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Die afrikanische Mittelschicht, hier in einem Einkaufszentrum in Johannesburg, wächst stetig.
© dpa/Gero Breloer

Potenzial eines Kontinents: Die Wirtschaft sieht Afrikas Zukunft positiv

Bundespräsident Steinmeier reist nach Afrika. Die wachsende Aufmerksamkeit für den Kontinent hat nicht nur mit der Flüchtlingskrise zu tun. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Vor zwei Wochen reisten Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel nach Afrika, am heutigen Montag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die wachsende Aufmerksamkeit für Afrika hat nicht allein mit der Flüchtlingskrise zu tun.

Welches Interesse hat Deutschland an Afrika?

Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) machte vor dem EU- Afrika-Gipfel Ende November noch einmal deutlich, was er schon lange fordert: Afrika müsse einen höheren Stellenwert in der deutschen Außenpolitik erhalten. „Europas Schicksal und Zukunft entscheidet sich auf dem afrikanischen Kontinent“, sagt der CSU-Politiker. Müller selbst hatte Anfang 2017 einen Marshallplan für Afrika aufgelegt, die Bundesregierung den Kontinent zum Schwerpunktthema ihrer Präsidentschaft der G-20- Staaten erklärt. Ohne die Flüchtlingskrise wäre dies möglicherweise nicht geschehen. Die Furcht vor einer Massenabwanderung junger Afrikaner, die in ihrer Heimat keine Zukunft sehen, ist die ent scheidende Triebfeder für die Politik. Denn Afrika ist noch immer der mit Abstand am wenigsten entwickelte Kontinent. Laut einer Studie der US-Denkfabrik Brookings Institution liegen 28 der insgesamt 37 Länder, in denen nicht einmal die Grundbedürfnisse der Bevölkerung wie Strom oder sauberes Wasser gedeckt werden, in Afrika südlich der Sahara. Ein Armutsindex der britischen Oxford Universität belegt, dass 30 Prozent aller Afrikaner mangelernährt sind und 29 Prozent nicht einmal fünf Jahre lang zur Schule gehen.

Welche Akzente will Bundespräsident Steinmeier setzen?

Der Bundespräsident reist am Montag zunächst nach Ghana und am Mittwoch von dort aus weiter nach Gambia. Die Themen Flucht und Migration sind zentrale Punkte des Besuchsprogramm. So wird Steinmeier in Accra, der Hauptstadt Ghanas, ein so genanntes Migrationszentrum eröffnen, in dem sich junge Ghanaer über legale Einreisemöglichkeiten nach Deutschland erkundigen können, etwa um an einer deutschen Universität zu studieren. Im „Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre“ wird der Präsident außerdem mit Bundeswehrsoldaten zusammentreffen, die in der Einrichtung Soldaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) für Friedenseinsätze trainieren. Doch die Reise hat einen zweiten Schwerpunkt: den Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen.

Im Gefolge Steinmeiers reisen deutsche Wirtschaftsvertreter, die in Accra an einem Wirtschaftstreffen teilnehmen. Auch Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) ist mit dabei. Einzelne Firmen wollen in den kommenden Tagen Absichtserklärungen für Kooperationsprojekte mit afrikanischen Partnern unterschreiben. So will Merck künftig in Ghana Impfstoffe herstellen und Siemens sich an einem Gaskraftwerk-Projekt beteiligen. Das Interesse der Wirtschaft an der Reise sei groß, hieß es im Bundespräsidialamt. Die verfügbaren Plätze in der Wirtschaftsdelegation waren demnach begehrt.

Wie sieht die Wirtschaft den Kontinent?

Wirtschaftsvertreter betrachten Afrika offenbar inzwischen mit anderen Augen. „Die Frage, ob ein Standort interessant ist, bemisst sich an Zukunftsprognosen und nicht nur am Ist-Zustand“, sagt Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. Das Überraschende: Ausgerechnet jene Zahlen, die der Politik Sorge bereiten, werden in der Wirtschaft positiv bewertet. Zum Beispiel dass Afrikas Bevölkerung wächst und dass schon heute sechzig Prozent der Afrikaner jünger als 25 Jahre sind. „Wirtschaftlich hat der Kontinent damit großes Potenzial“, sagt Kannengießer. Der Verbandschef rechnet damit, dass Afrikas Anteil an der Weltwirtschaftsleistung in den kommenden 15 bis 20 Jahren von drei auf sechs Prozent steigen wird. „Das mag wenig klingen, doch in keiner anderen Region der Welt sind vergleichbare Wachstumsschübe zu erwarten.“

Schon jetzt seien positive Entwicklungen sichtbar, so Kannengießer. „Es gibt heute deutlich mehr gut ausgebildete Afrikaner als vor 15 Jahren und eine stetig wachsende Mittelschicht.“ Die Infrastruktur des Kontinents habe sich massiv verbessert, vor allem seit China in Afrika Straßen, Häfen und Flughäfen baue. „Dieses Engagement wird bei uns zwar kritisiert, zum Beispiel weil China seine Hilfe an die Lieferung von Rohstoffen knüpft und auch, weil die Chinesen oft ihre eigenen Arbeiter mitbringen. In der Summe profitiert Afrika aber enorm von den chinesischen Investitionen.“

Können Investitionen Entwicklungshilfe überflüssig machen?

Auch die Politik setzt bei der Entwicklung Afrikas inzwischen auf die Förderung privater Investitionen. So erklärte die Europäische Union (EU) Ende November bei ihrem Gipfel mit den afrikanischen Staaten, sie wolle bis zu 44 Milliarden Euro für den Kontinent mobilisieren, indem sie Investitionen absichere. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte zuvor bereits einen milliardenschweren Fonds mit Fördergeldern für kleine und mittlere Unternehmen in Afrika angekündigt. Der Marshallplan des deutschen Entwicklungsministers setzt ebenfalls nicht auf staatliche, sondern auf Gelder aus der Wirtschaft. Kritiker werfen ihm daher allerdings Etikettenschwindel vor.

Klar ist: Nicht für alle Länder des Kontinents können Investitionen die Lösung sein. Bürgerkriegs- und Krisenländer wie Südsudan, Somalia, Mali oder die Demokratische Republik Kongo werden auch künftig kaum Investoren anlocken – zumindest keine seriösen. Christoph Kannengießer vom Afrikaverein der Deutschen Wirtschaft plädiert dafür, dass sich die klassische Entwicklungshilfe auf diese besonders armen Staaten konzentrieren soll. In anderen Staaten sollten Kooperationen mit der Wirtschaft ausgebaut werden. Müllers Marshallplan hält der Verbandschef für einen sinnvollen Ansatz. „Er muss nun aber auch mit Instrumenten untersetzt werden. Das sehen wir bisher nicht.“ Hilfsorganisationen wie die Deutsche Welthungerhilfe und Terre des Hommes sehen indes die Gefahr, dass die ärmsten Länder weiter abgehängt werden und ein Großteil der staatlichen Entwicklungsgelder ebenfalls in aufstrebende Staaten fließt.

Wie passt das positive Afrikabild zu dem eines Krisenkontinents?

Die Krisen in vielen afrikanischen Staaten sind bittere Realität: ob Dürren in der Sahelregion, die Hunger und Elend nach sich ziehen, nicht endende Konflikte wie in Somalia und der in der Demokratischen Republik Kongo, Terror durch Extremisten wie Boko Haram in Nigeria oder gefährliche Epidemien wie Ebola in Westafrika. Doch der Kontinent ist groß und vielfältig. Und unter den 54 afrikanischen Staaten sind viele, die sich unter dem Strich positiv entwickeln. Auch Ghana, die erste Station von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. In vielen afrikanischen Städten haben sich zudem Gründerzentren etabliert, in denen junge Geschäftsleute und Wissenschaftler nach nützlichen Innovationen zur Lösung der Probleme des Kontinents suchen. Entsprechend sollen Ausreisewillige in dem neuen Migrationszentrum in Ghana auch über Existenzgründungshilfen im eigenen Land informiert werden. Noch im Dezember soll ein weiteres Zentrum im Senegal, im Januar 2018 eines in Nigeria eröffnen.

Was bedeutet die Entwicklung für die Migrationsbewegungen?

Ein weiterer Anstieg der Flüchtlingszahlen aus Afrika ist nicht auszuschließen – selbst, wenn sich die Wirtschaft des Kontinents tatsächlich positiv entwickeln sollte. Experten sehen den beginnenden Aufschwung in einigen Staaten südlich der Sahara sogar als Ursache für die zunehmende Migration. Denn es sind nicht etwa Bürgerkriegsflüchtlinge, die massenhaft nach Europa kommen. Sie könnten sich die Reise gar nicht leisten und fliehen meist in Nachbarländer. Laut den Statistiken der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die die Migrationsbewegungen dokumentiert, sind es eher junge Nigerianer oder Ivorer, die sich auf den Weg in den Norden machen.

In ihren Heimatländern haben sich die Bildungschancen verbessert, die Aufstiegschancen halten mit den Erwartungen der jungen Generation aber nicht mit. Gleichzeitig können sich die junge Leute im Internet über das Leben in Europa und Reisemöglichkeiten dorthin informieren. Und sie verfügen über genug Geld, um zumindest die ersten Etappen der Reise finanzieren zu können. Dennoch: Bisher gehört Afrika auch in Deutschland nicht zu den Hauptherkunftsländern von Migranten. Sie stellen vielmehr nur einen Bruchteil der Asylbewerber im Vergleich zu Syrern, Irakern und Afghanen. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stammten 2017 fünf Prozent der Asylbewerber aus Eritrea, knapp vier Prozent aus Nigeria, Angehörige anderer afrikanischer Staaten waren noch seltener vertreten.

Für eine Stigmatisierung Afrikas sieht Kannengießer vom Deutschen Afrikaverein angesichts dieser Zahlen keine Grundlage. Weder werde Afrika allein von Krisen bestimmt noch müsse Europa fürchten, von afrikanischen Flüchtlingen überrollt zu werden, sagt er. Mit wachsendem Wohlstand erwartet er langfristig einen Rückgang der Emigration aus Afrika.

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