Vom Militäreinsatz bis zur Geheimdienstaktion: Diese vier Szenarien sind nach der US-Wahl denkbar
Eine Gruppe einflussreicher US-Amerikaner hat Szenarien durchgespielt, die nach der US-Wahl eintreten könnten. Dabei ist Trumps Skrupellosigkeit entscheidend.
Vier Szenarien, ein Ergebnis: Wenn er will, dann kann er. Mehr als hundert einflussreiche US-Amerikaner kamen im Juni laut einem Bericht des Wochenmagazins „New Yorker“ zusammen, um sich auf den vermutlich eintretenden Worst Case nach der US-Präsidentschaftswahl vorzubereiten: den Fall, dass Trump eine Wahlniederlage schlicht nicht akzeptiert.
Transition Integrity Project nennt sich die Gruppe. Ihr Name enthält die Worte „Wechsel“ und „Rechtschaffenheit“. Schon darin ist der Konflikt mit dem System Trump zu ergründen. Denn den Wechsel will er mit aller Macht verhindern – und mit der Rechtschaffenheit könnte er es im Zweifel nicht so genau nehmen.
Neben Hillary Clintons Wahlkampfmanager von 2016, John Podesta, sind unter anderem Journalisten, ehemalige Militärs und Geheimdienstmitarbeiter unter den mehr als hundert Mitgliedern der Gruppe. Ihr Fazit, nachdem sie jedes erdenkliche Szenario durchgespielt hatten: „Wir halten es für höchstwahrscheinlich, dass Präsident Trump das Wahlergebnis mit legalen und außerrechtlichen Mitteln anfechten wird, um sich an der Macht zu halten.“
Die Sorge, die herausklingt: Dass Trump sich bei der Wahl am 3. November zum Sieger ausrufen könnte, egal, wie zuvor abgestimmt worden ist.
Die vier Szenarien des Transition Integrity Projects
- Szenario 1: Ein völlig offenes Ergebnis
- Szenario 2: Klarer Sieg von Joe Biden
- Szenario 3: Klarer Sieg von Donald Trump
- Szenario 4: Knapper Sieg von Joe Biden
Erwartbar wie ernüchternd ist nicht nur, dass Trump es versuchen könnte – sondern: Dass die große Machtfülle des US-Präsidenten ihm für jedes Szenario auch Möglichkeiten bietet, um im Amt zu bleiben.
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Denn zwischen dem 3. November 2020 – dem Wahltag in den USA – und dem 20. Januar 2021 – dem Tag der geplanten Vereidigung des Präsidenten – liegen 78 Tage, in denen Trump alle Hebel in Bewegung setzen kann.
Zu aller Erst könnte Trump, so steht es im 22-seitigen Abschlussbericht geschrieben, seinen Einfluss auf erzkonservative Medien geltend machen und über diese die Briefwahl infrage stellen. Das wäre auch nicht überraschend, da Trump genau das schon jetzt, weit vor der Wahl, tut.
Außerdem wäre Trump in der Lage, mithilfe der zahlreichen republikanischen Offiziellen, die weitere Stimmenauszählung mit sofortiger Wirkung zu stoppen. Um einen angeblichen Wahlbetrug zu verhindern, könnte er sogar Bundessoldaten in die Städten schicken, die genau das durchsetzen. Dass er keine Skrupel hat, bewaffnete Soldaten zu schicken, ist spätestens seit den den Vorfällen in Portland bekannt.
Sollte es Widerspruch aus dem Verteidigungsministerium geben – wovon erst einmal nicht auszugehen ist – könnte er den entsprechenden Minister Mark Esper ersetzen, indem er einen Vertrauten installiert, der eine geringere Hemmschwelle hat. Dass Trump nicht zögert, Personal zu tauschen, weil es ihm in diesem Moment passt, ist ebenfalls nichts Neues. Der letzte bekannte Fall: der neue Post-Chef Louis DeJoy.
„Biden kann Pressekonferenz einberufen, Trump 82. Luftlandedivision“
Anschließend könnte Trump auch den republikanischen Justizminister William Barr zum Schein damit beauftragen einen angeblichen Wahlbetrug, den er ja bereits zuvor befürchtet hatte, aufzuklären. Die Beschaffung von Geheimdienstdokumenten, die seine Aktion untermauern, wäre ein Leichtes. So hatte er schon versucht, seinen Vorgänger Barack Obama in ein schlechtes Licht zu rücken.
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Es ist sogar denkbar, so heißt es in dem Bericht, dass Trump den Notstand ausruft – wozu er als Präsident befähigt ist – und das Militär offiziell gegen Demonstrationen vorgehen lässt. Rechtfertigen könnte er es, indem er sie als inländischen Terrorismus einstufen lässt. Genau auf diese Weise hat er bereits versucht, die Aufmärsche der Antifa zu verbieten.
Rosa Brooks, ein Mitglied des Transition Integrity Project, die unter Obama im Verteidigungsministerium gedient hat, fasst es so zusammen: „Joe Biden kann eine Pressekonferenz einberufen, Trump die 82. Luftlandedivision.“
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Kurioserweise könnte sogar die von ihm so verhasste Briefwahl Trump dabei helfen, seinem Plan, im Amt zu bleiben, einen Schritt näher zu kommen. Denn am Wahlabend wird aller Voraussicht nach noch kein endgültiges Ergebnis feststehen – weshalb sich Trump, wie auch immer er es rechtfertigen möge, zum Sieger erklären könnte.
Aus diesem Grunde hält das Transition Integrity Project das Konzept der „Election Night“ für veraltet und gefährlich. Denn: Die anschließende „Periode der Ungewissheit bietet Möglichkeiten für einen skrupellosen Kandidaten, die Rechtmäßigkeit des Wahlvorgangs anzuzweifeln“. Es fällt nicht schwer, sich zu erschließen, wenn die Gruppe damit meinen könnte.