Vor der Abstimmung im Unterhaus: Der große Brexit-Poker
Vor der Unterhaus-Abstimmung am Dienstag wächst die Spannung. Der Ex-Brexit-Minister Davis fordert, dass sich London die "No Deal"-Option offenhalten soll.
Die EU stellt sich auf eine turbulente Woche für die Tage nach der Brexit-Abstimmung am kommenden Dienstag im Unterhaus ein. Weil bei der Abstimmung im Parlament eine Ablehnung des EU-Austrittsvertrages als wahrscheinlich gilt, wird hinter den Kulissen bereits überlegt, wie sich der Deal zwischen London und der EU anschließend doch noch retten lässt.
Im Fall einer Ablehnung durch das Unterhaus droht ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, was auf die Wiedereinführung von Zollkontrollen zwischen beiden Seiten hinauslaufen würde. Justizministerin Katarina Barley, die als SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl antritt, sprach sich gegen eine Nachverhandlung des EU-Austrittsvertrages aus, über den das Unterhaus am Dienstag abzustimmen hat. „Das ausgehandelte Abkommen ist ein gutes Ergebnis“, sagte Barley dem Tagesspiegel. „Nachverhandlungen sind inhaltlich nicht möglich, und das ist auch richtig so.“
Ähnlich hatte sich auch Außenminister Heiko Maas (SPD) am vergangenen Dienstag bei einem Besuch in Dublin geäußert. „Wir drängen unsere britischen Freunde, verantwortungsvoll zu handeln und sich hinter das Abkommen zu stellen, dessen Aushandlung uns so viel Zeit und Mühe gekostet hat“, hatte er erklärt.
Alles hängt an der Irland-Frage
Der Knackpunkt des Austrittsabkommens ist der „Backstop“. Mit dieser Auffanglösung soll verhindert werden, dass in der früheren nordirischen Bürgerkriegsregion wieder Grenzkontrollen eingeführt werden. Der „Backstop“ sieht vor, dass Nordirland so lange im EU-Binnenmarkt bleibt, bis sich Großbritannien und die EU langfristig auf ein Freihandelsabkommen geeinigt haben. Allerdings wäre mit einem ungeregelten Brexit im März die „Backstop“-Regelung hinfällig – und es würde wieder zu Zollkontrollen zwischen Nordirland und der Irischen Republik kommen.
Angesichts der verfahrenen Situation hatte der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem Beitrag für den Tagesspiegel geschrieben, dass der „Backstop“, der weder eine Kündigungsmöglichkeit noch eine Befristung vorsieht, die Briten nach der Lesart in London auf ewig zu „Geiseln der EU“ mache. „Das ist für das britische Unterhaus unannehmbar, und zwar auch für die Gutwilligen dort“, hatte Gabriel weiter geschrieben. Der frühere Außenminister hatte zudem gefordert, CDU/CSU und FDP müssten gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf die bürgerlich-liberale Regierung in Dublin zugehen, um einen Ausweg zu suchen.
Unterdessen sagte der frühere britische Brexit-Minister David Davis dem „Spiegel“, ein ungeregelter Brexit sei „natürlich längst nicht die beste Lösung“. Um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern, solle sich Großbritannien die Option eines „No Deal“-Brexit aber offenhalten, forderte er weiter. Davis war im vergangenen Juli von seinem Ministeramt zurückgetreten, weil er einen „weichen Brexit“ im Sinne von Regierungschefin Theresa May ablehnte.
May kämpft vor allem mit Widerstand in den eigenen Reihen
Beobachter gehen davon aus, dass die konservative Regierungschefin May bei der Abstimmung am Dienstag nicht genug Abgeordnete der oppositionellen Labour-Partei auf ihre Seite ziehen kann, um die Zahl der Verweigerer in den eigenen Reihen und bei der mitregierenden nordirischen Partei DUP auszugleichen. Im Fall einer Niederlage im Unterhaus hat May bis zum 21. Januar Zeit, um das Parlament über ihr weiteres Vorgehen zu unterrichten. Wie es nach einer möglichen Ablehnung des Deals am Dienstag weitergeht, ist völlig offen. Zu den Optionen gehören eine erneute Abstimmung im Unterhaus über einen überarbeiteten Austrittsvertrag, ein No-Deal-Szenario, ein zweites Referendum und eine Verschiebung des Austrittsdatums.