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"Mister Speaker" John Bercow, britischer Parlamentspräsident.
© Tom Nicholson/imago/ZUMA Press

Vor der Abstimmung: Diese Rolle spielt der Parlamentspräsident beim Brexit

Im Parlament wird sich die Aufmerksamkeit beim Brexit-Votum auf John Bercow richten. Alles spricht dafür, dass dies dem Speaker des Unterhauses sehr recht ist.

Der kurzgewachsene Sohn eines Londoner Taxifahrers hat sein Außenseitertum von Kindesbeinen an durch unerschütterlichen Glauben an die eigene Bedeutung kompensiert. Wenn Parlamentspräsident John Bercow eine Ministerin oder einen ungehobelten Zwischenrufer zurechtweist und dabei stets zu besonders ausgefallenen Formulierungen greift, wirkt der 55-Jährige wie berauscht vom Klang seiner eigenen Stimme.

Seine fast zehnjährige Amtszeit hat der 1997 als Konservativer ins Parlament gekommene Politiker aber nicht nur zur Befriedigung seiner Eitelkeit benutzt. Bercow setzte auch ein längst überfälliges Reformprogramm durch. Minister müssen sich viel häufiger als früher auch kurzfristig für ihre Entscheidungen rechtfertigen, die Opposition erhielt mehr Gelegenheit zu eigenen Debatten. Und Hinterbänkler aller Fraktionen kommen ausführlicher zu Wort – allein Premierministerin Theresa May musste zuletzt dem Parlament oft bis zu drei Stunden Rede und Antwort stehen.

Stärkung des Parlaments

Im britischen System hat die Exekutive eine ungewöhnlich starke Stellung, gestützt auf das Mehrheitswahlrecht, das für stabile Verhältnisse sorgen soll. So bestimmt die Regierung weitgehend die Tagesordnung des Unterhauses. Oppositionsabgeordnete haben kaum Gelegenheit, eigene Gesetzesvorschläge zu machen. Eine Regierungsvorlage kann allerdings durch Änderungsanträge verwässert oder sogar ins Gegenteil verkehrt werden. Dabei kommt dem neutralen „Mister Speaker“ eine entscheidende Rolle zu.

Seine Stärkung des Parlaments gegenüber der Exekutive hat Bercow vergangene Woche in einen heftigen Konflikt mit seinen einstigen Fraktionskollegen gebracht. Konkret ging es dabei um die Änderung des Regierungsantrages, welcher der Brexit-Abstimmung zugrunde liegt. Bisher galten solche Anträge als unabänderlich. Hinweise von Verfassungsexperten auf hergebrachte Traditionen wischte Bercow beiseite: „Wenn wir uns immer nur an die Tradition halten würden, wäre keinerlei Veränderung möglich.“

Für das Votum am Dienstag liegen Bercow nun 13 Änderungsanträge vor; der Tradition entsprechend würde er daraus an diesem Montag oder spätestens am Dienstag morgen etwa ein halbes Dutzend auswählen. Über sie wird zunächst abgestimmt, und zwar per Hammelsprung: Die 650 Abgeordneten müssen im Vorraum des Plenarsaals durch eine von zwei Türen gehen, je nachdem, ob sie mit Ja oder Nein stimmen wollen. Wer auf seinem Platz verharrt, enthält sich damit der Stimme. Bei der Abstimmung über die Änderungsanträge kann das Parlament deutlich machen, welche Option es statt des Austrittsvertrages befürwortet.

Viele Konservative, besonders die Befürworter des Chaos-Brexits, fürchten, Bercow werde der großen Mehrheit im Parlament Gehör verschaffen, die sich gegen den sogenannten „No Deal“ ausgesprochen hat.

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