dieses Abkommen. So etwas wie „Und weil wir Deutschlands Kraft vertrauen“. Das war die Überschrift des Neuanfangs mit Gerhard Schröder, nach 16 langen Jahren unter Helmut Kohl. Da wollten die Koalitionäre nicht die Welt, aber immerhin das Land verändern, grundlegend, wollten Aufbruch statt „Mehltau“. Einiges hat ja auch geklappt. Dieser Vertrag nun, den selbst Angela Merkel „kleinteilig“ nennt – und sie ist doch die Meisterin im Zerlegen von Problemen bis zur Unkenntlichkeit – ist aber kein Zeichen dafür, dass sie Deutschlands Kraft zur Erneuerung vertrauen. Sondern dass und wie sie einander misstrauen, die Schwarzen und die Roten.

Ihren Parteimitgliedern gleich mit. Warum sonst müsste alles derart detailliert festgelegt werden, bis auf die dritte Stelle hinterm Komma? Das erinnert fatal an Abrüstungsverhandlungen oder an Verhandlungen zur Entspannung der Lage zwischen den beiden deutschen Staaten, damals, als Willy Brandt noch mit Leonid Breschnew sprach. Die Übereinkunft heute ist so gesehen wie eine Retro-Veranstaltung, umrahmt von der Groko-Doktrin der strikten Einhaltung des einmal Vereinbarten.

Dabei ist es natürlich nicht so, als ob sich das Papier, oder besser: die vielen Seiten, nicht blicken lassen könnten. Pflege, Familie, Arbeitsverhältnisse, Bildung, das alles und noch mehr ist schon gut. Dass es allerdings im Regierungshandeln nicht einfach gemacht werden konnte, spricht Bände. Keine Rahmenvereinbarung und dann zack, keine Grundlagenbeschreibung und der Rest wird entschieden, wenn es so weit ist – nein, die Wirklichkeit im Land muss sich dem Plan anpassen. Ironisch gesagt: So viel Sozialismus geht immer, wie?

Aber schön, dass die Republik so lange darauf warten durfte. Das steigert dann doch die Freude darüber, dass es jetzt erst einmal vorüber ist. Wobei: Das ist auch wieder bloß eine dieser Hoffnungen. Denn die SPD ist ja mit dem Erreichten noch lange nicht übern Berg. Die Mitglieder entscheiden, und nachdem es zwischenzeitlich einen Run auf die Partei gegeben hat, ist nicht mehr sicher, dass das Verhandlungsergebnis durchkommt. Es könnte inzwischen schicker sein, gegen die Groko zu stimmen als dafür. Zumal die Basis neben staunenswerten Erfolgen, inhaltlich wie bei den Ressorts, doch auch einiges zu schlucken hat – inhaltlich wie beim Personal.

Jetzt kommen die internen Koalitionsverhandlungen

Martin Schulz ist das prominenteste Beispiel. Er als Außenminister, das ist kein Selbstläufer; selbst wenn er dafür das Amt des SPD-Chefs abgibt. Und weil das auch schon wieder ausgekungelt wirkt, könnten die Genossen dann doch einmal finden, dass es jetzt reicht. Da gibt es ja durchaus noch Möglichkeiten des Widerstands. Entweder der Groko-Vertrag wird abgelehnt – oder die Nachfolgelösung an der Parteispitze mit Andrea Nahles. Was heißt: Nach den Koalitionsverhandlungen ist vor den Koalitionsverhandlungen – in diesem Fall internen.

Auf der anderen Seite Angela Merkel. Strahlende Sieger sehen anders aus. Wirtschaft für Peter Altmaier wiegt nicht auf, dass die Ressorts Finanzen und Inneres weg sind. Einen noch höheren Preis kann man sich kaum vorstellen. Oder doch? Abwarten. Merkel wusste, dass es schmerzhaft werden würde. Für die amtierende Kanzlerin kann es mit der Zeit aber noch schmerzhafter werden. 16 Jahre wie bei Kohl sind in weiter Ferne.

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